Mülheim. Matthew Norman ist Mülheims erster Mobilitätsbeauftragter. Er will Neues ausprobieren, um den Verkehr zu verbessern. Das sind seine Ideen.

Mehr ÖPNV-Angebote, bessere Fahrradstrecken, barrierefreie Fußwege! Seit vielen Jahren debattiert Mülheim über seinen Verkehr. Und nicht wenige haben den Eindruck, dass sich zu wenig abseits des Autos tut. Das könnte sich nun ändern: Mülheim hat seit Oktober mit Matthew Norman eigens einen Nahmobilitätsbeauftragten, wie es ihn etwa schon in Bochum und anderswo gibt. Wie will er in Mülheim die Verkehrswende auf den Weg bringen? Redakteur Dennis Vollmer sprach mit ihm.

Herr Norman, wie sind Sie heute Morgen zur Arbeit gekommen? War das schwierig?

Matthew Norman: Ich bin heute von Essen aus mit dem Rad gefahren, weil das Wetter gut war. Das ist eine halbe Stunde Fahrzeit über den RS1 und die Gruga-Trasse. Das ist unglaublich schön und entspannend, weil es sehr grün ist und es keine Berührungspunkte mit dem Auto gibt. Vor allem kann man dann mit dem Weg zur Arbeit etwas Sport betreiben, ohne Zeit am Tag zu ,verlieren’. Schwierig ist es nicht – nur auf dem Rückweg am Essener Uniklinikum ist es einigermaßen steil. Ansonsten fahre ich mit der U-Bahn.

Wir lösen das Rätsel, warum wir miteinander sprechen: Sie sind Mülheims neuer Nahmobilitätsbeauftragter – was macht der?

Gute Frage: Nicht nur ich bin neu, die Stelle selbst ist auch neu geschaffen worden. Ich bin dabei, Mülheim und die Verwaltungsprozesse besser kennenzulernen, mich in aktuelle Projekte einzuarbeiten sowie bestimmte Themen und die Zusammenarbeit mit diversen Arbeitsgruppen zu übernehmen. Ich bin aber noch in der Findungsphase und tausche mich mit Kollegen aus, wie ich mit meinen Ressourcen einen Mehrwert schaffen werde. Es geht mir grundsätzlich darum, die Verkehrswende voranzutreiben und nachhaltige Mobilitätsangebote für alle Menschen vielfältiger und bequemer zu gestalten.

„Wir müssen nachhaltige Mobilität attraktiv machen“

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Braucht Mülheims Verkehr einen Problemlöser? Und an welchen Stellen?

(lacht) Egal, wo man auf der Welt ist, es gibt immer Verkehrsprobleme zu lösen. Mein erster Eindruck von Mülheim ist aber sehr positiv. Der Radschnellweg zum Beispiel hat viel zu bieten. An anderen Stellen müssen aber genauso Radwege weitergeführt oder gebaut werden.

Die neue Mobilitätsbefragung hat allerdings gezeigt: Mülheim ist vom Verkehr her noch eine Autostadt, auch wenn man beim Rad schon Erfolge verbuchen kann. Wie sehen Sie die Zukunft des Autos in der Stadt?

Ich glaube, dass man die Mobilitätsbefragung nicht braucht, um zu sehen, dass Mülheim noch eine Autostadt ist. Allerdings sehe ich viel Potenzial für Mülheim als Fahrradstadt. Hier sind schon viele Radverkehrsanlagen, und die Radwegeinfrastruktur wird kontinuierlich ausgebaut. Der Radschnellweg hier in Mülheim ist einzigartig. Das Thema Autos in der Stadt muss man aber angehen. Jedes Jahr werden mehr Autos zugelassen und der Raum, den wir zu Verfügung haben, ist begrenzt. Wenn wir keine Alternativen schaffen, wird sich die Situation in zehn Jahren noch verschärfen. Wir müssen nachhaltige Mobilität so attraktiv machen, dass sie zur Lebenssituation von Nutzern passt, und dass Menschen dann sagen: „Ich brauche das Auto heute nicht.“

„Wir müssen nachhaltige Mobilität so attraktiv machen, dass sie zur Lebenssituation von Nutzern passt“: Matthew Norman ist offen dafür, neue Wege auszuprobieren.
„Wir müssen nachhaltige Mobilität so attraktiv machen, dass sie zur Lebenssituation von Nutzern passt“: Matthew Norman ist offen dafür, neue Wege auszuprobieren. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

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Ist die autofreie Innenstadt für Sie ein Ansatz, um Alternativen weiter zu fördern? Was spricht dafür, was dagegen?

Das Auto verbraucht viel Fläche, die man nutzen könnte, um die Stadt lebenswerter zu machen. Ich will mich dazu aber noch nicht grundsätzlich positionieren. Wenn es mit den Menschen und dem Umfeld verträglich ist, kann ich mir vorstellen, für eine gewisse Zeit bestimmte Maßnahmen auszuprobieren, ob ein autofreier Bereich funktioniert oder nicht. Wir sollten als Gesellschaft mehr Mut haben, neue Wege zu wagen. Selbst wenn wir scheitern, steckt darin ja eine Erkenntnis. Und: Wenn es hier nicht funktioniert, heißt es nicht, dass es anderswo nicht funktionieren kann.

Das Auto ist wichtig, weil die Nahversorgung verschwindet

Wir sprechen beim Verkehr zu selten über Fußgänger. Dabei ist ihr Anteil in Mülheim ebenfalls nicht besonders hoch. Nur in der Altstadt 1 erreichen wir mit 26 Prozent den gewünschten Modal Split. Ansonsten liegt er im Durchschnitt bei 15 Prozent, in Styrum bei 12, in Speldorf sogar nur bei 10. Laut Befragung ist der Anteil seit Jahren „nahezu unverändert“. Und selbst im Bereich unter einem Kilometer fahren noch 24 Prozent mit dem Auto. Was ist hier zu tun?

