Mülheim. Der Mülheimer José Monteiro de Lima steht auf der Bühne des Travestietheaters Revue Palast Ruhr. Wie er sich in weibliche Stars verwandelt.
Es war ein Weg mit mancher Kurve, den der Mülheimer José Monteiro de Lima gegangen ist, um dort anzukommen, wo er heute steht: als Travestiestar auf der Bühne des Hertener Revue Palasts Ruhr. In Pumps, Pailletten und unter der Perücke ist der 43-Jährige in seiner Welt. So fand er vom Zuckerhut an die Ruhr.
Es glitzert und funkelt, seine Augen leuchten mit den Scheinwerfern um die Wette, die Strass-Steinchen auf seinem Kleid werfen das Licht tausendfach zurück: Es ist Showtime! Der große Moment, wenn der Mülheimer José Monteiro de Lima in Highheels auf die Bühne tritt, elegant wie ein Model einen Fuß vor den anderen setzt und das Publikum als Céline Dion oder Annie Lennox verzaubert. Neben der perfekten Parodie der Sängerinnen sind es die schillernden Roben und detailreichen Kostüme, die die Zuschauer der Shows im Revue Palast Ruhr in Herten in ihren Bann ziehen. Auch sie entspringen größtenteils der Fantasie des Mülheimers mit brasilianischen Wurzeln, genau wie das perfekt abgestimmte Make-up.
Als Jugendlicher schlüpft er in die Rollen von Madonna und Cindy Lauper
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„Als Junge wollte ich Schauspieler werden“, erinnert sich José Monteiro de Lima an seine Kindheit im brasilianischen Fortaleza. Bis vor die TV-Kamera hat ihn sein Weg nicht geführt, oftmals aber wirkt er dahinter, als Visagist – eine seiner kreativen Professionen, die auch heute noch bei vielen Hochzeiten in ganz NRW gefragt ist. Weil José Monteiro de Lima aber immer den Drang ins Rampenlicht verspürte, gestaltet er schon als Jugendlicher kleine Shows für Freunde. „Das sollten meine Eltern erst gar nicht wissen“, blickt der 43-Jährige zurück. Denn seine größten Idole waren die weiblichen Stars der 80er-Jahre: Madonna, Cindy Lauper und Cher. In deren Rollen schlüpfte er – mit allem, was dazu gehört: extravagante Outfits und schrilles Make-up.
Auch Kostüme entwirft er in seiner Jugend bereits und setzt seine Ideen um: „Ich habe verwendet, was ich finden konnte, etwa Plastik oder Papier. Eines meiner ersten Kostüme war aus Autoreifen.“ Schließlich schafft José Monteiro de Lima es in seiner Heimat auf die Bühne, hat Erfolg als Background-Tänzer bei Shows, die in Brasilien in großen Diskotheken stattfinden. Eines Tages aber fällt der Hauptdarsteller aus und der Tänzer aus dem Hintergrund muss nach vorne, steht plötzlich als Protagonist – als Diva – im Scheinwerferlicht, ein Schlüsselmoment. „Danach habe ich meine eigene Figur entwickelt: Dissinha Mitchell.“ Der Charakter begleitet ihn bis heute – als Dissinha Mitchell steht der Mülheimer immer noch auf der Bühne, wenn er nicht gerade Stars wie Céline Dion oder Annie Lennox darstellt.
Mülheimer musste um Anerkennung für seine Leidenschaft Travestie kämpfen
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Doch um Anerkennung für seine Leidenschaft musste er häufig kämpfen: „In Brasilien wird die Travestie nicht wertgeschätzt, den Leuten hat es an Information darüber gefehlt, man wurde schnell in eine Schublade gesteckt.“ Doch José Monteiro de Lima betont: „Das hat nichts mit einer sexuellen Gesinnung zu tun, sondern es ist die Faszination an der Verwandlung. Hier in Deutschland ist die Kunstform längst populärer, etwa durch Mary und Gordy, die in den 80ern bekannt wurden.“
Der Sprung in die weibliche Rolle, der Wechsel zwischen den Geschlechtern sei für ihn wie eine Tür zu einer anderen Welt und mitsamt der fantasievollen Kostüme und dem extravaganten Make-up auch ein Ventil, seiner grenzenlosen Kreativität Ausdruck zu verleihen. „Ich möchte im Alltag nicht als Frau gesehen werden, da bin ich glücklich als Mann“, ordnet José Monteiro de Lima ein, der mit seinem Ehemann Oliver Brandhorst in Selbeck lebt.
