Mülheim. Der Einsatz für Kinder in Not war Bernd Nierhaus‘ Leben. Nun muss er aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten. Was das für den Verein bedeutet.
„Ich habe mein Herz für den Verein gegeben und das Herz ist jetzt kaputt.“ Bernd Nierhaus, besser bekannt als Rolli Rocker, sitzt in seinem Büro und reibt die behandschuhten Hände aneinander. Dann greift er in die Schachtel, die auf seinem Schreibtisch liegt und steckt sich eine an. Sein Büro, das ist die Straße vor dem Vereinslokal in Eppinghofen, sein Schreibtisch ist ein Gartentisch. Und wer wissen will, was Bernd Nierhaus da tut, muss sich nur mal eine halbe Stunde neben ihn setzen und mit anhören, mit welchen Sorgen und Anliegen die Menschen zu ihm kommen.
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15 Jahre ist es her, seit Bernd Nierhaus den Verein „Rolli Rockers Sprösslinge“ gegründet hat, um kranken und behinderten Kindern zu helfen. Damals war er nach einer Multiple-Sklerose-Diagnose und seiner Frühverrentung auf der Suche nach einer neuen Aufgabe im Leben und fand im Verein seine Berufung. Seitdem ist er dafür bekannt, auch mal hemdsärmelig und an jeder Bürokratie vorbei dafür zu sorgen, dass ein behindertes Kind eine Therapie bekommt oder eine Flüchtlingsfamilie eine Wohnung.
Aber heute geht es ausnahmsweise nicht um andere. Heute geht es um ihn. Bernd Nierhaus möchte darüber reden, dass er den Staffelstab an seine Tochter abgibt und nicht länger dem Verein vorsitzt, für den er all die Jahre sieben Tage die Woche im Einsatz war. Den Grund nennt er ganz offen: Das Herz ist krank. „Ich habe nur noch 20 Prozent. Der Arzt sagt, ich soll die Zeit mit meiner Familie genießen.“ Er sagt es ohne zu zögern, einfach wie es ist.
Tochter Janine Willrich hat schon eine gute Nachricht zu verkünden
Ein junger Mann läuft an seinem Tisch vorbei und grüßt. Hier grüßt jeder, aber ausgerechnet er sagt: „Hey Bernd, geht’s dir gut?“ „Na klar“, ruft Bernd Nierhaus zurück. Für die Menschen hier soll alles ganz normal weitergehen. Dafür will seine Tochter Janine Willrich sorgen, die ab sofort Vorsitzende des Vereins ist. Die 35-Jährige hat zwei kleine Kinder und einen Teilzeitjob und hat trotzdem nicht gezögert. „Die Familie hält zusammen, das war schon immer schon so“, sagt sie.
Und doch schwingt Respekt mit. „Papas Fußstapfen sind verdammt groß, das ist wirklich nicht ohne.“ Sie möchte zunächst Kontakt zu den Sponsoren knüpfen, damit sie auch in Zukunft an den Verein denken. Die ersten guten Nachrichten kann Janine Willrich schon verkünden: Die LEG hat den Mietvertrag für den Laden am Löhberg verlängert, der als Anlaufstelle für Familien aus der Ukraine fungiert. Bis April geht der Betrieb auf jeden Fall weiter und auch darüber hinaus sieht es gut aus.
„Können wir mal unter vier Augen reden?“ Eine Frau schiebt ihren Rollator an den Gartentisch heran und heftet den Blick auf den 62-Jährigen. „Aber sicher“, sagt der und schaltet den Elektrorollstuhl ein. Das Gespräch dauert nicht lang, als er zurück an den Tisch gefahren kommt, erklärt er: „Sie wird uns ihren Nachlass vermachen. 80 Jahre ist sie alt, sieht aus wie 65.“
Schnelle Hilfe für Mülheimer Kinder ohne Antrag und Formular
Es ist nicht ganz einfach, die Aktivität des Vereins zu beschreiben, weil er an so vielen Stellen im Einsatz ist und weil er bis jetzt so eng an Bernd Nierhaus gebunden war. Da werden Lebensmittelgutscheine an Familien verteilt, die am Monatsende kein Geld mehr haben. Da wird Kinderkleidung an bedürftige Familien ausgegeben und es werden Ferienfreizeiten organisiert. Da wird Geld für eine Rolli-Rampe gesammelt oder für eine Delfin-Therapie in der Türkei. Alles ohne Antrag, alles ohne Formulare. „Familien, die 24-Stunden-Pflege leisten, haben keine Zeit für Papierkram“, sagt er. Am ersten Weihnachtsfeiertag geht es traditionell in die Kinderkrankenhäuser in Duisburg, Essen und Oberhausen, um Süßigkeiten und Kuscheltiere zu verteilen. In diesem Jahr wird erstmals Janine Willrich die 150 Geschenktüten austeilen.
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Als ihr Vater den Verein gegründet hat, war sie 20 Jahre alt und von dem Moment wurden „Rolli Rockers Sprösslinge“ auch Teil der Familiengeschichte. Nierhaus’ Ex-Frau Gabriele übernahm die Buchhaltung und Janine Willrich erinnert sich daran, dass zu Hause plötzlich Wildfremde vor der Tür standen, um Kisten mit Spenden abzugeben. Auf die Frage, ob er sich an weitere Anekdoten dieser Art erinnert, wird Bernd Nierhaus’ Gesicht ganz weich. „Das, was wirklich hängenbleibt, ist was anderes“, sagt er und berichtet von einem elfjährigen Jungen, den er im Kinderhospiz in Düsseldorf besucht hat und der ihm unbedingt seinen selbst bemalten Sarg zeigen wollte. Oder von dem Jungen, der im Krankenhaus im Sterben lag und noch um eine Extra-Tüte für seinen gesunden Bruder bat. Wenn er Geschichten wie diese erzählt, wird es rundherum still am Gartentisch.
Bernd Nierhaus richtet den Blick immer nach vorn
Bernd Nierhaus sagt von sich selbst, dass er keine schöne Kindheit hatte. Zwölf Jahre lebte er im Heim und schwor sich, selbst alles anders zu machen im Leben. Aus Sicht seiner Tochter hat er das geschafft. „Mein Vater ist ein Kämpfer durch und durch. Für ihn gab es immer nur den Blick nach vorn“, sagt die neue Vorsitzende. So ist es und so bleibt es. „Wir sehen uns“, sagt Bernd Nierhaus zum Abschied.