Mülheim. Die Bundesregierung plant, Beratungsstellen für Migranten finanziell zu beschneiden. Mülheims Wohlfahrtsverbände kündigen massiven Protest an.
Einst war Nigeria ihr Zuhause, seit geraumer Zeit ist es Mülheim. Die Afrikanerin, die am Mittwoch beim Aktionstag im Haus der Arbeiterwohlfahrt (Awo) kurz von ihrem Leben erzählt, war und ist heilfroh, dass es die Migrationserstberatung gibt. Selbst mit Sprachniveau B 1, was sie längst erreicht hat, benötige sie noch Hilfe. So zum Beispiel, wenn es wieder mal ein Formular auszufüllen gibt, damit ihr behinderter Sohn Hilfe erhält. „Mein Deutsch reicht dafür einfach nicht.“ Dass die Beratungsstellen nun möglicherweise arg finanziell beschnitten werden, sei ein Riesenproblem: „Ich brauche diese Leute!“
Weder bei der Awo noch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), die in Mülheim je eine der Beratungsstellen für Erwachsene betreiben, ist man bereit, die vom Bund angedachten Kürzungen einfach zu schlucken. Es ist Zeit für Protest! Denn obwohl man das Budget in diesem Jahr erst aufgestockt hat – Grund ist die Flüchtlingswelle aus der Ukraine – steht für 2023 ein massives Minus im Raum. Konkret hieße dies: Bis 2021 standen bundesweit jährlich rund 70 Millionen Euro bereit, im laufenden Jahr sind es 80 Millionen Euro – ab 2023 wären es noch 57 Millionen Euro. Auf die Awo und das DRK vor Ort entfallen dabei je 65.000 Euro; nun fürchtet man Einbußen von 20 Prozent.
Die meisten Hilfesuchenden stammen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Bulgarien, der Türkei
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Ein Unding, findet Awo-Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum, schließlich wachse der Unterstützungsbedarf. Knapp 500.000 Personen bundesweit suchten 2021 Hilfe bei den Beratungsstellen, die für Menschen ab 27 gedacht sind, deren Aufenthalt bereits gesichert ist. Allein in Mülheim waren es 509 Einzelpersonen oder Familien, so die Statistik, für 2022 rechnet man sogar mit 787. Die meisten Hilfesuchenden stammten dabei aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Bulgarien und der Türkei.
Viele Personen bräuchten nicht nur einmalig ein Gespräch, sondern hätten immer wieder Fragen. Pro Tag führe sie mindestens sechs Integrationsgespräche, so Constanze Bohmann von der Awo. Hinzu kämen zahlreiche Anrufe und E-Mails; Absprachen mit Behörden, Jobcenter, Vermietern. . . seien vonnöten. Ihre Aufgabe sei eine Herausforderung, und zwar nicht nur zeitlich. „Man geht immer wieder in Beziehung – das kostet auch psychisch Energie.“
Die Awo musste ihr Bewerbungsverfahren für eine zusätzliche Stelle zunächst stoppen
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Eine Aufstockung ist dringend erforderlich, sagt Andreas Herget vom DRK - finanziell und personell. Die Awo aber musste ein Bewerbungsverfahren für eine zusätzliche Stelle nun zunächst stoppen. Dabei sei doch jeder Cent gut angelegt, machte Bohmann klar: „Die meisten Menschen, die zu uns kommen, wollen auf eigenen Beinen stehen.“ Doch in der ersten Zeit brauche man dafür einfach Hilfe: Das fange schon damit an, dass die Jobs, die man anfänglich ergattert, zumeist zu schlecht bezahlt sind, um davon zu leben. Also müsse man aufstocken und sich qualifizieren – in Deutschland nur möglich, wenn man Behörden kennt und Anträge stellen kann.
Die Wohlfahrtsverbände wollen Druck ausüben, um die Kürzungen aus dem Etat des Bundesinnenministeriums abzuwenden. Man werde Abgeordnete in Bund und Land einschalten, so Birgit Hirsch-Palepu, Geschäftsführerin der hiesigen Diakonie, die für den (noch) nicht betroffenen Jugendmigrationsdienst zuständig ist. „Wir müssen Politik und Verwaltung jetzt sensibilisieren.“