Mülheim. Im Beschluss zur Mülheimer VHS stellte sich der NRW-Petitionsausschuss aufseiten von Politik und Verwaltung. Die Begründung aber wundert manchen.
Von ihm hätte der Rüffel an die Lokalpolitik kommen sollen, doch mehr als ein Bedauern, dass in der Sache VHS zwischen der Initiative des Bürgerentscheids und der Verwaltung/Politik „keine einvernehmliche Lösung gefunden wurde“, hatte der Petitionsausschuss des Landes nicht zu bieten. Manchem, der die jahrelange Debatte beobachtet, stößt dabei auf: In der Begründung wird vornehmlich die Perspektive der Verwaltung vertreten und manch gestreutes Gerücht. Wie unabhängig informiert ist der Beschluss des Petitionsausschusses?
Die Frage stellt sich zuvorderst der enttäuschten Initiative, aber nicht nur: Eines der Gerüchte, das zum Beschluss führte, ist, dass die Initiative die Ansicht vertrete, die VHS sei mit nur zwei Millionen Euro komplett zu sanieren. Dagegen geht aus einem Info-Flyer zum Bürgerbegehren vom September 2019 sowie aus der Unterschriftenliste zum Begehren selbst hervor, dass man mit zwei Millionen lediglich den reinen Brandschutz meine. Die vollständige Sanierung – so heißt es schon im damaligen Flyer – würde wohl rund 16 Millionen Euro kosten.
VHS-Initiative: „Petitionsausschuss hat mit uns nie direkt gesprochen“
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Später hatten MBI, Linke und WIR beantragt, jährlich zwei Millionen Euro für die Sanierung in den Haushalt einzustellen. Dies aber lehnten Verwaltung und die politische Mehrheit aus CDU, SPD, Grüne und FDP ab. Erich Bocklenberg von der Initiative bestätigt auf Anfrage: „Diese Behauptung der zwei Millionen Euro für die gesamte Sanierung hat der Ausschuss nie von uns erhalten. Im Gegenteil, keines unserer Argumente taucht in der Antwort des Petitionsausschusses auf. Mit uns ist in der gesamten Zeit auch nicht direkt gesprochen worden.“
Mehrere Schriftwechsel gab es aber durchaus zwischen Initiative und Petitionsausschuss. Im ursprünglichen Schreiben an den Ausschuss vom 7. Juli 2020 verweist die Initiative auf die damals vom Kämmerer vertretene Gesamtsumme von 22,5 Millionen Euro. Und schreibt weiter: „Die Bürgerinitiative war dagegen der Auffassung, dass die bereits begonnene Brandschutzsanierung und einige ergänzende Maßnahmen genügen würden, um das Gebäude wieder nutzbar zu machen.“
Woher stammt die falsche Aussage über zwei Millionen Euro Sanierungskosten?
Immer wieder ist darin „das Aussitzen“ durch Verwaltung und der mehrheitlichen Politik angemahnt worden. In keinem der Schreiben aber ist von jenen zwei Millionen die Rede. Der Beschluss des Petitionsausschusses beruht also wenigstens auf zwei Fehlannahmen.
Wurde der Ausschuss falsch informiert und von wem? „Der Wortlaut gleicht schon auffällig dem der Stadt“, bestätigt Sebastian Fiedler den Eindruck der Initiative. Das SPD-Bundestagsmitglied hatte im vergangenen Wahlkampf das Anliegen der VHS-Initiative mit der Aussage gestützt. „Ich halte den Umgang der regierungstragenden Fraktionen mit dem Bürgerentscheid für schwierig bis rechtswidrig. Das Aussitzen würde ich für unzulässig halten.“
SPD-Bundestagsmitglied Fiedler: Akten des Ausschusses prüfen
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Auch nach der ablehnenden Antwort des Petitionsausschusses stellen sich für Fiedler weiter Fragen. „Der Ausschuss wäre gut beraten gewesen, die Initiative ebenfalls einzubeziehen. Mich interessieren deshalb die Details, wie die Mitglieder zu ihrem Beschluss gekommen sind.“ Dies lasse sich aber den Sitzungsprotokollen und Akten entnehmen.
Augenscheinlich ist dabei auch: Der Petitionsausschuss ist allein durch Mitglieder der Landespolitik besetzt. Das sei auch richtig so, argumentiert Fiedler, denn der Ausschuss habe die Funktion, die Entscheidungen auf der exekutiven und judikativen Ebene zu kontrollieren.
