Mülheim. Ein Mitarbeiter des Mülheimer AZ wird wegen Attacken gegen Polizisten bestraft. Beim umstrittenen Einsatz wurde er selber blutig geschlagen.

Vor dem Mülheimer Amtsgericht wurde am Montag das Strafverfahren gegen einen Mitarbeiter des Autonomen Zentrums (AZ) fortgesetzt. Erneut seziert wurde der gewaltsame Polizeieinsatz im AZ am frühen Morgen des 8. Juni 2019, zu dem es bereits bei vorangegangenen Terminen umfangreiche Zeugenvernehmungen gegeben hatte.

Der Fall ist verworren, die Aussagen verschiedener Polizeibeamter und AZ-Mitarbeitender sind widersprüchlich, lückenhaft, und manche Vorkommnisse wohl nicht mehr zweifelsfrei zu klären. Gleichwohl traf die Vorsitzende Richterin Koch nun eine Entscheidung: Der AZ-Mitarbeiter wird wegen Widerstands sowie tätlicher Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Theoretisch hätte ihm sogar eine Freiheitsstrafe gedroht.

Mülheimer Amtsgericht verurteilt AZ-Mitarbeiter zu einer Geldstrafe

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Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer eine noch etwas höhere Strafe gefordert: 90 Tagessätze zu 25 Euro wegen tätlicher Angriffe. Das Gericht milderte die Geldstrafe letztlich, da der Angeklagte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert war, und weil er verletzt wurde - als einziger der Beteiligten. Die Richterin sieht es aber als erwiesen an, dass der AZ-Mitarbeiter einen Polizisten zunächst weggeschubst und später - bereits mit Handschellen gefesselt und verletzt - demselben Beamten auf dem Weg zum Streifenwagen einen Schulter- oder Kopfstoß versetzt habe.

In zwei weiteren Anklagepunkten wurde der Mülheimer indessen freigesprochen: Weder war ihm Beleidigung nachzuweisen (behauptet wurde, er habe im Streifenwagen „Bullenschweine“ gerufen), noch eine Spuckattacke auf einen Polizisten. An diese konnte sich außer dem Betroffenen selber niemand erinnern - und besagter Polizeibeamter hatte das angeblich befleckte Diensthemd entsorgt, somit das mögliche Beweismittel vernichtet. Auch die Staatsanwältin hatte diese Vorwürfe bereits fallen lassen, da sie nicht erwiesen seien.

Verteidigung hält Aussagen der Polizeibeamten für unglaubwürdig

Dennoch ist das Urteil für den AZ-Mitarbeiter und seinen Anwalt ein harter Schlag. Strafverteidiger Daniel Werner stemmte sich am Montag noch einmal mit aller Energie gegen einen Schuldspruch. So beantragte er zu Beginn der Verhandlung, beteiligte Polizeibeamte in Gegenwart eines psychologischen Gutachters erneut zu vernehmen, da es Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Zeugenaussagen gebe. Das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab.

Aus verschiedenen Gründen hielt der Verteidiger die Aussagen der Polizeizeugen für fragwürdig. Ein besonders schwerwiegendes Argument war für ihn die Tatsache, dass gegen drei Polizeibeamte, die am 8. Juni 2019 im AZ eingesetzt waren, Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt erstattet worden waren. Einer habe seinen gefesselten Mandanten so heftig mit der Faust ins Gesicht geschlagen, dass er eine Platzwunde erlitt: „So etwas ist in einem Rechtsstaat nicht zulässig.“ Ebenso angezeigt worden war ein Arzt, der dem betrunkenen AZ-Mitarbeiter im Mülheimer St.-Marien-Hospital gegen dessen Willen eine Blutprobe entnommen hatte.

Krankenhausarzt und drei Polizisten längst wegen Körperverletzung angezeigt

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Bereits am 22. Oktober 2020 seien diese Anzeigen erstattet worden, sagt der Anwalt, mehrfach habe er bei der Staatsanwaltschaft Duisburg nachgehakt, doch nichts sei passiert. Von einer „Vorfestlegung der Staatsanwaltschaft“ geht er aus - umso größer die Bedeutung des amtsgerichtlichen Urteils, das nun seinen Mandanten als Täter dastehen lässt.

