Mülheim. Auf satirische Weise stellt eine Expertin die größten Bausünden Mülheims vor. Dabei macht sie auch nicht vor Häusern von Privatpersonen Halt.
Über Mülheim kreist der Abrisshammer, zumindest ein metaphorischer. Denn geht es nach der Architekturhistorikerin Turit Fröbe, gibt es in der Stadt gleich zwölf Bauwerke und Vorgärten, die aus Gründen mangelnder Ästhetik dem Erdboden gleichgemacht gehören. Dreist? Anmaßend? Mit ihrem „Abrisskalender 2023“ will die Fachfrau bewusst provozieren. Seit mehreren Jahren setzt sie sich auf humorvoll-satirische Art mit dem Thema Bausünden auseinander, hat mittlerweile ein umfangreiches Fotoarchiv an speziellen Bauten gesammelt.
In der diesjährigen Ausgabe des Kalenders, in dem jeder Tag und jedes Blatt einer neuen Bausünde der Republik gewidmet ist, kommt Mülheim vergleichsweise oft vor. Neben Berlin und Hamburg führt die Ruhrstadt die Statistik an, die beschämend wäre, wäre sie nicht als Spaß gemeint. „Die Bildauswahl ist subjektiv, ausschließlich vom Zufall bestimmt und hochgradig ungerecht. Sie sagt rein gar nichts über die Stadtbilder aus, in die die Bausünden eingebettet sind“, schreibt Turit Fröbe im Vorwort ihres Kalenders.
Mülheim liegt in Sachen Bausünden noch vor Duisburg
Die Nachbarstadt Duisburg etwa ist mit zehn Bausünden beinahe genauso oft vertreten wie Mülheim. Wieso das so ist? „Wenn einige Städte häufiger präsent sind als andere, kann es daran liegen, dass ich auf ein Nest gestoßen bin, in dem sich die Nachbarn untereinander zu kreativen Höchstleistungen inspiriert haben“, sagt die Architekturhistorikerin, um dann voller Ernst aufzuklären: „Wahrscheinlicher aber ist, dass ich mich dort einfach länger aufgehalten habe und entsprechend mehr Zeit hatte, Fundstücke aufzuspüren.“
Originelle Bausünden seien selten und fast so schwierig zu finden wie gute Architektur.
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Die meisten der im Kalender abgebildeten architektonischen oder landschaftsbaulichen Sünden sind kaum einem Standort zuzuordnen. Wer nicht selbst in der „Sünde“ oder deren unmittelbarer Nähe wohnt, dürfte es gar nicht unbedingt erkennen. Höchstens an kleinen Details oder Figuren, wie zum Beispiel Delfinen im anthrazitgrauen Schottergarten – siehe Abrissbild vom 29. November 2023.
„Villa Kunterbunt“ in Mülheim Dümpten: Wer wohnt in dem Haus?
Aber: Können wir wirklich keins der „Mülheimer“ Kalenderblätter identifizieren? Doch, wir werden fündig: Ein weiß-blau gekacheltes Haus in Dümpten, Ortskundigen dürfte es als „Villa Kunterbunt“ bekannt sein. An der Gathestraße gelegen fällt es durch die gekachelte Optik auf, geflieste und aus Mosaiksteinen gefertigte Stillleben runden das bemerkenswerte Bild ab.
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Ein bisschen wirkt es wie aus der Zeit gefallen, dieses besondere Stück Architektur. An der Seite des optisch sehr auffälligen Hauses prangt in großen Lettern die Adresse, darunter zwei Fenster, die mit gelb-gestreiften Markisen überspannt sind. Klingelschilder und Briefkästen deuten darauf hin, dass das Haus bewohnt ist. Bei unserem Besuch vor Ort war leider niemand aus der Bewohnerschaft anzutreffen – die Reaktion auf die Nennung im „Abrisskalender“ wäre sicher spannend gewesen.
Sollten Sie selbst Bewohnerin oder Bewohner der „Villa Kunterbunt“ in Dümpten sein und möchten uns und die Leserschaft über die Geschichte dieser außergewöhnlichen Immobilie aufklären, melden Sie sich gerne per E-Mail an redaktion.muelheim@waz.de oder telefonisch unter 0208 4430831 bei der Redaktion.
Turit Fröbes „Abrisskalender“ (DuMont Buchverlag) zum Hängen und Aufstellen umfasst 368 Seiten und hat das Format 13 mal 16,3 Zentimeter. Der Preis beträgt 18 Euro. ISBN: 978-3-8321-6903-9. Zu bestellen auf www.dumont-buchverlag.de.