Mülheim. Sie verehren sie, sprechen wie von einer Mutter über sie. So gedenken Mülheimerinnen, die einst in Großbritannien aufgewachsen sind, der Queen.
Es ist eine tief empfundene Trauer um „Her Majesty“, die sie eint, ebenso wie ihre Wurzeln, die in Großbritannien liegen. Vier Mülheimerinnen, die seit Jahrzehnten in der Ruhrstadt leben, sind in diesen Tagen ganz nah beim britischen Volk – denn auch ihnen fehlt ihre Queen schon jetzt. Wie sie auf die Zukunft der Monarchie blicken.
„Es ist ganz still in England“, berichtet Susan Pilling-Wilké am Telefon. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag vergangener Woche war die Mülheimerin gemeinsam mit ihrem Mann auf dem Weg nach Großbritannien. „Auf der Fähre haben wir dann die Nachricht erhalten, dass die Königin gestorben ist – alles wurde abgesagt auf dem Schiff, das Entertainment, die Diskos und Kinos machten nicht auf, jeder schien betroffen“, erinnert sich die 69-Jährige an die Atmosphäre.
Mülheimerin war vor wenigen Monaten noch zum Thronjubiläum der Queen gereist
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
Dabei hat sie ihr Heimatland erst vor drei Monaten ganz anders, nämlich fröhlich und ausgelassen, erlebt, als das 70-jährige Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. gefeiert wurde. Auch damals war Susan Pilling-Wilké in England bei ihrer Familie in der Nähe von Manchester. „Wir haben das Haus geschmückt, vier Tage lang zusammen gefeiert – ganz England war in guter Stimmung.“ Nun erlebe sie den absoluten Kontrast: „Als ob das Leben stillsteht.“
Ihr Heimatland – und wohl die ganze Welt – habe eine Konstante verloren, die über Jahrzehnte Stabilität gegeben habe, sagt die Mülheimerin: „Die Königin war immer da, sie ist Königin geworden in dem Jahr, in dem ich geboren bin.“ Die Aura der Königin habe für sie stets etwas Märchenhaftes gehabt. „Eine unglaubliche Persönlichkeit. Ihre Werte und ihr Pflichtbewusstsein bis zum letzten Termin“, schwärmt Susan Pilling-Wilké. Gemeinsam mit ihrem Neffen habe sie überlegt, nach London zu fahren, um am Tag des Begräbnisses von Queen Elizabeth II. in der Hauptstadt zu sein.
Mülheimerin hat die Queen bei Highland Games getroffen
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„Doch da wird mit großen logistischen Problemen und endlosen Wartezeiten wegen der vielen Besucher gerechnet, daher fahren wir nicht hin. Dabei wäre es mir eine Herzensangelegenheit gewesen.“ Zwei Mal in ihrem Leben hat Susan Pilling-Wilké Queen Elizabeth live gesehen. Mitte der 60-er Jahre, als die heutige Mülheimerin noch in Manchester zur Schule ging, kam die Königin in die Stadt. „Wir standen am Straßenrand mit kleinen Fähnchen – ich war so aufgeregt, dass ich sie in dem Moment, als ihr Auto vorbeifuhr, gar nicht richtig gesehen habe.“

Richtig hingeschaut und die Queen ganz nah gesehen hat Susan Pilling-Wilké vor rund sieben Jahren bei Highland Games in Schottland. „Sie saß vielleicht 100 Meter von uns entfernt. Es war ein so bewegender Moment, in ihrer Gegenwart die Nationalhymne ,God save the Queen’ zu singen.“
Künftig werden die Britinnen und Briten sich umgewöhnen müssen: „God save the King“ wird der Liedtext lauten. Apropos King – kann Charles König? „Ich glaube, Charles wird das ganz gut machen – ganz im Sinne seiner Mutter. Er hat ja lange Zeit gehabt, um sich drauf vorzubereiten“, ist Susan Pilling-Wilké überzeugt.
Mülheimerinnen haben in der britischen Kaserne gearbeitet
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
Dass der neue König ihr Heimatland gut führen wird, davon sind auch Barbara Mila und Cheryl Meller überzeugt. „Charles wird uns alle noch überraschen“, meint Cheryl Meller, die im selben Jahr geboren ist wie der künftige König. Die beiden Freundinnen haben einst für das britische Militär in der Mülheimer Kaserne, den Wrexham Barracks, gearbeitet. Die beiden Frauen blieben in Mülheim, nicht aber ohne ihre britischen Wurzeln zu pflegen und dem Königshaus treu zu bleiben.
Noch am Dienstag vergangener Woche ist Barbara Mila nach Düsseldorf gefahren, um Harry und Meghan zu sehen, die dort für die in einem Jahr stattfindenden Invictus Games, die Wettkämpfe für kriegsversehrte Soldatinnen und Soldaten, warben. „Ich habe Harry zugerufen, und er hat sich zu mir gedreht und gefragt: ,Did you get the photo?’“, freut sich die 71-Jährige noch heute.

