Mülheim. Das Brecht-Fragment „Fatzer“ ist nun in einer Abendfassung im Theater an der Ruhr zu sehen. Die Geschichte spielt kurioserweise in Mülheim.
Das Theater an der Ruhr bringt das Brecht-Fragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ nach einer ersten Kurzversion jetzt in einer abendfüllenden Fassung auf die Bühne. Die Inszenierung von Philipp Preuss mit den Schauspielern Leonhard Hugger, Fabio Menendez, Steffen Reuber, Rupert Seidl und Gabriella Weber hatte am Freitag Premiere am Raffelberg – und konnte sich sehen lassen.
„Das war ein sinnlicher Theaterabend“, kommentierte eine Zuschauerin. Und ein anderer Besucher fragte sich: „Hat Brecht seine Handlung tatsächlich in Mülheim an der Ruhr spielen lassen oder ist das ein Werbegag?“ Das Publikumsgespräch mit Regisseur Philipp Preuss und dem ebenfalls zur Theaterleitung gehörenden Helmut Schäfer klärte auf: „Bert Brecht hat die im Kriegswinter 1917/18 spielende Handlung seines in den Jahren 1927 bis 1931 geschriebenen, aber zu seinen Lebzeiten nie aufgeführten 400-Seiten Fragments tatsächlich in Mülheim an der Ruhr spielen lassen.“
Warum hat Brecht seine Handlung in Mülheim spielen lassen?
Auch interessant
Warum? Darüber können auch Preuss und Schäfer nur spekulieren. Am wahrscheinlichsten erscheint ihnen die Tatsache, das Mülheim, die damalige Garnisonsstadt an der Ruhr, in der Stinnes und Thyssen für die kriegswichtige Ruhrindustrie standen, „ein Symbol für das Ruhrgebiet war, in dem viele kriegsmüde Arbeiter und Soldaten von einer sozialistischen Revolution und von einer Räterepublik träumten, die im März 1920 dann auch hier errichtet werden sollte.“
Die mit sicht- und spürbarer Leidenschaft vom Ensemble auf die Bühne gebrachte Handlung spielte sich vor und hinter einem hauchdünnen und fast durchsichtigen Vorhang ab. Ein Reporter, der mit seinem Mikrofon immer wieder vor den Vorhang trat, um die Handlungen der zwischen Solidarität und Verrat schwankenden vier Deserteure und einer ihrer nach Frieden, Alltagsnormalität und sexueller Befriedigung verlangenden Ehefrau kommentierte, erinnerte an die Fernsehkriegsreporter heutiger Tage.
Krieg in der Ukraine macht die Fatzer-Inszenierung des Theaters an der Ruhr aktuell
Auch interessant
Ihn hatten Preuss und Schäfer in das von ihnen gemeinsam erarbeitete, etwa 40 Seiten starke Inszenierungsskript, hineinkomponiert. Aus gutem Grund. Denn nicht nur der Krieg in der Ukraine macht die Fatzer-Inszenierung des Theaters an der Ruhr auf bedrückende Weise aktuell.
Das Premierenpublikum erlebte eine buchstäblich filmreife Inszenierung. Die Bühnenbildnerin und der Tontechniker – Ramallah Aubrecht und Uwe Muschinski – machten es möglich. Auch wenn die Protagonisten sich für ihr konspiratives Tun hinter den Vorhang zurückzogen, konnten die Zuschauer sie dennoch genau beobachten. Das hatte etwas von Big Brother. Der Einsatz von Mikrofon- und Kameratechnik trug zu diesem Eindruck bei. Hinzu kam der eingespielte (entfernt zu hörende) Geschützdonner, der das Geschehen wirkungsvoll untermalte. Der Inszenierung gelang es, das Publikum tief in die Handlung hineinzuziehen.
Das Stück ist erneut zu sehen am 26. Februar um 19.30 Uhr im Theater an der Akazienallee 61. Informationen zum „Fatzer“ unter www.theater-an-der-ruhr.de.