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Zunächst einmal: 25 Prozent Anteil für jedes Verkehrsmittel klingt utopisch, aber in der Altstadt zeigt sich, dass wir es erreichen können – das ist doch positiv. Warum die Zahlen so unterschiedlich sind, hat aber viel mit der vorhandenen Bebauung zu tun. Wer in der Fußgängerzone wohnt, kann vieles fußläufig erreichen. Wer aber am Oemberg in Saarn lebt, wird vermutlich das Auto oder das Fahrrad nehmen, wenn er zum Supermarkt will.

Unsere Mobilitätsbefragung zeigt zudem, dass die Zufriedenheit bei Fußgängern im Vergleich zum Auto- oder Radfahrer noch relativ hoch ist. Das heißt aber nicht, dass wir dafür nichts tun wollen. Wir haben uns für ein mit Landesmitteln finanziertes Projekt „Fußgänger-Check“ beworben, bei dem Gehwege geprüft werden – wie sind beispielsweise die Wege für Eltern mit Kinderwagen, für gehbehinderte Menschen oder aus Sicht eines kleinen Kindes –, um verschiedene Blickwinkel zu bekommen. Die Frage, warum wird bei Strecken unter einem Kilometer nicht mehr gelaufen, ist aber richtig. Das Laufen muss mehr Spaß machen – man weiß, dass eine schöne Gegend dafür sorgt, dass Menschen gerne laufen. Lärm, schlechte Luft, schlechter Belag, Unsicherheitsgefühle oder enge Wege verhindern das. In den 60er Jahren erschienen die Fußwege zu breit, man hat ihnen Platz weggenommen, und Parkplätze für das Auto eingerichtet. Das war nicht überall die beste Entscheidung. Vielleicht müssen wir auch das Image des Laufens verbessern, so, wie wir es beim Rad gemacht haben, das lange Zeit als Verkehrsmittel für arme Leute galt.

Mehr Nahversorgung versus Grüne Wiese: Auch eine Verkehrsfrage

Sind das für eine Stadt denn unveränderliche Gegebenheiten? Man hat ja auch Jahrzehnte lang zugelassen und damit gesteuert, dass Supermärkte mit riesigen Parkflächen sich in Gewerbegebieten ballen und im Gegenzug die Nahversorgung ums Eck verschwindet. Die Älteren erinnern sich an die „Tante Emma“-Läden – man brauchte kein Auto dafür.

Ja, die Situation in Saarn etwa ist in dieser Hinsicht nicht gut. Obwohl es dort auch kleine Erfolge gibt: Viele – von der Stadt bis zum Händler – haben darauf hingewirkt, dass zumindest ein Supermarkt wieder nahe am Saarner Dorfzentrum ist, sonst müssten die Anwohner auch hier ins Gewerbegebiet fahren. Wir werden aber vom Einzelhandel aus nicht mehr dahin kommen, dass die kleinen Tante-Emma-Läden zurückkommen. Auch weil jeder Kunde gerne aus einem Riesensortiment auswählen will. Wer nicht mit dem Auto fahren will oder kann, kann auf verschiedene Lieferservices zurückgreifen, was unter Verkehrsgesichtspunkten, wenn die Logistikketten gut sind, besser ist, als wenn alle aus dem Quartier ins Gewerbegebiet fahren. Am Ende ist es auch eine Lebensstilfrage, ob man täglich wenig für den Bedarf kauft oder einmal in der Woche einen Großeinkauf macht.

„Laufen muss wieder mehr Spaß machen“

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Nur 23 Prozent erledigen den Einkauf zu Fuß – 61 Prozent mit dem Auto, acht mit dem Rad. Wenn Mülheim klimaneutral werden soll, muss die Stadt solche „Lebensstilfragen“ steuern. Wie kann sie das?

In meiner Heimatstadt in Louisiana zum Beispiel konnte ich, obwohl es fußläufig nur fünf Minuten entfernt ist, nicht zum Supermarkt laufen, weil der Gehweg einfach aufhört und die große Straße keine sichere Überquerungsmöglichkeit hat. Hier wäre es für viele Menschen möglich, aber sie fahren mit dem Auto. Manchmal ist es vielleicht unvermeidbar, mit dem Auto zu fahren, aber oft wird es nur aus Gewohnheit gewählt. Im Vergleich macht der Weg zum Supermarkt in Mülheim nicht die große Verkehrsleistung aus. Das sind in der Regel ein bis zwei Kilometer. Mit dem Blick auf Klimaneutralität ist es trotzdem wichtig, irgendwo anzufangen und unser Mobilitätsverhalten zu reflektieren.

Dann haben Sie als Nahmobilitätsbeauftragter viel zu tun: Haben Sie dafür das Budget?

(lacht) Wir kennen die Haushaltslage in Mülheim, die eigentlich nicht mehr so schlecht ist. Ich bin aber aus einem anderen Grund zuversichtlich: Dass Mülheim die Stelle eingerichtet hat, war ja bereits eine politische Entscheidung, die Probleme angehen zu wollen. Ich glaube daher, dass wir mit der Lösung nicht alleine gelassen werden. Es gibt die Überlegung, im künftigen Haushalt eine Summe unter dem Titel „Nahmobilität“ zu fassen. Doch das würde vermutlich nicht ausreichen, weil die Nahmobilität immer auch andere Budgets betreffen wird. Künftig wird bei allen Bauvorhaben auch der Nahmobilitätsbeauftragte mitsprechen, wie gebaut wird.