Mülheim. Viele Mülheimer Kinder sind ernsthaft krank, die Arztpraxen und Kliniken voll. Ein „Virus-Potpourri“ geht um. Was Eltern jetzt wissen sollten.
Gibt es noch irgendeine Familie, in der niemand angeschlagen, fiebrig, verschnupft ist? Die Praxen der Kinderärztinnen und -ärzte sind überfüllt, ebenso die Kinderstationen in den Krankenhäusern, denn viele Mädchen und Jungen hat es ernsthaft erwischt. In einigen Mülheimer Kinderarztpraxen ist momentan telefonisch kein Durchkommen – die Leitung vom frühen Morgen bis zum Feierabend pausenlos besetzt.
„Wir platzen gerade aus allen Nähten“, heißt es auch aus der Gemeinschaftspraxis von Dr. van der Gaag, Dr. Weckelmann und Dr. Buron an der Oberhausener Straße in Styrum. Die Praxis sei voll mit Kindern, die sich virale Infekte eingefangen haben.
Mülheimer Kinderarztpraxen platzen aus allen Nähten
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Speziell das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) kann gefährlich werden. Es bringt vor allem Kleinkinder gerade zahlreich ins Krankenhaus. Auf Mülheimer Stadtgebiet gibt es keine Kinderklinik mehr, Anlaufstellen sind Krankenhäuser der Nachbarstädte, etwa die Kinderklinik am Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO). Dort wird es derzeit eng. „Die Klinik ist gut ausgelastet. Wir stoßen zeitweise an Kapazitätsgrenzen“, erklärt eine Sprecherin des Krankenhauses.
Zeitweise können gar nicht mehr alle Patientinnen und Patienten aufgenommen werden: „Wenn Klinik und Kindernotaufnahme voll belegt sind, müssen wir uns auch mal stundenweise von der Versorgung abmelden“, heißt es aus dem EKO.
Fast jeder zweite Patient in der Kinderklinik mit RS-Virus infiziert
Fast jeder zweite Patient, jede zweite Patientin auf der Kinderstation wurde wegen einer RSV-Infektion eingewiesen: Mit 40 bis 50 Prozent sei das RS-Virus „extrem stark vertreten“, ergänzt die Krankenhaussprecherin. „Der Rest verteilt sich auf die üblichen Krankheitsbilder.“ Und an anderer Stelle, in den Mülheimer Kinderarztpraxen, wird eine Art Rückstau spürbar: „Jetzt, da die Kinderkliniken voll belegt sind, müssen wir alles abfangen“, sagt Dr. Olaf Kaiser, Obmann für Mülheim im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
Sieben kinderärztliche Praxen bestehen in Mülheim, teils Gemeinschaftspraxen, insgesamt zwölf Ärztinnen und Ärzte arbeiten dort. Überall sei gerade sehr viel zu tun, fasst Dr. Kaiser zusammen, „wegen der Viruswelle“. Verschiedene Infekte seien gerade zu beobachten, neben RSV auch grippale Infekte, Corona, vielfältige Atemwegserkrankungen, insbesondere bei kleinen Kindern, so Dr. Olaf Kaiser, der selber an der Saarner Straße in Speldorf praktiziert.
Mülheimer Kinderarzt sieht „Infekt-Potpourri wie sonst im Januar“
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Er beschreibt es so: „Wir haben ein Infekt-Potpourri wie sonst im Januar.“ Hauptgründe seien „das unvorbereitete Immunsystem“ sehr junger Kinder und das Wegfallen der Maskenpflicht. „Viele Kleinkinder sind ordentlich krank und fiebern teilweise eine Woche lang“, so Olaf Kaiser. Ähnliche Wellen, verbunden mit langen Wartezeiten in den Praxen, habe es auch in früheren Jahren schon gegeben, „aber ich habe das Gefühl, dass die Kinder jetzt länger brauchen, um wieder fit zu werden“. Außerdem seien die Kapazitäten in den Wartezimmern kleiner. Eltern und Kinder müssen teilweise vor der Praxis warten.
Auch die KV-Notdienstpraxis am Evangelischen Krankenhaus Oberhausen sei aktuell sehr voll, mit entsprechend langen Wartezeiten, berichtet Dr. Martin Knorr, der den kinderärztlichen Notdienst für Mülheim koordiniert. Dabei wechselten die Schwerpunkte quasi von Woche zu Woche: Mal kommen gehäuft Kinder mit Magen-Darm-Infektionen, mal mit Atemwegserkrankungen, „neulich hatten wir sehr viele Scharlach-Fälle“. Und viele der kleinen Patientinnen und Patientinnen seien auch tatsächlich ernsthaft krank.
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) ist die angespannte Situation ebenfalls bekannt. Die Pädiater müssten in diesen Wochen eine hohe Zahl an Infekten und Erkältungserkrankungen versorgen, heißt es dort, „zudem sind auch Corona-Fälle in den Praxen weiterhin von Bedeutung“.
Personalmangel ist ein großes Problem in den Praxen
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Erschwerend kommt hinzu: Die Infektionswelle trifft zugleich die Praxisteams. Personalengpässe räumt auch der Obmann der Mülheimer Kinderärzte ein. Dabei litten die Praxen nicht nur unter krankheitsbedingten Ausfällen, sondern unter strukturellen Schwierigkeiten: „Fachkräftemangel ist bei uns ein großes Problem“, erklärt Dr. Olaf Kaiser, „auf ausgeschriebene Stellen kommen zu wenige Bewerbungen, selbst Ausbildungsplätze bei Kinderärzten bleiben offen.“ Auch er habe schon Leute verloren, weil woanders besser gezahlt werde – „und ich kann das verstehen“.
Dass viele Eltern wegen Lappalien die Praxis aufsuchen und dadurch die Situation zusätzlich verschärfen, kann Dr. Olaf Kaiser so nicht bestätigen. Was er allerdings wahrnimmt: „Die große Sorge der Eltern, etwas zu übersehen“, die er ihnen keineswegs zum Vorwurf mache. So kämen einige mit hustenden Kindern, die aber kein Fieber mehr haben. „Vielen fehlt das Wissen, dass Husten noch länger anhalten kann, auch wenn der Infekt schon vorbei ist“, sagt der Kinderarzt.
Viele Eltern googeln Krankheiten im Internet – „oft Panikmache“
Eines habe sich in den vergangenen Jahren durch das allgegenwärtige Internet, durch die sozialen Medien tatsächlich verändert: „Wenn Eltern Krankheiten googeln, stoßen sie vielfach auf die falschen Informationen, die nicht wissenschaftlich fundiert sind. Das ist dann oft Panikmache.“ Dann hätten Eltern beispielsweise gelesen, dass mehrtägiges Fieber auf eine Krebserkrankung hindeuten kann, und ließen sich nur durch eine Blutabnahme in der Praxis beruhigen. Der erfahrene Pädiater meint: „Wenn Eltern mehr Rat suchen würden bei ihren eigenen Eltern, sich mehr auf die alten Hausmittel konzentrieren würden, dann würde vieles besser funktionieren.“