Mülheim. Beleidigungen bis zum Anspucken trafen das Mülheimer Naturbad-Team an einem heißen Julitag. Doch bullige Security-Leute braucht dort niemand.
Wenn es Probleme gibt, schauen alle hin, doch der störungsfreie Alltag wird kaum beachtet. So geht es nicht nur dem Naturbad Styrum, doch dort fällt es besonders auf. Die ungechlorte Freizeitoase ist ein sensibles System, in dem man nur schwimmen kann, wenn die Wasserwerte stimmen. Sie haben fast den ganzen heißen, trockenen Sommer über gehalten: „Die Wasserqualität ist sehr, sehr gut“, sagte Badleiter Dustin Radde am tropischen Donnerstagnachmittag.
Doch das Team kann darauf wetten, wenn wieder ein Schließungstag nötig sein sollte, was zuletzt Mitte Juli der Fall war, schimpfen wieder einige aufs System und wünschen sich das Chlorwasser früherer Zeiten zurück. Und dann schlug noch dieser Zwischenfall am 19. Juli Wellen, als das Naturbad wegen drohender Überfüllung die Kasse schloss, Mitarbeitende von frustrierten Gästen angepöbelt, von einem sogar bespuckt wurden. Es war kein Halbstarker, der sich daneben benahm, sondern ein erwachsener Mann. Das Team sagt, der Vorfall sei die absolute Ausnahme, und Stammgäste bestätigen die allgemein friedliche Stimmung im beliebten Bad. Ein Besuch vor Ort.
Naturbad Mülheim: Wie viele Badegäste rein dürfen, hängt vom verfügbaren Personal ab
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Am Donnerstag war es wieder mal so richtig heiß, und erfahrungsgemäß ist der Nachmittag die kritische Zeit. Nach Schulschluss und Feierabend strömen die Leute ins Schwimmbad. Ein paar Mal in dieser Saison musste das Naturbad einen Einlassstopp akut verkünden, jeweils gegen 15, 16 Uhr. „Wie viele Leute kommen können, mache ich immer abhängig vom verfügbaren Personal“, erklärt der Badleiter. „An ganz heißen Tagen braucht man zwölf bis 15 Rettungsschwimmer vor Ort.“
Doch von Stress und Gedränge ist an diesem Donnerstag nichts zu spüren. Obwohl gegen 15.30 Uhr etwa 50 Personen an der Kasse anstehen, gut zur Hälfte Kinder. Drei junge Erwachsene reihen sich ein, erst genervt angesichts der Menschenschlange: „Läuft, Digga!“ Dann preschen auch noch ein paar Jungs vor, rennen direkt ans Tor: „Wenn die sich jetzt vordrängeln...“ Tun sie aber nicht, sondern kommen artig zurück. Nach etwa zehn Minuten habe alle ihre Eintrittskarten, gratis dazu gibt’s ein Lächeln von der Frau im Kassenhäuschen: „Viel Spaß.“
Saubere Toiletten, geordnete Schlange am Sprungturm
Das Naturbad ist nicht überfüllt, aber gut besucht, Menschen tummeln sich in den grünlichen Becken, sitzen auf sandfarbenen Halmen, die mal Wiese waren, spielen Fußball, schlindern auf der Skimboard-Bahn. Die Umkleideräume wirken sauber, die Toiletten werden gerade von einer Reinigungskraft geputzt, Kabine für Kabine desinfiziert, Papierrollen nachgefüllt.
Geordnete Schlangen stehen am Sprungturm, auf den Treppen zur gewundenen Rutsche, vor dem Kiosk. Ein Hauch von Anarchie weht lediglich über dem Planschbecken: Hier staksen Kleinkinder durchs flache Wasser, obwohl das Becken deutlich sichtbar gesperrt ist. „Seit Saisonbeginn haben wir hier leider immer wieder technische Probleme“, erläutert Dustin Radde. Das Wasser zirkuliert nicht. Reparatur sei nun aber in Sicht.
Vier, fünf Rettungsschwimmer in roten Poloshirts stehen auf ihrer Aussichtsstation, einer Art Pfahlhütte, weitere wandeln am Beckenrand, den Blick fest auf die Wasserfläche geheftet, oft im kurzen Gespräch mit Badegästen. Wie schwer es sei, gute Leute zu finden, hat der Badleiter oft betont. Umso schlimmer fand er die respektlosen Ausfälle, die sich einige Leute geleistet haben. Aufgepumpte Securitykräfte, wie sie etwa im Essener Grugabad unterwegs sind, gibt es im Naturbad Styrum nicht. Und offenbar sind sie auch nicht notwendig.
