Mülheim. Nun also doch: Kurz vor der Vogelschutzzeit lässt Mülheim etliche Bäume für die Mountainbike-Strecke am Großen Berg fällen. Die Hintergründe.
„Weiter, weiter!“ – doch die Räder des Hubwagens drehen auf dem Boden im Uhlenhorster Wald auf der Stelle durch. Und auch die Platten, die die Baumfäller zur Stabilisierung ausgelegt haben, drücken die Reifen unter sich weg. Die Fällungen, die der Mülheimer Sportservice zur Sicherung der künftigen Mountainbike-Strecke beauftragt hat, beginnen am Montagmorgen mühselig. Bis Dienstag aber müssen sie erledigt werden, weil danach die Vogelschutzzeit beginnt.
Kurz vor knapp also schafft die Stadt Fakten für eine Mountainbike-Strecke am Großen Berg. 19 Bäume hat der beauftragte Baumdienst aus Gelsenkirchen auf seinem Plan: hauptsächlich Eichen, Birken. Dort sind sie rot als „abgestorben“ markiert. Als stehendes Totholz hätten sie zwar immer noch eine nicht unwichtige ökologische Funktion. Doch wenn hier künftig legal Mountainbiker durch den Wald strampeln, werden sie zur Gefahr, könnten sie auf die Biker fallen. An sieben weiteren blau markierten Bäumen sollen deshalb die Kronen beschnitten und tote Äste entfernt werden.
Anwohnerin: „Die Strecke für die Kinder hätte man stehen lassen sollen“
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Eine Rolle Sperrband teilt die Fläche ab, „Forstarbeiten. Lebensgefahr“ warnt eindringlich ein Schild mit Totenkopf. Mit dem Hubwagen – der hat es mit Anschieben doch noch auf die Fläche geschafft – geht’s dann ganz nach oben. Eine Amsel hat in der Gruppe der aus wie gefallenen Dominosteinen ineinander stehenden Birken, Eichen und dichtem Efeu bereits ein Nest gebaut und sucht aufgeschreckt das Weite. Vögel kennen eben keine gesetzlichen Vogelschutzzeiten.
Dann teilt ein grellorangefarbener Mitarbeiter mit knatternder Säge erst große Äste und später Teile der Stämme ab. 20 Minuten später ist von dem Jahrzehnt alten Baumensemble nur noch ein Halbstamm übrig. Manche Spaziergänger zeigen sich empört über den Eingriff in das Wald- und Naturschutzgebiet: „Die Strecke für die Kinder hätte man stehen lassen sollen“, beschwert sich eine Frau.
Zweifel: Wie ,demokratisch’ gingen Stadt und Politik vor?
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„Es war eine demokratische Entscheidung“, hält ein Mitarbeiter ihr entgegen. Die Frau winkt ab: „Eine Katastrophe!“ Zweifel an dem demokratischen Vorgang hat nicht nur die Bürgerin, sondern zunächst auch die Bezirksregierung, die ihre Prüfung einer Fachaufsichtsbeschwerde gegen die Umweltbehörde der Stadt noch nicht abgeschlossen hat. Der Vorwurf: Naturschutzbeirat und auch Umweltausschuss wurden nur zögerlich, spät oder auch gar nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen.
Und schließlich hatte der Rat der Stadt im Dezember gegen die Argumente und das kritische Votum des Naturschutzbeirates entschieden, das Waldstück durch eine naturschutzrechtliche Befreiung für eine legale MTB-Strecke zu öffnen.
„Die Frage, wie mit demokratischen Strukturen etwa des Naturschutzbeirates und des Umweltausschusses umgegangen wurde und künftig wird, wird uns sicher noch beschäftigen“, vermutet Dietrich Rohde, der als Mitglied im Naturschutzbeirat seinem Ärger darüber schon Luft machte. Aus seiner Sicht umging der Rat mit seinem Entscheid ebenso Beschlüsse zur Strecke, die der Umweltausschuss im März 2022 gefasst hatte. „Was ist dann der Beschluss eines Fachausschusses oder Gremiums noch wert?“
Befreiung nur vorläufig: Änderungsverfahren läuft weiter
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Allerdings: Auch die naturschutzrechtliche Befreiung durch den Rat gilt nur vorläufig, denn die eigentlich notwendige Prüfung durch ein Landschaftsplanänderungsverfahren läuft weiter. Kritiker der Strecke befürchten jedoch, dass mit der vorläufigen Befreiung und dem nun legalisierten Fahren durch das Gebiet unwiderrufliche Schäden am Wald verursacht werden.
Auf Bürgerseite ist Anwohnerin Ute Menzel, die eine Petition mit mehr als 500 Bürgerstimmen auf den Weg gebracht hatte, „enttäuscht und traurig, wenn man den Umgang mit diesem Lebensraum sieht. Anderswo will die Stadt ,Miniwäldchen’ pflanzen – man kann es nicht mehr nachvollziehen“. Eingeladen hatten OB und Politik zwar den MTB-Verein Trailriders Ruhr, jedoch die vermeintliche Gegenseite – die Befürworter der Petition – nie. Aus ihrer Sicht wurde hier die Chance auf eine gemeinsame Lösung vertan, die Spaltung hingegen wurde machtpolitisch maximal vorangetrieben.
Auch Menzels Appell an den NRW-Umweltminister Oliver Krischer ist verhallt. Jetzt bleibe ihnen nur noch, „alle Missstände im Umfeld festzuhalten und anzumahnen“, sagt sie.