Essen. Sorge vor Abzocke, wenn die Strom- und Gaspreisbremse kommt: Das Bundeskartellamt soll künftig prüfen, wenn es merkwürdige Preisanstiege gibt.
Beim Bundeskartellamt kommt bereits jetzt jede Menge Post von Verbraucherinnen und Verbrauchern an, die gegen gestiegene Strom- und Gaspreise vorgehen wollen. Dem Vernehmen nach haben schon erste Medienberichte über eine mögliche „Abkassierbremse“ der Bundesregierung den Briefkasten der Wettbewerbshüter gefüllt. Dabei ist das entsprechende Gesetz noch längst nicht in Kraft getreten.
Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW kann die Aufregung grundsätzlich nachvollziehen. „Zum Jahreswechsel drohen sehr vielen Haushalten sehr hohe Strom- und Gaspreissteigerungen“, sagt er. Für die betroffenen Menschen sei es zum Teil bereits die dritte Preiserhöhung seit Herbst 2021. Entsprechend groß ist die Nervosität zum Jahreswechsel.
Auch das von Robert Habeck (Grüne) geführte Bundeswirtschaftsministerium zeigt sich besorgt. „Nach dem russischen Angriffskrieg sind die Preise für Energie an den Beschaffungsmärkten enorm gestiegen. In der Folge leiden viele Verbraucherinnen und Verbraucher“, erklärt eine Ministeriumssprecherin. Linderung soll unter anderem eine „Soforthilfe“ bringen, die Verbraucherinnen und Verbraucher von den Dezember-Abschlägen für Gas und Wärme befreit. Ab März kommenden Jahres soll dann die „Gas- und Strompreisbremse“ greifen – rückwirkend auch für die Monate Januar und Februar. Für private Haushalte ist geplant, dass eine Grundmenge von 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs staatlich subventioniert wird. Gas soll dann nicht mehr als zwölf Cent pro Kilowattstunde kosten, Strom nicht mehr als 40 Cent. Darüber hinaus gelten weiter die Marktpreise.
„Ungerechtfertigte Preiserhöhungen unterbinden“
Die Gesetze zur Gas- und Strompreisbremse sollen nach Angaben des Ministeriums auch Regeln zu einer Missbrauchskontrolle enthalten. Das Ziel sei, „ungerechtfertigte Preiserhöhungen zu unterbinden“. Zuständig für die Durchsetzung der Regeln soll das Kartellamt sein. Die Wettbewerbshüter bekommen die Aufgabe, nach eigenem Ermessen zu prüfen, „wenn es Preisanstiege gibt, die nicht aufgrund höherer Beschaffungskosten oder Netzentgelte zu erklären sind“. Dies geschehe „unabhängig von möglichen konkreten Widersprüchen“ der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Udo Sieverding sagt, „der Verdacht liegt nahe“, dass es Versorger geben werde, die in den kommenden Monaten „überzogene Preiserhöhungen durchsetzen“ wollen. Da der Staat Milliardensummen in die Energiemärkte pumpt, könnte es Mitnahmeeffekte bei den Unternehmen geben. Lundquist Neubauer vom Vergleichsportal Verivox merkt an, dass die Preisbremse stark in den Wettbewerb der Versorger eingreife. „Weniger Wettbewerb bedeutet auch weniger Kontrolle durch den Markt“, sagt Neubauer.
Branche warnt vor Generalverdacht
Auf das Kartellamt dürfte angesichts einer Vielzahl von Energieversorgern eine Mammutaufgabe zukommen. „Wir hoffen, dass die Behörde ausreichende Kapazitäten hat“, sagt Udo Sieverding. Unmittelbaren Handlungsbedarf für Verbraucherinnen und Verbraucher sieht er derzeit nicht. „Wir gehen davon aus, dass bei festgestelltem Missbrauch die Kunden die überhöhten Energiepreise automatisch erstattet bekommen“, erklärt Sieverding. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), warnt Verbraucherinnen und Verbraucher davor, pauschalen Aufrufen zu folgen, ihre erhöhten Preise nicht zu bezahlen. Ein solches Verhalten sei „für die Kundinnen und Kunden gefährlich“, weil sie dadurch in Zahlungsverzug gerieten.
„Die pauschale Unterstellung, die Energieversorger würden die Strom- und Gaspreisbremse missbrauchen, ist ein Unding“, sagt Kerstin Andreae, die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der die Interessen von mehr als 1900 Unternehmen vertritt. Auch Stadtwerke-Geschäftsführer Frank Thiel betont: „Unsere Preise in Bochum sind sachlich gerechtfertigt. Wenn der Branche hier pauschal Missbrauch vorgeworfen wird, ist das für uns nicht nachvollziehbar.“ Ingbert Liebing beteuert, die vom VKU vertretenen Stadtwerke hätten ein Interesse daran, dass gegen „schwarze Schafe“ vorgegangen werde. Ähnlich äußert sich ein Sprecher des Energiekonzerns Eon. Wie andere Branchenvertreter hebt Eon zugleich hervor, Preiserhöhungen seien weiterhin zulässig, wenn sie „sachlich gerechtfertigt“ seien.