Stammgäste wissen das zu schätzen, etwa eine Mutter aus Essen-Borbeck, die den Nachmittag hier mit ihren beiden Töchtern plus Freundin verbringt. Die Mädchen sind zehn, elf Jahre alt. „Hier kann ich auch mal Sachen auf der Decke liegen lassen“, sagt sie, „und die Mäuse laufen lassen. Hier sind viele Bademeister, und die passen auch tatsächlich auf, trinken nicht nur Kaffee.“ Deutlich unangenehmer sei die Atmosphäre im Freibad, das sie zu Hause in unmittelbarer Nähe haben. Dort stehen Security-Leute schon an der Kasse, was ihr gar nicht gefällt. „Da ist auch ein ganz anderes Klientel.“
Wenige Meter entfernt sitzen zwei junge Männer, geschätzt Anfang 20, die bestätigen, dass es im Styrumer Bad auch ohne Sicherheitskräfte funktioniert. „Wir gehen ins Naturbad, seit wir 13, 14 sind“, sagt der eine. „Es ist schon mal voller, aber richtigen Stress oder Streit haben wir noch nie erlebt.“
AfD-Anfrage zur „Kriminalität in Mülheimer Badestätten“
Auf den Vorfall an der Naturbad-Kasse am 19. Juli hat sich die Mülheimer AfD fixiert. Sie stellte eine Anfrage an die Verwaltung zur „Kriminalität in Mülheimer Badestätten“ und behauptete, unter Bezug auf Vorfälle in Düsseldorfer und Berliner Bädern, es handele sich bei den „Freibadschlägern“ mehrheitlich um „junge Migranten“. Die Situation sei mittlerweile „unerträglich“, schreibt die AfD-Fraktion.
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Das Thema wurde am Donnerstag im Ausschuss für Bürgerangelegenheiten, Sicherheit und Ordnung (BSO) erörtert. Die Leiterin der Ordnungsamtes, Kerstin Kunadt, teilte mit, dass keine „gewalt- und kriminalitätsaffinen Personen“ bekannt seien, die ein Sicherheitsrisiko in den Mülheimer Schwimmbädern darstellen, weder in den Bädern der SWiMH gGmbH noch im Naturbad. Die AfD hatte dies gemutmaßt.
Bislang 2022 vier Polizeieinsätze in Mülheimer Bädern - wegen Diebstählen
In diesem Jahr hat es laut Verwaltungsbericht vier Polizeieinsätze in Mülheimer Bädern gegeben - nicht wegen Gewaltausbrüchen, sondern aufgrund von Diebstählen.
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Auch auf die Beleidigungen und die Spuckattacke am 19. Juli vor dem Naturbad geht der Bericht noch einmal ein. Die Person, die besonders übel auffiel („männlich, Mitte bis Ende 30, weiteres nicht bekannt“) habe Hausverbot bis zum Ende der Saison bekommen, „welchem sie sich fügte“. Die Pia-Stiftung habe betont, dass dieser Zwischenfall einzigartig war, obwohl es auch an folgenden Tagen großen Andrang gab und Beschränkungen der Besucherzahl. Die Betreiber verzichten daher weiter auf einen externen Sicherheitsdienst.
Verzicht auf Trillerpfeifen - „wir gehen lieber auf die Leute zu“
Wer eine Weile im Bad verbringt, bei Hitze, wer das Gewusel der Gäste, die Ansagen der Rettungsschwimmer beobachtet, bemerkt: Hier fehlt das schneidende Schrillen der Trillerpfeifen, die man sonst aus Schwimmbädern kennt. Das Team im Naturbad trägt einfach keine - bewusst, erklärt Badleiter Dustin Radde, weil sie die Besucher nicht anpfeifen wollen. „Wir gehen lieber sehr früh auf die Leute zu und sprechen alles, was potenziell gefährlich ist, sofort an.“
SWiMH arbeitet mit Sicherheitsdienst
Im Gegensatz zum Naturbad gibt es in den Bädern der SWiMH gGmbH (Friedrich-Wennmann-Bad, Südbad, Hallenbad Nord, Rembergbad) externes Sicherheitspersonal. Es unterstützt die Mitarbeitenden und führt Taschenkontrollen durch.
Die Kosten für diesen Sicherheitsdienst betrugen nach Angaben der Stadt Mülheim in 2022 bislang etwa 4600 Euro (Stand: Mitte August).
Fast immer genügt ein resolutes „Hallo!“ mit festem Blickkontakt, jedoch hätten sie in dieser Saison auch deutlich mehr Hausverbote ausgesprochen als im Vorjahr. Es waren auch viel mehr Besucherinnen und Besucher da - bis jetzt insgesamt knapp 40.000 Leute. Und die Saison läuft noch bis mindestens Mitte September.