Mülheim. Premiere für Thomas Bernhards „Das Kalkwerk“ im Mülheimer Theater an der Ruhr. Ein irrer Soloabend mit dem Vollblut-Schauspieler Felix Römer.

Das neue Jahr beginnt im Theater an der Ruhr mit einem Ausrufezeichen: In einem Solo, für das das Wort „irre“ nur eine vage Beschreibung ist, stürzt sich der Schauspieler Felix Römer in die Abgründe des Romans „Das Kalkwerk“ von Thomas Bernhard.

Das ist ein wagemutiges Unterfangen, nicht frei von Längen, aber es bietet auch reichlich Spielfutter für einen begnadeten Darsteller, der die Zuschauer vor lauter Volldampf-Virtuosität am Ende erschlagen und doch begeistert zurücklässt.

Die Stücke von Thomas Bernhard, dem meisterhaften Schimpfer, erleben gerade eine kleine Renaissance. Vom „Theatermacher“ bis zum „Heldenplatz“: Die Zeit scheint wieder reif zu sein für etwas eleganten Spott aus der Bernhardschen Sprachschmiede, die bis heute nichts von ihrer Kraft und Komplexität verloren hat. Der Aufführung in Mülheim eilt ein Ruf wie Donnerhall voraus. Regisseur Philipp Preuss, der mittlerweile zum Leitungsteam des Theaters an der Ruhr gehört, richtete sie 2014 an der Berliner Schaubühne ein, wo sie über 120 Vorstellungen erlebte.

Grausame Experimente in einem einsamen Kalkwerk

Warum sich bislang nur wenige an eine Adaption des „Kalkwerks“ getraut haben, wird schnell klar: Denn es braucht schon massive Eingriffe, um aus dem kunstvoll geschriebenen Werk überhaupt eine Art Bühnenfassung zu stricken. Nicht nur der Konjunktiv, in dem Bernhard seine Erzählung gnadenlos verfasst hat, ist verschwunden. Das größte Opfer: Preuss löst die Figur des Erzählers auf. Während der Roman seinen Reiz dadurch erhält, dass man die schwer zu greifende Figur des Konrad nur aus der Ferne eher schemenhaft serviert bekommt, steht sie hier schreiend und bebend mitten auf der Bühne.

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In einem Parforceritt spielt Felix Römer diesen Mann, der sich mit seiner pflegebedürftigen und scheinbar willenlosen Gattin in ein einsames Kalkwerk zurückgezogen hat, um dort grausame Experimente an ihr durchzuführen. Die diffuse „Studie“ über das menschliche Gehör, über der Konrad schon Ewigkeiten brütet, verlangt seine ganze Aufmerksamkeit.

Vielleicht sitzt Konrad hier längst in einer Anstalt

Ob das alles tatsächlich passiert oder nur Konrads dunklen Gedankengängen entspringt, bleibt offen. Die hohen weißen Wände im Bühnenbild von Ramallah Aubrecht, in der bisweilen kleinere Videos gespielt werden, lassen auch den Schluss zu, dass Konrad längst in der Anstalt sitzt.

So waghalsig der Zugriff auch sein mag: Einem Vollblut-Schauspieler wie Römer dabei zuzuschauen, wie er sich diese Rolle genüsslich einverleibt, ohne Scheu vor großen Posen, macht Freude. Seine stärksten Momente hat er, wenn er sich wie aufgedreht am Wohlklang der Sprache berauscht – dies auch gern unter tatkräftiger Mithilfe des Publikums. Wörter wie „Rinnsal“, „Uruguay“ und „Urologe“ sind selten so schön betont über die Rampe geflogen wie an diesem Abend.