Wie unabhängig entscheidet der Petitionsausschuss?
„Der Petitionsausschuss hat seiner landesrechtlichen Bestimmung beziehungsweise seinen Aufgaben entsprochen. Grundsätzlich ist er auf die schriftliche Kritik beziehungsweise Beschwerde der Initiative eingegangen“, stellt auch Andreas Kost fest. Der Politikwissenschaftler und stellvertretende Leiter der Landeszentrale für politische Bildung NRW hat sich intensiv mit der Historie der Bürgerbegehren und -entscheide auseinandergesetzt.
„Aus meiner langjährigen Beobachtung würde ich den Petitionsausschuss schon als unabhängiges Kontrollgremium einordnen wollen, der zwar nach einem Parteienproporz zusammengesetzt ist, aber sich doch als überparteiliches Organ für Belange der Bürgerinnen und Bürger begreift“, beurteilt Kost.
Doch sei dieser zur Prüfung und vorbereitenden Beantwortung etwa auf Stellungnahmen des (vormaligen) Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung angewiesen. Für den Mülheimer SPD-Landtagsabgeordneten Rodion Bakum ist es auch „üblich, dass Kommune und Land in Kontakt stehen“. Es zeigten sich aber auch andere Querverbindungen: Die Stellungnahme für den Ausschuss sei im März 2021 durch einen Sachbearbeiter jenes Landesministeriums erfolgt.
Verbindungen vom Landesministerium bis nach Mülheim
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Staatssekretär des Ministeriums sei damals Jan Heinisch gewesen. Bei der Landtagswahl 2022 trat Heinisch für die CDU im Landtagswahlkreis Mettmann III – Mülheim II an. „Der Staatssekretär ist in der Regel über die Tätigkeit seiner Sachbearbeiter gut informiert. Ich gehe von der Möglichkeit aus, dass es engen Kontakt zwischen dem OB und dem Staatssekretär gab.“
Wie einseitig war womöglich die Information an den Petitionsausschuss? Dass er in seiner Amtszeit Einfluss auf die Stellungnahme genommen habe, weist der ehemalige Staatssekretär Jan Heinisch auf Anfrage der Redaktion deutlich von sich. Er kenne die Stellungnahme nicht: „Es gibt unzählige Petitionen, die deshalb nicht über den Kopf gehen, sondern direkt in die Fachabteilungen und anschließend direkt an den Ausschuss.“ Heinisch räumt zwar ein, als Stellvertreter des Landes von der Verwaltung eingeladen worden zu sein, die Immobilie an der Bergstraße zu besuchen. Dabei sei es aber nur um Fördermittel und die mögliche Mitnutzung der Immobilie durch das Land gegangen.
Doch woher die Fachabteilung ihre Information bezog, kann Heinisch nicht sagen. „Der Ausschuss ist ein Kontrollorgan, das auf rechtsverbindliche Informationen angewiesen ist“, mahnt Bakum an. „Die Stellungnahme zumindest wird weder unserem Anliegen noch der Sache gerecht“, stellt der Initiativler Erich Bocklenberg ebenso fest. Der aktuell sichtbare und fortschreitende Verfall des denkmalgeschützten Gebäudes mache zudem deutlich, dass nun „alles zu tun sei, um das Haus zu erhalten“.
Politikprofessor: Initiative steht juristische Prüfung vor Verwaltungsgericht offen
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Die VHS-Initiative hat den Petitionsausschuss nun gebeten, auch die Angaben der Initiative mit in die Beurteilung einfließen zu lassen. Das – so heißt es im Antwortschreiben des neuen Vorsitzenden Serdar Yüksel – könne „gegebenenfalls mehrere Monate dauern, bis das Anliegen beraten und das Ergebnis in einem Beschluss zusammengefasst“ werde.
Politikwissenschaftler Andreas Kost sieht dennoch Möglichkeiten: „Die deutlich divergierenden Auffassungen hinsichtlich der Sanierung mögen eine juristische Überprüfung sinnvoll erscheinen lassen. Dafür müssten Verwaltungsgericht beziehungsweise Oberverwaltungsgericht bemüht werden.“ Der Weg sei ein steiniger, doch es habe „in der Vergangenheit schon einige Fälle gegeben, in denen die Initiatoren eines erfolgreichen Bürgerentscheids vor Gericht zogen, um den mangelnden Umsetzungswillen einer Kommune zu beanstanden“. Wenn etwa verfahrensrechtliche Punkte zu beanstanden wären, sei eine juristische Prüfung bedenkenswert.