Dass wenige Tage später seine Großmutter, ihre Queen, sterben würde, das macht Barbara Mila fassungslos. Bis heute hat die Mülheimerin, die mit Anfang 20 nach Deutschland kam, den doppelten Pass. Erinnert sie sich an ihre Zeit in der britischen Kaserne in Mülheim, sagt sie: „Dort hingen viele Bilder von der Queen, es wurde geprostet: ,Cheers to the Queen’, sie war immer präsent.“ Nun ist diese herausragende Persönlichkeit nicht mehr da. „Ich bin in Trauer“, sagt die Speldorferin und fügt hinzu: „Dafür haben manche meiner deutschen Bekannten kein Verständnis.“ Wie sie den Tag des Staatsbegräbnisses verbringen wird, steht für die gebürtige Britin bereits fest: „Ich werde die Übertragung zusammen mit Cheryl im Fernsehen anschauen.“
Mülheimerin trauerte auch nach dem Tod von Prinzessin Diana
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Cheryl Meller hat gerade Besuch aus England, ihr Bruder und ihre Schwägerin sind in Deutschland, dieser Tage zeigt die Mülheimerin ihrer Verwandtschaft die Mosel. Auch vor 25 Jahren, als Prinzessin Diana starb, war die Familie in Mülheim. „Auch diesmal stand ich in der Küche, als die Todesnachricht kam“, schildert sie die Duplizität der Ereignisse.
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Der Queen ist sie jahrelang jeden Morgen begegnet. „In den 24 Jahren, in denen ich Sekretärin in der Kaserne war, habe ich jeden Tag auf ihr wunderschönes Bild geschaut, das hinter dem Schreibtisch des Kommandanten hing, dem ich morgens immer eine Tasse Tee ins Büro brachte“, erinnert sich Cheryl Meller an die Zeit in den Wrexham Barracks. Schon als Kind ist sie der Queen und Prince Philip einmal begegnet, als die Royals die walisische Kleinstadt besuchten, in der Cheryl Meller aufgewachsen ist. „Wir sind mit Tradition und Respekt vor der Königsfamilie aufgewachsen.“ Unendlich dankbar sei sie, sagt die 74-Jährige, dass „wir sie so lange hatten“.
Gebürtige Londonerin erinnert sich an die Krönung
„Jeder, der britisch ist, ist sehr traurig“, sagt auch Bronwen Gray-Specht, die seit Jahrzehnten in Mülheim lebt. Geboren wurde die heute 80-Jährige in London, wuchs während des Zweiten Weltkrieges in Devon auf und wurde später auf einem britischen Internat von einer Kunstlehrerin unterrichtet, bei der auch bereits die damaligen Prinzessinnen Elizabeth und ihre Schwester Margaret Unterricht gehabt hatten. „Als die Lehrerin hörte, dass Elizabeth Königin wird, hat sie gesagt: ,Arme Elizabeth! Sie hat so einen wunderbaren Sinn für Humor. Jetzt muss sie vorsichtig sein.’“

Lebendige Erinnerungen hat Bronwen Gray-Specht auch noch an den Tag der Krönung von Elizabeth II. „Meine Eltern, meine Tante und ich haben drei Nächte vorher mitten in London geschlafen in der Nähe der Kathedrale, wo sie gekrönt worden ist, um ganz vorne in der Menge zu sein – da war ich elf. Wir waren alle große Verehrer der Königsfamilie.“ Daher sollte die kleine Bronwen den historischen Moment der Krönung hautnah miterleben.
Noch ein zweites Mal in ihrem Leben sollte die heute 80-Jährige, die in Mülheim den Verein Interkultur gegründet hat, der zum Ziel hat, Menschen verschiedener Kulturen und Herkunft durch Kunst zusammenzubringen, Ihrer Majestät begegnen. „Als die Queen Düsseldorf besucht hat, bin ich ihr vorgestellt worden. Da hat sie mich wegen meines Charity-Projektes befragt.“ Als eine außergewöhnliche Persönlichkeit erinnert die Mülheimerin die Queen. Nun, nach ihrem Tod, fühle sie sich einsam. „Für die Briten“, sagt Bronwen Gray-Specht, „ist die Queen wie eine Mutter gewesen.“