Mülheim. Die ukrainische Ärztin Ludmilla Kutscher lebt seit 30 Jahren in Mülheim. Im Flüchtlingsdorf ist sie unersetzlich geworden. Was sie antreibt.

Wer sich mit dem Flüchtlingsdorf am Saarner Kirmesplatz beschäftigt, stößt immer wieder auf einen Namen: Ludmilla Kutscher. Die aus der Ukraine stammende Ärztin ist Vertrauensperson für viele geflüchtete Kinder und ihre Mütter. Sie unterstützt die ärztlichen Angebote auf dem Gelände, übersetzt und begleitet bei Behördengängen. Ein reines Ehrenamt. Dr. Jürgen Hower, der mittwochs die Kindersprechstunde auf dem Kirmesplatz betreibt und eng mit Ludmilla Kutscher zusammenarbeitet, fasst es so zusammen: „Ludmilla ist unbezahlbar. Sie arbeitet selbst bis zum Rand der Erschöpfung. Ohne Ludmilla ginge es hier einigen schlechter.“

Mülheimer Ehrenamtlerin: Doch wer ist Ludmilla Kutscher?

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Im Gespräch mit ihr fällt auf, dass sie nicht allzu gern über sich selbst redet. Doch ihre Augen leuchten, wenn sie über andere spricht. So berichtet sie aufgeregt von dem Fall einer Mutter, die ihr Baby nach der Flucht aus der Ukraine in Deutschland bekommen hat. Die ihren Partner zurücklassen musste und die ohne Vaterschaftstest aktuell keine Geburtsurkunde für ihr drei Monate altes Kind bekommt. Die über Umwege von Ludwigshafen nach Mülheim kam, aus Stress ihrem Kind keine Muttermilch geben kann und die aktuell keine finanzielle Unterstützung der Stadt bekommt.

Kutscher schwärmt von der Arbeit zweier ukrainischer Psychologinnen, die in den letzten Wochen versucht haben, das Vertrauen der traumatisierten Kinder zu erlangen. Von der anfänglichen Ablehnung der Mütter, die Sorge vor der Stigmatisierung durch psychologische Behandlungen haben. Und von den Erfolgen, die die Psychologinnen durch gemeinsame Bastelaktionen und viel Geduld schon erreichen konnten.

Der Mülheimer Kinderarzt Dr. Jürgen Hower untersucht in der ambulanten Arztstation des Flüchtlingsdorfs auf dem ehemaligen Kirmesplatz ein 16-jähriges Mädchen. Ludmilla Kutscher unterstützt das Ärzteteam als Dolmetscherin.
Der Mülheimer Kinderarzt Dr. Jürgen Hower untersucht in der ambulanten Arztstation des Flüchtlingsdorfs auf dem ehemaligen Kirmesplatz ein 16-jähriges Mädchen. Ludmilla Kutscher unterstützt das Ärzteteam als Dolmetscherin. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ludmilla lebt heute in Mülheim-Saarn

Sie selbst sei nicht so interessant, warum sollte jemand ihre Geschichte erzählen wollen?

Ludmilla Kutscher wurde 1950 in Kiew geboren, begann als junge Frau ihre Ausbildung zur Krankenschwester und absolvierte später ihr Studium zur Medizinerin. Sie arbeitete auf Stationen, auf denen schnelle medizinische Hilfe gefragt ist. Mit 40 Jahren gingen ihr Mann, der auch Arzt ist, und sie nach Deutschland. „Es war meine erste Reise außerhalb der Ukraine“, blickt Ludmilla zurück. Und sie blieben.

Heute lebt die 72-Jährige mit ihrem Mann in Saarn. „Ich habe 20 Jahre im Kaiser-Wilhelm-Krankenhaus in Duisburg gearbeitet, auf einer Privatstation.“ Chefarzt und Kollegium hätten Rücksicht auf ihre Sprachbarrieren genommen und auch manchmal die Berichte verfasst, so Kutscher. Eine gute Zeit. „Ich bin dann etwas früher in Ruhestand gegangen, um meine kranke Mutter zu pflegen.“

Von Mülheim in die Ukraine - Herz-Lungen-Maschine im Gepäck

Diese Herz-Lungen-Maschine wurde vor zwei Wochen von Mülheim in die Ukraine gebracht. Zuvor hatte sie zwei Jahre in Ludmilla Kutschers Garage gestanden.
Diese Herz-Lungen-Maschine wurde vor zwei Wochen von Mülheim in die Ukraine gebracht. Zuvor hatte sie zwei Jahre in Ludmilla Kutschers Garage gestanden. © Ludmilla Kutscher

Ihrer alten Heimat blieb sie jedoch stets verbunden. Gemeinsam mit ihrem Mann reiste sie immer wieder in die Ukraine, um Ärztinnen und Ärzte vor Ort ehrenamtlich zu unterstützen. „Mein Mann war immer bemüht, sein Wissen über Herzmedizin weiterzugeben“, so seien einige junge Ärzte angereist, um die in Duisburg erlernten Methoden kennenzulernen.