Warum er diese Einschätzung für falsch hält, hatte der Verteidiger in einem 70-minütigen Schlussvortrag vor dem Amtsgericht noch einmal dezidiert dargelegt. Die Geschehnisse an jenem Frühsommermorgen, am Ende einer langen Nacht im AZ, schilderte er noch einmal im Detail. Ein Gast hatte die Polizei alarmiert, nachdem er mit Pfefferspray attackiert worden war. Den Täter beschrieb er als blonden Mann. Die beiden männlichen AZ-Mitarbeiter aber, die zur Polizei ans Tor traten, darunter der Angeklagte, sind dunkelhaarig, kamen also generell nicht als Tatverdächtige in Frage - höchstens als Zeugen.

Gericht: Feststellung der Personalien unter Zwang war rechtmäßig

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Ihre Personalien feststellen lassen wollten sie nicht und wehrten sich verbal gegen die polizeiliche Kontrolle. Um die Fragen, ob die Polizei die Identitätsklärung bei Zeugen gewaltsam durchsetzen durfte, ob sie die Betroffenen vorher hätte belehren müssen, drehte sich schon in den früheren Verhandlungen eine verzwickte juristische Diskussion. Für das Urteil spielte sie letztlich doch keine Rolle - die Richterin sah die Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme gegeben.

Für den Verteidiger ist der Vorfall ein Unding, das er vorrangig auf die bekannt polizeikritische Haltung des Autonomen Zentrums Mülheim zurückführt: „Beim Einsatz in einer anderen Diskothek hätte man vermutlich nachgefragt, wer an dem Abend Dienst hatte, und diese Personen dann als Zeugen vorgeladen. Das wäre ein alternativer Weg gewesen.“

Angeklagter: „Problem lag allein im Ego des wortführenden Polizeibeamten“

Für den AZ-Mitarbeiter endete die Nacht mit vielfältigen Prellungen, Schürfwunden, einer stark blutenden Platzwunde an der linken Augenbraue und Verletzungen an den Unterarmen, durch die Handschellen verursacht. In einem persönlichen Schlusswort, das er sichtlich bewegt vortrug, sagt der Mülheimer unter anderem: „Das Problem lag allein im Ego des Wortführers“ - des Polizeioberkommissars, der nicht vor den versammelten Kolleginnen und Kollegen zurückrudern wollte, als ihm die Argumente für eine Personenkontrolle ausgingen.

Es müsse eine unabhängige Ermittlungsstelle für Fälle von Polizeigewalt geben, so der AZ-Mitarbeiter - „dieses Gerichtsverfahren zeigt, wofür sie nötig wäre“. Nun sei er als Betroffener selber angeklagt - in einem Verfahren voller Widersprüche.

Dieses Mal keine Protestaktion vor de Gerichtsgebäude

Auf eine Protestkundgebung gegen Polizeigewalt, wie es sie bei früheren Terminen vor dem Mülheimer Amtsgericht gegeben hatte, wurde dieses Mal verzichtet. Nach der Urteilsverkündung wurde der AZ-Mitarbeiter aber vor dem Gebäude von rund 20 Bekannten und Freunden empfangen, die teilweise auch der Verhandlung im Saal beigewohnt hatten. „70 Tagessätze für nix“, sagte einer draußen auf der Straße.

Doch der letzte Haken ist an diesen Rechtsstreit noch nicht gesetzt. Man werde gegen das Urteil auf jeden Fall Rechtsmittel einlegen, teilte der Verteidiger des AZ-Mitarbeiters am Montag auf Anfrage dieser Redaktion mit. Er fügte hinzu: „Dass die Richterin auf das ausführliche letzte Wort meines Mandanten mit keiner Silbe eingegangen ist, lässt mich sprachlos zurück.“