Mülheim. Menschen, die am Rande stehen: Was wünschen sie sich für 2023? Bei einer Weihnachtsfeier in Mülheim fanden einige von ihnen deutliche Worte.
Dass an diesen Tagen vor Weihnachten auch an sie gedacht wird, erlebten etwa 50 sozial benachteiligte Menschen aus Mülheim, die von der 2002 ins Leben gerufenen christlichen Aktion „Aufwind“ ins Gemeindehaus der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde an der Auerstraße eingeladen wurden. Bei gutem Essen, guten Gesprächen und guter Livemusik (von Keyboarder Dirk Biesgen und Sängerin Sandra Schmidt) sollten sie für einige Stunden von der Schatten- auf die Sonnenseite des Lebens wechseln.
Mit-Organisator Norbert Tischmeyer ließ sich in seinem Grußwort von der Weihnachtsgeschichte inspirieren und verglich die Hirten auf dem Felde, die als erste von der Geburt Jesu erfuhren, mit den Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft stehen, weil sie zum Beispiel durch Krankheit, Drogen, Arbeits- und Wohnungslosigkeit aus ihrer Lebensbahn geworfen sind.
Adventsfeier der Mülheimer Aktion Aufwind in „frustrierenden Zeiten“
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Automobilingenieur Tischmeyer, der nach eigener Aussage „in einer schweren Lebenskrise Menschen gefunden hat, die mich an die Hand genommen und wieder aufgerichtet haben“, sagte seinen Gästen: „Die Frohe Botschaft Jesu richtet sich gerade an euch, die ihr gefallen, aber wieder aufgestanden seid.“ Sie könne Mut machen, auch in beängstigenden und frustrierenden Zeiten von Corona, Krieg, Energiekrise und Inflation. Diese Redaktion hat die Adventsfeier der Aktion „Aufwind“ genutzt, um die Gäste nach ihren Hoffnungen und Wünschen für 2023 zu fragen.
Ein 56-jähriger Mann mit Wollmütze und leicht ergrautem Haar sagt: „Die heutige Einladung ist in meiner bescheidenen Situation eine schöne Ablenkung im harten Alltag, aber auch nicht mehr. In Deutschland muss sich viel ändern, vor allem die Politik. Sie kümmert sich zu viel um arme Menschen, die zu uns kommen, und zu wenig, um die vielen Leute, die hier schon ihr ganzes Leben verbracht haben und denen es echt dreckig geht.“
Gäste kritisieren: Politik lässt arme Menschen im Stich
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Renate (73) wünscht sich, „dass ich weiterhin die Kraft habe, nach vorne zu schauen, weil es anders nicht geht, und dass ich hier weiter eine Gemeinschaft finde, in der man zusammenhält, sich zuhört und sich auch hilft.“ Von der Politik fühlt sie sich auf allen Ebenen im Stich gelassen. „Der Oberbürgermeister und die Regierung müssten mal was für unsere Kreise tun, zum Beispiel für Obdachlose und arme Rentner.“ Vor allem im Norden der Stadt tue sich nichts. „Für die armen Menschen bewegt sich nichts“, meint die Rentnerin. „Die sind für die Politik nicht wichtig und interessant.“
Eine Vertreterin der jüngeren Generation ist Annika. Die 35-Jährige berichtet bei Kaffee und Gebäck: „Ich habe lange als Teilzeitkraft und Kassiererin im Einzelhandel gearbeitet. Aber das war für mich zu stressig und hat mich psychisch krank gemacht. Jetzt suche ich nach einer Langzeit-Reha eine betreute Wohngemeinschaft, in der Menschen wie ich an die Hand genommen und wieder fit gemacht werden.“ Doch leider gebe es zu wenige solcher WGs. Umso schöner seien Aktionen wie diese von „Aufwind“, sagt Annika: „Sie denken an die Menschen, denen es nicht gut geht.“
Wunsch nach Frieden in der Ukraine und Feldbetten in U-Bahnhöfen
Größter Wunsch von Jürgen (75) ist Frieden in der Ukraine - „und dass die Preise wieder runtergehen, damit es allen besser geht“. Außerdem fände er es schön, wenn an kalten Tagen U-Bahnhöfe, Einkaufszentren und Turnhallen mit Feldbetten ausgestattet würden, um so als winterfeste Übernachtungsmöglichkeit für Obdach- und Wohnungslose zur Verfügung zu stehen. Menschen in der Krise, wünscht er vor allem „den Mut und die Klugheit, Hilfe anzunehmen, Veränderung zu wagen, auf gute Menschen zuzugehen und schlechten Menschen aus dem Weg zu gehen“.
Hermann (57) wünscht sich für 2023 vor allem „Gesundheit und Menschen, die einem ab und zu helfen“. Außerdem würde er sich über „mehr Schlafplätze für Obdachlose und mehr Streetworker freuen, die einen Blick für Menschen haben, die auf der Straße leben und denen es schlecht geht“.
Mehr Hilfsbereitschaft, mehr bezahlbarer Wohnraum
„Ich war schon mal fast tot“, sagt die 68-jährige Christel über sich selber. Für 2023 wünscht sie sich viele Stunden mit netten Menschen, wie sie sie an diesem Samstag bei „Aufwind“ erlebt. Die Mülheimerin hofft, „dass die Menschen wieder freundlicher und hilfsbereiter miteinander umgehen und dabei den Wert der Gemeinschaft wiederentdecken und erleben“. Dem schließt sich Helmhard (71) gerne an und ergänzt noch den Wunsch, „dass es wieder mehr bezahlbaren Wohnraum und gute Nachbarschaft“ geben möge, „damit niemand mehr Wohnungs-Punk erleben muss“.
Jörg (57), der laut eigener Schilderung nach einer 35-jährigen Drogenkarriere seit 2018 wieder clean ist, gehört jetzt zum Mitarbeiterteam der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde an der Auerstraße. Er wünscht sich, „dass viele Menschen in einer Lebenssituation, wie ich sie erlebt habe, Gott und Menschen kennenlernen, die wohlwollend auf sie zugehen und sie so ermutigen, ihr Leben zum Besseren zu verändern“.