Bochum. . Janis McDavid wurde ohne Arme und Beine geboren. Nun macht er anderen Mut. Seine Behinderung, findet der Bochumer, sei auch eine „große Freiheit“.
Würden wir Janis McDavid beleidigen, wenn wir ihn als zupackend beschreiben? Als einen Menschen, der seinen eigenen Weg geht? Eher würde es ihm gefallen. Nichts macht den 24-Jährigen glücklicher, als wenn sein Gegenüber für einen Moment vergisst: dass der Wirtschaftsstudent, der Motivations-Redner, der Buchautor – gar keine Hände hat, die zupacken könnten.
Ein Bochumer Vorort, eine Altbau-Studentenwohnung: Die Wände sind orange oder hellgrün gestrichen, große Fotos erzählen von Namibia, auf der Fensterbank stehen Elefanten und Giraffen aus Holz. Und während Janis McDavid von seinen Reisen schwärmt, fällt erst der zweite Blick auf Dinge, die anders sind: Eine zweite, niedrigere Klinke an den Naturholztüren, der offene Fahrstuhl im Arbeitszimmer – im Untergeschoss wohnen Janis’ Eltern. Von ihrer Wohnung aus kann er mit seinem Elektrorollstuhl nach draußen, und dort wartet sein Auto, ein Spezialumbau. Der Fahrstuhl ist praktisch, allerdings: „So bekommen meine Eltern natürlich immer mit, wann ich nach Hause komme.“ Das will man nicht mit Mitte 20. Klar. Normal.
Nicht einmal einen Strohhalm gab es
Janis McDavid sitzt entspannt auf dem Sofa, zur Begrüßung hat er uns seinen rechten Armstumpf entgegengestreckt, den wir geschüttelt haben. Seine beste Freundin Madita ist auch da, sie macht Kaffee. Sie kennen sich, seit sie Kinder sind. Seit Janis aufwuchs bei Pflegeeltern, die neben ihm noch fünf weitere sehr besondere Menschen großzogen. Denn als er 1991 in Hamburg geboren wurde, war seine Behinderung für seine leiblichen Eltern eine Überraschung, von der sie sich überfordert fühlten. „Sie wollten jemanden finden, der mit der Situation professioneller umgehen kann“ – so wie Janis’ Pflegeeltern, die ihm „in entscheidenden Punkten keine Hilfe gegeben“ haben. „Klingt hart“, sagt McDavid, war aber wichtig. Nicht einmal einen Strohhalm gab es für den kleinen Janis, an den er sich hätte klammern, mit dessen Hilfe er hätte trinken können. Dafür bekam er mit 19 Monaten den ersten Elektro-Rolli – „in einem Alter, in dem andere Kinder laufen lernen“ – und konnte so die Welt erkunden.
Die erste Reise führte ihn – aufgewachsen als Waldorfschüler „durch und durch“, dem seine Eltern keine Süßigkeiten erlaubten – in einen Supermarkt, da war er neun Jahre alt und lernte durch „diese Schoko-Challenge als Schlüsselerlebnis“: „Nicht darüber nachdenken, was alles schiefgehen kann. Sondern sich das Ziel vor Augen führen.“ Sein Leitsatz heute: „Barrierefreiheit beginnt im Kopf.“ Noch als Schüler reiste er nach Namibia, gemeinsam mit seinem älteren Bruder. Seither ist er mit Freunden in aller Welt unterwegs, erzählt von London ebenso kundig wie von Brasilien.
In der Pubertät zeigte er „Ellenbogen“ auch daheim, indem er sich trotz des Verbots ein Handy zulegte. „Ich konnte eben nicht mit der Faust auf den Tisch hauen oder einfach weit, weit weggehen.“ Eine Pubertät mit dem Handicap, auf Hilfe angewiesen zu sein, das wäre wohl schwierig genug. Für Janis McDavid aber verkomplizierten sich die Dinge weiter, als er merkte: Er mag Jungs mehr als Mädchen. Zum ersten Besuch in einem schwul-lesbischen Jugendclub fuhr ihn seine Pflegemutter, heute geht er mit seinen Freunden in die Disco, im Ruhrgebiet oder in Berlin, wo er sich häufig aufhält. Auch das doppelte Anderssein ist letztlich normal: „Ich gefalle, jemand gefällt mir, und wenn wir Glück haben, dann gefallen wir uns gegenseitig.“
Plötzlich sollte er reden über „Mein ganz normales Leben“
Vielleicht merkt Janis McDavid erst jetzt so richtig, wie wenig normal sein Leben ist: An den Reaktionen, die seine Vorträge als Motivationsredner hervorrufen, den Fragen. An den Einladungen, die auf sein Buch folgten, in Talkshows, Fernsehstudios. Die Redner-Karriere begann 2012 in einem Autohaus: Eigentlich sollte es um die Technik seines Wagens gehen, die Details seiner Spezialanfertigung, „aber plötzlich stand da ‘Vortrag über Mein ganz normales Leben’, da musste ich mir etwas einfallen lassen“. Das Wirtschaftsstudium an der Uni Witten/Herdecke läuft derzeit parallel zu den Lesereisen, aufgeben wird Janis McDavid es nicht: „Dinge zu gestalten, zu bewegen, das ist mein Ziel; neue Wege für ein Unternehmen finden und aufzeigen, wie wichtig Vielfalt ist.“
Denn ja, es gibt traurige Momente in seinem Leben, Momente, in denen ihm bewusst wird: „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, jemandem mit den Fingern durch die Haare zu streichen, und wie es an den Füßen kitzelt, wenn man barfuß durchs Gras läuft.“ Trotzdem empfindet er seine Behinderung als „große Freiheit“, als eine Bereicherung, auch für die Gesellschaft: „Ich passe in keine Kategorie hinein. Mit mir muss man immer neu denken, die Welt ein wenig neu erfinden.“ Jeden Tag. Denn: Die Füße hochlegen, das ist nichts für Janis McDavid. Und dies ist ein Witz, den er selbst gerne macht.