Mülheim. Janis McDavid ist fast ein Star: Mutmacher ohne Arme und Beine. In der Waldorfschule Mülheim sprach er über Krisen, Schuhe und sein Liebesleben.

Einer wie er stand noch nie auf der Bühne in der Mülheimer Waldorfschule – im vollen Scheinwerferlicht. Janis McDavid verrät später, dass er selber vor jedem Auftritt nervös ist. Bei den Jugendlichen im Publikum könnte es ähnlich sein, sein Anblick irritiert. Also bricht der Mann ohne Arme und Beine sofort das Eis. Er steigt ein mit ein paar Witzen.

Der 31-Jährige erzählt, wie lange es morgens dauert, bis die Frisur sitzt, wie viel Zeit er andererseits spart, wenn seine Freunde Schuhe shoppen. „Ich habe die besten High-Heels, die man für Geld kaufen kann“, sagt Janis McDavid und deutet auf seinen Elektrorollstuhl, ein technisch hochgerüstetes Gerät. Er hüpft auch kurz auf den Boden. Die Jugendlichen lachen, es kann losgehen.

Schwerbehinderter Motivationsprofi zu Gast in Mülheimer Schule

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Denn das Thema, mit dem der schwerst behinderte Bochumer am Dienstag in die Mülheimer Schule gekommen ist, sind nicht Haare oder Schuhe, sondern: Selbstbewusstsein und Selbstwert. Es ist McDavids „Vision“, wie er sagt, „von einer Welt, in der jeder gleiche Chancen hat“. Unabhängig vom individuellen Körper, von Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung. Die Klassen acht bis 13 der Waldorfschule haben sich im großen Saal versammelt, man darf vermuten, dass viele der Jugendlichen Janis’ Vision teilen.

Viele Semester lang hat Janis McDavid an der Uni Witten/Herdecke studiert: Wirtschaftswissenschaften (Archivbild). Mittlerweile hat der 31-Jährige sein Studium abgebrochen, arbeitet als Motivationsredner und Autor.
Viele Semester lang hat Janis McDavid an der Uni Witten/Herdecke studiert: Wirtschaftswissenschaften (Archivbild). Mittlerweile hat der 31-Jährige sein Studium abgebrochen, arbeitet als Motivationsredner und Autor. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Eingeladen hat ihn die Schülervertretung, nachdem einige SV-Mitglieder den 31-Jährigen im Herbst bei einer Tagung in Frankfurt erlebt haben und beeindruckend fanden. Vielen geht es so, daher ist Janis McDavid seit Jahren professionell als Motivationsredner unterwegs. Zwei Bücher hat er veröffentlicht und über seine Abenteuerreisen gebloggt, die ihn zuletzt auf den Gipfel des Kilimandscharo führten, von Freunden im Rucksack getragen, von einem ZDF-Fernsehteam begleitet. Ihn zu engagieren, kostet Geld.

Rund 500 Euro hat die Waldorfschule nach Angaben der SV für den Auftritt gezahlt. Unterm Strich würden wohl alle sagen: Es hat sich gelohnt. Der Vortrag sollte speziell Leute ansprechen, „die gerade vor einer Herausforderung stehen, die sie für unüberwindbar halten“, sagt ein Schülersprecher in der Anmoderation. Am Ende bleibt keiner unberührt, der Applaus ist riesig.

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Von Geburt an ohne Arme und Beine: „Fühlte mich wie ein ganz normales Kind“

Janis McDavid kam ohne Arme und Beine auf die Welt, er kann nur seine rechte Hand ansatzweise benutzen, sich allenfalls hüpfend fortbewegen. Doch wie er eindrucksvoll schildert, war ihm das anfangs egal. Im Kindergarten spielte er Taxifahrer mit seinem gelben Rollstuhl und entwickelte den Berufswunsch Motorradpolizist. „Ich fühlte mich wie ein ganz normales Kind.“ Und seine Eltern behandelten ihn auch so, forderten ihn. Er besuchte einen regulären Kindergarten, später die Waldorfschule in Bochum-Langendreer. Und doch: Mit etwa acht Jahren habe der erste bewusste Blick in einen Spiegel diese Welt zerstört. Janis sah keinen coolen Motorradpolizisten, sondern nur noch einen Rumpf, kaum mehr als ein hilfloses Baby, „und plötzlich habe ich angefangen, mich für mich selbst zu schämen“.

Den harten Rückweg zum früheren Selbstbewusstsein stellt der 31-Jährige in den Mittelpunkt seiner Vorträge. Er führte über quälende und letztlich erfolglose Versuche mit Prothesen, „ich habe jahrelang gegen mich selbst gekämpft“. Erst als fast Erwachsener, mit 17, habe er es geschafft, das Unveränderliche anzunehmen: „Ich werde in diesem Leben keine Arme und Beine mehr haben.“ Zur neuen Einstellung verholfen habe ihm auch eine Auflistung aller Vorteile, die sein Zustand ihm bringt – etwa, zu Hause nicht mithelfen zu müssen. Vielleicht banal, auch keine neue Idee, doch für Janis gut. Er nennt die Strategie „Mutmuskeltraining“ und legt sie auch seinem Publikum wärmstens ans Herz.

Liebesleben kommt momentan zu kurz – zu beschäftigt

Die Jugendlichen sind nach einer Stunde gelöst genug, um munter Fragen zu stellen. „Können Sie duschen?“ Freunde helfen, zum Beispiel bei der Frisur. „Wie teuer ist so ein Rollstuhl?“ 20.000 bis 30.000 Euro, das Modell verfügt sogar über einen Disco-Modus, zum Tanzen.

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„Wie läuft das Liebesleben?“ Genau wie bei anderen, doch momentan komme es zu kurz, berichtet Janis McDavid, „ich bin viel zu beschäftigt“. Da er sich für Männer interessiert, war auch dieses Thema für ihn als Teenager nicht ganz einfach. „Meinen ersten Freund hatte ich sehr viel später, da war ich längst an der Uni.“

Waldorfschüler sind vom Vortrag beeindruckt

Sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Uni Witten/Herdecke hat der 31-Jährige inzwischen abgebrochen. Als Motivationscoach läuft es gut, auch an der Mülheimer Waldorfschule. Vier angehende Abiturienten jedenfalls - Mirjam, Clara, Malte und Ben (alle 18) – hat Janis beeindruckt. „Er ist mit sich im Reinen“, finden sie, loben die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der er auch über die schweren Phasen und Wendepunkte spricht. „Bewundernswert, dass er einfach sein Leben lebt.“ Und wie leicht es doch eigentlich für einen selber sei ...

„Kannst du Auto fahren?“ Auch das haben die Waldorfschüler ihren Gast gefragt. Janis McDavid fährt mit Begeisterung, steuert den Wagen mit Hilfe eines Joysticks. Nach dem Auftritt in Mülheim, bei dem ihn eine Freundin begleitet, setzt er sich selber auf den Fahrersitz eines schwarzen Transporters mit dem Kennzeichen BO-YS … und gibt Gas.