Mülheim. Was genau prämiert wurde und wie es ist, mit 28 Jahren Chef einer Mülheimer Traditionsmetzgerei zu sein, haben wir Alexander im Brahm gefragt.

Alexander im Brahm ist gerade einmal 28 Jahre alt und bereits Chef gleich zweier Betriebe. In Essen mästet der Jungbauer schon seit einigen Jahren Schweine mit besonders hohen Haltungsstandards, in Mülheim-Heißen hat er im letzten Sommer die Traditionsfleischerei Gebrüder Nieß übernommen.

Beim diesjährigen Meisterstücke-Wettbewerb des Fleischerverbands Nordrhein-Westfalen haben Kreationen aus dem Hause Nieß alles abgeräumt, was abzuräumen war. Mit 14 Einsendungen wurde 14-mal Gold gewonnen. Obendrauf gab es den landesweit nur einmal vergebenen Innovationspokal: „für Carpaccio-Röllchen – Fingerfood aus Rinder-Carpaccio, Rucola, Parmesan und Olivenöl“. Wir haben diesen Preisregen zum Anlass genommen, um mit dem umtriebigen Alexander im Brahm darüber zu sprechen, wie es ist, mit Ende 20 als Quereinsteiger einen über 100-jährigen Familienbetrieb zu leiten.

Die Energiekrise macht der Fleischerei aus Mülheim-Heißen zu schaffen

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„Früher hatte ich drei Mitarbeiter, jetzt sind es 50“, sagt im Brahm in einem Büro hinter der Heißener Fleischerei. Es ist zehn Uhr morgens, vier Stunden Arbeit hat er da schon hinter sich. Jeden Tag pendelt im Brahm zwischen Essen-Kettwig und Mülheim hin und her. „Meine Tage sind lang.“ Im Brahm investiert viel in sein neues zweites Standbein, zeitlich und finanziell. Dass er eine große Verantwortung für die Mitarbeiter trägt, ist ihm bewusst.

Das Anziehen der Energiekosten in den letzten Monaten bereitet im Brahm deswegen auch große Kopfschmerzen. Trotz Energiepreisbremse zahle er momentan das Doppelte an seinen Stromlieferanten. Die Preise einzelner Lieferanten seien ebenfalls massiv gestiegen, teilweise von heute auf morgen. Ein wenig habe er deswegen die Kosten an die Kunden weitergegeben, mehr nicht, weil das Geld beim Kunden ja inflationsbedingt auch nicht mehr so locker sitze.

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Bei den Betriebsabläufen lässt er nichts unversucht, „dreht an Schräubchen hier und da“, um noch etwas einzusparen. Da wird auch Altbewährtes in Frage gestellt, zum Beispiel „ob die Theke auch abends noch voll mit Rumpsteaks sein muss“. Wo es geht, werden die Produktionsabläufe gestrafft – alles Neuerungen, die bekanntlich nicht bei jedem Typ Mitarbeiter sofort auf Verständnis stoßen.

Teambuilding und Incentives für eine neue Unternehmenskultur in Mülheim-Heißen

Damit das Betriebsklima trotzdem gut bleibt, setzt der neue Chef auch in Sachen Unternehmenskultur neue Akzente. Am Montag war er mit seiner Belegschaft beim Teambuilding in Essen. Auf dem Programm: witzige Koordinationsspiele, die das Gemeinschaftsgefühl stärken sollen, aber auch die Definition von Zielmarken, inklusive Incentives, also Anreizen zur Leistungssteigerung. Für ein Büro heute nichts Außergewöhnliches mehr – aber für eine Fleischerei? Für die meisten der deutlich älteren Mitarbeiter aus Produktion und Verkauf war es eine Premiere. Die hätten den Tag aber durchweg positiv aufgenommen: „Alle hatten Spaß – auch die Älteren.“

Themen für Genießer:

„Die Älteren“ im Laden sprechen die Kundinnen und Kunden auch schon einmal mit Namen an. Man kennt sich über die Jahre, das war schon immer so. Auf diese Verbindlichkeit und auf persönliche Beratung setzt im Brahm, wenn er seinen Mitarbeitern rät: „Ruhig auch mal fragen, wie der Schinken denn letzte Woche war.“ Wer dagegen ausstrahle, dass er auch gut ohne Kunden leben könne, der mache eben auch keine guten Geschäfte. Im Brahms Negativbeispiel: „Die Verkäuferin hinter der Fleischtheke im Supermarkt, die sich wegdreht, wenn der Kunde sich nähert.“

Die Mülheimer Fleischerei Nieß setzt verstärkt auch auf Fertigprodukte in Einmachgläsern. Die sind auch ohne Konservierungsstoffe lange haltbar.
Die Mülheimer Fleischerei Nieß setzt verstärkt auch auf Fertigprodukte in Einmachgläsern. Die sind auch ohne Konservierungsstoffe lange haltbar. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Boni, Führerschein-Finanzierung, Vier-Tage-Woche – Fachkräfte dringend gesucht

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Allein drei seiner acht Mitarbeiter in der Produktion gehen in den nächsten Jahren in Rente. Um neue Fachkräfte zu gewinnen oder selbst auszubilden, lässt der Jungunternehmer deswegen kaum etwas unversucht: Ein überdurchschnittlicher Stundenlohn, Unterstützung bei der Finanzierung von Führerschein, Auto oder Rad, mehr Urlaubstage, Bonuszahlungen und auf Wunsch auch kürzere Arbeitszeiten würden möglich gemacht. Sein neuer Koch habe nur zusagen wollen, wenn er in einer Vier-Tage-Woche arbeiten könne. Und genau das macht er jetzt auch. Köche mit Freizeit am Wochenende – der Fachkräftemangel macht’s möglich. Auf allen Kanälen suche man ununterbrochen mit größten Mühen. Und doch kämen kaum neue Bewerbungen rein.

Es ist also noch offen, wer zukünftig in Heißen die Klassiker wie Bierknacker, Kochschinken und Hausmachersalami (alles drei gold-prämierte Kreationen) herstellen soll. Fest steht, dass sich die Arbeit der Mitarbeitenden in den nächsten Jahren weiter wandeln wird. Fertigprodukte übernehmen eine größere Rolle. Im Regal neben der Frischetheke stehen bereits welche, verpackt nicht etwa in Plastikbechern, sondern – wie vor 100 Jahren – in Einmachgläsern. Verkauft werden sollen sie längerfristig aber im Internet. Der Onlineshop mit Grünkohl wie früher bei Oma ist ein Sinnbild für die Herausforderung, vor der Alexander im Brahm steht: Tradition und Innovation stimmig zusammenzubringen.