Bochum. . Der Bochumer wurde ohne Gliedmaßen geboren. Wie er seinen Lebensweg gefunden hat und schon mit 26 eine steile Karriere hinlegt.

Janis McDavid hat alles, worum man einen Studenten beneiden kann: Er sieht gut aus, besitzt ein teures Auto und studiert an einer gefragten Hochschule. Er lebt abwechselnd in Bochum und Berlin, reist in ferne Länder und hat bereits ein Buch veröffentlicht. Nur eines hat Janis nicht: Arme und Beine. Doch sein Schicksal beklagt er nicht, im Gegenteil: Er macht anderen als Motivationsredner Mut – auch bei der Verleihung des diesjährigen Berliner Inklusionspreises.

Geht nicht? Gibt’s für ihn nicht. Grenzen? Akzeptiert er nicht – weder durch seinen Körper, noch durch gesellschaftliche Barrieren oder Menschen, die meinen „das schaffst du nicht“. Zuletzt hat er ein Auslandssemester in London absolviert, danach ein Praktikum bei IBM in Berlin; für Unicef ging er auf Vortragsreise nach Südafrika. Seine Art zu leben, lässt einen bewundernd staunen.

Ohne Gliedmaßen geboren

Das alles schafft der 26-Jährige, obwohl seine körperlichen Voraussetzungen denkbar ungünstig sind: Janis McDavid kam 1991 in Hamburg ohne Gliedmaßen zur Welt. Die Ursache ist bis heute unklar; Contergan hat damit jedenfalls nichts zu tun. Janis recherchiert längst nicht mehr, er nimmt die Realität an. Diese Haltung haben seine Eltern vorbereitet, indem sie nach der Geburt etwas sehr Vernünftiges taten: Sie forderten ihr „Problemkind“ soweit es ging, meldeten ihren Sohn zum Beispiel an einer Waldorfschule an, statt ihn auf eine Schule für Körperbehinderte zu schicken. All das machte ihn so selbstbewusst und selbstständig, dass er heute alles kann, was im Alltag wichtig ist: Auto fahren zum Beispiel oder allein in einer Wohnung leben. Außerdem studieren, nicht an einer Fernuni, sondern ganz normal mit Vorlesungen im Hörsaal.

Als Motivationstrainer redet der 26-jährige Bochumer vor hochrangigen Managern genauso wie vor Kindern in Entwicklungsländern.
Als Motivationstrainer redet der 26-jährige Bochumer vor hochrangigen Managern genauso wie vor Kindern in Entwicklungsländern. © Zacharias Pimenidis

Doch auf dem Weg dorthin galt es viele Hürden zu überwinden. Bis zu seinem achten Lebensjahr begriff er nicht, was mit ihm los war. Er hatte Kinderträume wie andere Gleichaltrige auch; lag seinem Vater in den Ohren, dass er später Motorradpolizist werden wolle. Erst als er sich eines Tages bewusst im Flurspiegel sah, erkannte er seine ganz eigene Wirklichkeit. „Plötzlich erfasste ich: Ich bin nichts als ein Rumpf!“, erinnert er sich an den schockierenden Moment. Was folgte, waren Jahre der Scham, des Rückzugs, des Versteckens. Im verzweifelten Bemühen, auszusehen wie alle anderen, probierte er Prothesen aus, machte aber vor allem frustrierende Erfahrungen.

Die Wende kam als Jugendlicher. Etwa im Alter von 16 Jahren fand er zu der Entscheidung, sich so zu akzeptieren wie er ist und sein „bestes Leben zu leben“, wie er es seitdem nennt. „Die Veränderung, die das gebracht hat, war irre!“, erinnert sich Janis McDavid. Plötzlich habe er die ganze Energie zur Verfügung gehabt, die er vorher ins „Normalsein-Wollen“ gesteckt habe, ins Verleugnen und Verbergen. Er ging in die Offensive, auch mit Humor. „Rumpf ist Trumpf“, die Überschrift für diesen Text hat er sich ausgesucht.

Voller tollkühner Ideen

Mit dieser Energie setzt er seitdem alles um, was ihm in den Sinn kommt. Einen Spezialrollstuhl,der genau auf seine Bedürfnisse angepasst ist, hatte er bereits. Vor einigen Jahren ließ er sich dann auch einen Mercedes Sprinter so umbauen, dass er ihn mit seinem Rollstuhl befahren und über Joystick und Sprache steuern kann. 220 000 Kilometer ist er bereits gefahren. Er will Neuland erobern, am besten täglich etwas tun, was er vorher noch nie getan hat. Adrenalin sei es, das ihn morgens aus dem Bett bringt, und das beschere ihm seine tollkühnen Ideen.

Aktuell plant er eine Reise, will zum ersten Mal ganz allein los, ohne unterstützende Familie, ohne Freunde, die ihm notfalls aus der Patsche helfen. Fast ein bisschen verrückt klingt das, aber Janis vertraut auf seinen starken Willen – und die Hilfsbereitschaft anderer Menschen, auf die er bei aller Selbstständigkeit durchaus angewiesen ist. Im alltäglichen Leben „leiht“ er sich Hände und Füße, organisiert sich Unterstützung aus seinem Umfeld, beispielsweise beim Duschen. In der Mensa nehmen Kommilitonen ihm das Essenstablett vom Band und stellen es ihm an den Platz. Essen kann Janis dann wieder allein, selbst eine Colaflasche bekommt er aufgeschraubt, eingeschenkt und ohne Strohhalm getrunken.

>>> McDavid macht sich für Inklusion stark


Janis McDavid möchte nicht nur Abenteuer erleben, sondern auch anderen Menschen helfen. Er will etwas verändern in unserer Gesellschaft, wenn möglich in der ganzen Welt. Die Schaffenskraft, die er ausstrahlt, ließ bei einer Konferenz zum Thema Diversity (engl. für Vielfalt) in Dortmund seinen Mentor Gerd Kirchhoff auf ihn aufmerksam werden. Der pensionierte IBM-Manager hat ihn motiviert, gemeinsam eine überzeugende Homepage zu konzipieren, packende Fotos und Videos zu produzieren, Pressearbeit zu machen und vor Publikum zu sprechen.

Auf Bühnen stellt sich Janis heute ganz selbstverständlich und hält Motivationsreden, zuletzt im Friedrichstadtpalast, wo ihm 3000 Besucher fasziniert folgten. „Wir können viel mehr erreichen, wenn wir unsere Situation ganz und gar annehmen“, ist eine seiner Botschaften.

Interesse von Unternehmen und Medien ist groß

Die Medien interessieren sich für ihn, und zunehmend laden ihn auch Unternehmen ein, um Inspiration für ihre Betriebskultur zu bekommen. Janis ist auf dem besten Weg, ein Star der Inklusion zu werden. Doch er will mehr als Inklusion: Er will den Blick auf die Potenziale lenken, die erschlossen werden können, wenn man Barrieren beseitigt, räumlich und im Denken. „Wie bei SAP“, sagt er, wo man Autisten ein Umfeld schafft, in dem sie ihre besonderen Fähigkeiten entfalten können.

Er selbst hat bei IBM die Erfahrung gemacht, mit wie wenig Aufwand man einem gehandicapten Menschen die Mitarbeit ermöglichen und von seinen Ideen profitieren kann. Das sollte seiner Meinung nach eigentlich in jedem Unternehmen ganz normal sein. Von Auszeichnungen wie dem Inklusionspreis sagt Janis dann auch: „Ich wünsche mir, dass wir sie eines Tages nicht mehr brauchen.“