Im Gepäck hatten Kutscher und ihr Mann dann meist gespendete Gerätschaften aus dem Krankenhaus. „Die Geräte in Deutschland werden häufig ausgetauscht, sind dann aber noch in gutem Zustand.“ In ukrainischen Krankenhäusern seien die Spenden gerne angenommen worden. In der Corona-Zeit waren solche Reisen dann nicht mehr möglich. „Wir hatten zwei Jahre lang eine funktionstüchtige Herz-Lungen-Maschine in unserer Garage stehen“, erzählt sie mit einem kleinen Lachen. Vor zwei Wochen wurde sie abgeholt und in das vom Krieg stark betroffene Charkiw gebracht.

Ukraine-Krieg: Ludmilla wollte sofort in Mülheim helfen

Und wann habe sie beschlossen, dass sie auch in Mülheim helfen will? „Sofort! Als klar war, dass die Menschen aus der Ukraine kommen, bin ich direkt zum Roten Kreuz gegangen und habe gesagt: Ich bin ukrainische Ärztin und ich will helfen.“

Die Verantwortlichkeiten und Optionen waren im Camp noch nicht ganz klar und die Regeln streng. Zu Beginn habe sie quasi heimlich Gemüse geschnibbelt und Haferplätzchen nach ukrainischem Rezept gebacken „die essen die Kinder so gerne.“ Da hätten sich die Kinder noch unter den Tischen versteckt „die meisten sind traumatisiert“, doch mittlerweile haben sie Vertrauen gefasst. „Wenn ich komme, rufen sie ‘Milla’. Sie nennen mich nicht Großmutter, sondern Tante“.

Ludmilla übersetzt viel im Mülheimer Flüchtlingsdorf

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Auch wenn die Leitung beim DRK liegt, sind auch Caritas und Rotarier beteiligt. „Heute arbeiten wir alle gemeinsam“, fasst Kutscher zusammen. Wenn die zwei offiziellen Dolmetscher des DRK nicht im Camp sind, wird sie angerufen und hilft aus. Wenn mittwochs Dr. Hower zur Notfallsprechstunde kommt, steht Kutscher bereit und übersetzt für die Kinder und ihre Mütter.

Die meiste Zeit verbringt Ludmilla Kutscher aber an der Seite von Geflüchteten. Begleitet bei Behördengängen und Arztbesuchen. „Jeden Tag. Drei bis vier Termine“, so Kutscher und ein erschöpfter Ausdruck legt sich auf ihr Gesicht. „Bei einer Frau ist nach der Flucht der Brustkrebs wieder aufgetaucht. Ich versuche, Termine bei Fachärzten zu bekommen und begleite sie dann dahin.“ Jeder Mensch bringt seine eigene Vorgeschichte mit, die berücksichtigt werden muss.

Mülheimer Ehrenamtlerin arbeitet fast jeden Tag

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„Die Menschen sind so dankbar für den Schutz. Aber sie kommen aus einem schönen Land, haben eine gute Ausbildung und ihre Männer sind noch vor Ort.“ Auf fast allen laste eine Traurigkeit, auf manchen auch ein Trauma. Hinzu kämen Spannungen im Camp, die durch die räumlichen Gegebenheiten und unterschiedlichen Kulturen innerhalb der ukrainischen Gesellschaft unvermeidbar wären.

Auch hier leiht Ludmilla Kutscher ihr Herz und Ohr. „Ich möchte den Menschen Beachtung schenken, die sonst nicht gesehen werden. Die nicht selbst laut um Hilfe bitten können oder sich dafür schämen.“ Eine Aufgabe, die auch sie belastet. „Ich kann nicht mehr“, gibt sie zu. Seit Beginn des Krieges hat es für die Ehrenamtlerin keine Pause gegeben. Umso mehr freue sie sich auf eine Auszeit mit ihrem Mann. „Wir besuchen meinen Schwager in Bulgarien.“