Mülheim. . Tom Nutt, der in Mülheims Partnerstadt Darlington im Stadtrat sitzt, und die in Mülheim lebende Britin Susan Pilling-Wilké über das EU-Referendum.

Tom Nutt, Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins (Twin-Town-Association) in Darlington, gehört seit 2003 für die Labour-Party dem Stadtrat der seit 1953 mit Mülheim verbundenen nordenglischen Partnerstadt an. Dort ist er Mitglied des Gesundheitsausschusses. Am Tag des britischen EU-Referendums erklärt er, warum viele seiner Landsleute raus aus der EU wollen und warum er ein englischer EU-Bürger bleiben will.

Warum wollen so viele Briten raus aus der EU?

Tom Nutt, Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins (Twin-Town-Association) in Darlington.
Tom Nutt, Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins (Twin-Town-Association) in Darlington. © darlington

Tom Nutt: Ich glaube, dass viele die Fakten und Hintergründe nicht verstehen oder nicht kennen, die für unsere EU-Mitgliedschaft sprechen. Sie tun sich deshalb auch schwer, die sehr unterschiedlichen Informationen der polarisierenden Kampagnen für einen Verbleib oder für einen Austritt in der EU richtig einzuordnen. Viele, die für einen EU-Austritt stimmen, haben vor allem Angst vor der Reise- und Niederlassungsfreiheit in der EU und der damit zunehmenden Zahl von Einwanderern.

Wie argumentieren Sie für eine britische EU-Mitgliedschaft?

Nutt: Die EU hat uns 70 Jahre Frieden zwischen den europäischen Ländern gebracht. Das müssen wir fortsetzen und bewahren. Deshalb müssen wir zusammenbleiben. Wir sind aber auch Teil eines großen Wirtschaftsraumes und müssten bei einem Austritt erst mal über Jahre neue Handelsverträge aushandeln. Das würde unserer Wirtschaft und ihrem Export schaden. Denn ein großer Wirtschaftsraum ist als Markt und Partner attraktiver und stärker als ein einzelnes Land. Außerdem haben wir viele EU-Bürger, die bei uns arbeiten und die wir auch brauchen. Und die EU stärkt die sozialen Arbeitnehmerrechte. Auch als Tourist möchte ich weiter frei durch die EU reisen. Das mache ich gerne. Auch Studenten- und Schüleraustausch wären ohne die EU-Mitgliedschaft so nicht möglich.

Wie wird das Referendum ausgehen?

Nutt: Das wage ich nicht vorauszusagen. Das Rennen ist einfach zu eng. Aber ich bete dafür, dass wir in der EU bleiben und Europa gemeinsam besser machen.

Ihre pro-europäische Parteifreundin und Parlamentsabgeordnete Jo Cox hat ihr Eintreten für den Verbleib in der EU mit dem Leben bezahlt. Was sagen Sie dazu?

Nutt: Wir sind schockiert vom tragischen Tod einer so wundervollen und begabten Frau, die das Zeug dazu hatte, an die Spitze ihrer Profession zu gelangen. Jo Cox, die einen Ehemann und zwei kleine Kinder hinterlässt, war ein sehr dynamischer Mensch. Sie hat sich unter anderem für die Belange der Flüchtlinge eingesetzt, aber auch jedem anderen geholfen, der sie um Unterstützung gebeten hat. Auch in Darlington gab es eine Trauerfeier, um ihr Leben zu würdigen.

Britin an der Ruhr fiebert bei Brexit-Entscheidung mit

Die Britin Susan Pilling-Wilké kam vor Jahrzehnten zum Studieren nach Deutschland und lebt seit langem in Mülheim.
Die Britin Susan Pilling-Wilké kam vor Jahrzehnten zum Studieren nach Deutschland und lebt seit langem in Mülheim. © FUNKE Foto Services

„Ich drücke die Daumen dafür, dass Groß-Britannien in der EU bleibt. In der heutigen Zeit muss Europa zusammenstehen, der Ausstieg wäre ein Riesenfehler“, sagt Susan Pilling-Wilké, gebürtige Britin aus Manchester und Wahl-Mülheimerin am Vorabend der Brexit-Abstimmung.

Kürzlich ist die 63-Jährige von einem Besuch in ihrem Heimatland zurückgekehrt, hat dort die Diskussionen zum Für und Wider eines möglichen EU-Austritts verfolgt. „Die meisten Älteren, mit denen ich gesprochen habe, sind für den Austritt – die denken teils noch in den Zeiten des Empires. Die Briten sind eben ein Inselvolk“, berichtet die Engländerin. Die Jüngeren aber, hat Susan Pilling-Wilké die Erfahrung gemacht, seien für die EU, weil sie etwa die Reisefreiheit schätzten. Bestürzt habe sie die Ahnungslosigkeit mancher, die nur auf die Argumente eines steigenden Zustroms von Immigranten aufsprängen. „Da bricht Nationalismus durch“, sagt die britische Mülheimerin.

Während der Weihnachtszeit habe sie den Brexit noch für wahrscheinlich gehalten. Heute sagt Susan Pilling-Wilké: „Mir scheint, die Briten sind näher dran am Drinnenbleiben.“ (kab)