Mülheimer Paar kreiert und schneidert Kostüme für Drag Queens
Mit ihm zusammen hat der Brasilianer, der neben seinen Auftritten im Revue Palast Ruhr nach wie vor als Visagist und Make-up-Artist arbeitet, ein weiteres Standbein aufgebaut: Auf dem Dachboden des Einfamilienhauses versteckt sich das Atelier, in dem Monteiro de Lima und Brandhorst gemeinsam „Artkostüm“ kreieren, Outfits für Travestiekünstler, Drag Queens und Tänzer. Zu Ihren Kunden zählen mittlerweile etliche Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz. Hier rattern die Nähmaschinen, schneidet der Brasilianer Stoffe zu und gestaltet farbenprächtigen Kopfschmuck voller Federn.
„Baumärkte sind für uns ein Paradies“, beschreibt Oliver Brandhorst, wo das kreative Team seine Werkstoffe ergattert: Schaumstoff, Draht, Kunststoffe, all das diene dazu, die Kostüme auszupolstern und ihnen Stabilität zu verleihen. Denn so ein Bühnenkostüm müsse einiges aushalten: „300 bis 400 Mal kommt ein Outfit zum Einsatz, und oft liegen nur 40 Sekunden zwischen einem kompletten Kostümwechsel. Normale Kostüme mit gewöhnlichen Materialien machen das nicht lange mit.“ Aber auch die Träger müssen einiges aushalten: Manche Robe wiege 25 Kilo, zudem müsse sie wie angegossen passen. Oliver Brandhorst, der im Revue Palast Ruhr als Garderobier stets hinter den Kulissen dabei ist, feixt: „Ich bin der Mann fürs Grobe und mache mit Hilfe von Korsetts aus dicken Männern dünne Frauen.“
Mutter hat vor Freude geweint, als sie ihren Sohn zum ersten Mal auf der Bühne sah
Sie arbeiten Hand in Hand, beschreibt das Selbecker Duo. Um an Stoffe und Dekoration zu kommen, touren sie durch Europa, beziehen manches auch aus der Karnevalshochburg Brasilien. Dort, in seinem Heimatland, ist José inzwischen ein Star, wird auf der Straße erkannt und gibt einmal im Jahr Shows, deren Erlös oft für einen guten Zweck bestimmt ist. Längst weiß seine Mutter, dass ihr Junge seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, und ihr Stolz ist grenzenlos: „Als sie das erste Mal die Show im Revue Palast Ruhr gesehen hat, hat sie vor Freude geweint.“
Doch bis er im Rampenlicht angekommen ist, musste der Travestiekünstler, der seit rund 15 Jahren in Deutschland lebt, manchen Umweg nehmen, hat als Verkäufer, Kellner oder Schaufensterdekorateur gearbeitet, um sich über Wasser zu halten. Die Hürden – auch die der Bürokratie – waren hoch, trotz fester Jobs hatte er bereits eine Abschiebung in der Hand.
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Sein großes Ziel aber, Zuschauer mit seinen weiblichen Rollen durch die perfekte Illusion zu verzaubern, hat er nie aus den Augen verloren. Seine Zielstrebigkeit scheint sich ausgezahlt zu haben, in der Revue „Diamonds & Glamour“ steht er regelmäßig auf Zeche Ewald im Scheinwerferlicht. Die beste Gage überhaupt, das sei für ihn, von der Bühne aus Freude und Faszination im Publikum zu sehen, erzählt José Monteiro de Lima: „Das ist unbezahlbar.“
Weitere Informationen: revuepalast-ruhr.com, Kontakt zum Kostümatelier über Artkostüm.de und zum Make-up-Artist über josevisagist.de