Mülheim. Julia* aus Mülheim arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma, ist Geringverdienerin. Wie stark ihre Situation sie belastet, worauf sie verzichten muss.
Julia* ist zwar 30 Jahre alt – Taschengeld von ihren Eltern bekommt sie trotzdem. „Hätte ich meine Eltern nicht, wäre ich längst obdachlos oder verhungert.“ Monatlich verdient die Mülheimerin knapp 1200 Euro netto, dafür räumt sie 40 Stunden die Woche Waren in die Regale eines Supermarktes ein. Die Zeitarbeitsfirma, bei der Julia beschäftigt ist, zahlt ihr elf Euro die Stunde, 55 Cent mehr als der gesetzliche Mindestlohn vorschreibt. Damit ist Julia offiziell Geringverdienerin, auch wenn sie derzeit mehr verdient als noch vor einigen Monaten. Die Inflation und persönliche Umstände sorgen dafür, dass sie sagt: „Gedanklich dreht sich in meinem Leben viel ums Geld“.
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Eigentlich ist Julia gelernte Bürokauffrau, das letzte Mal in ihrem Ausbildungsberuf gearbeitet hat sie Anfang des Jahres. Mit ihrem Chef kam sie nicht aus, „er war cholerisch und hat uns alle Überstunden machen lassen“. Es folgten psychische Probleme, schließlich die Kündigung und die Arbeitslosigkeit. Einen Job im Bürogewerbe findet Julia zunächst nicht, „gefühlt ist jeder zweite Bürokaufmann oder Bürokauffrau“. Sie meldet sich arbeitslos, bezieht Sozialleistungen. In dieser Zeit stehen ihr rund 880 Euro im Monat zur Verfügung – „aber damit damit bin ich echt nur gerade so ausgekommen“. Die Miete für ihre knapp 50 Quadratmeter große Wohnung in Styrum – immerhin 420 Euro – zahlt sie vom Arbeitslosengeld. „Viel blieb damals nicht übrig“, sagt die 30-Jährige.
Job bei Zeitarbeitsfirma: „Es ist besser als nichts“
In ihrer Verzweiflung schreibt sie Zeitarbeitsfirmen an, eine aus Duisburg meldet sich mit dem Stellenangebot zum Waren einräumen zurück. „Der Lohn ist zwar nicht gut und die Anfahrt ist lang, aber es ist besser als nichts.“ Eine Stunde braucht Julia mit dem Bus von Styrum zu dem Supermarkt, in dem sie arbeitet. „Arbeitsbeginn ist je nach Schicht zwischen 6 und 9 Uhr“, erzählt Julia. Entsprechend früh muss sie aus Mülheim aufbrechen. Einen Führerschein hat sie nicht, ein Auto auch nicht; „das könnte ich mir gar nicht leisten“.
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Zwar hat Julia nun etwas mehr Geld zur Verfügung als zu der Zeit, in der sie arbeitslos war – „aber zurücklegen kann ich nichts“. An Rücklagen ist nicht zu denken, die 80 Euro für eine gebrauchte Waschmaschine sparte sie mühsam zusammen. „Die war allerdings nach einem Monat kaputt. Zum Wäsche waschen muss ich zu meinen Eltern.“ Wie fühlt es sich an, durch mangelndes Einkommen Abstriche machen zu müssen? „Ich mache so mein Ding. Aber manchmal trifft mich die Erkenntnis richtig“, sagt die 30-Jährige. Seit Jahren schon hat sie Depressionen, „und meine Geldsorgen machen das nicht wirklich besser“. Ein Teufelskreis.
Den richtigen Zeitpunkt für eine Ausbildung verpasst
Die (finanzielle) Anhängigkeit von den Eltern und die Arbeit in einem körperlich anstrengenden Job, der nicht mehr als reine Einkommenserwerb ist, hinterlassen bei Julia Spuren. „Irgendwie verliert man seine Motivation und den Antrieb“, sagt sie. Eigentlich wollte sie immer eine Ausbildung zur Pflegefachfrau machen, „aber den richtigen Zeitpunkt habe ich verpasst“. So kommt es ihr zumindest vor. Die Möglichkeit, in Teilzeit bei einer Seniorenberatung anzufangen, muss Julia vor einiger Zeit absagen. „Der Vertrag war sogar schon unterschrieben, aber es waren einfach zu wenige Arbeitsstunden. Davon hätte ich nicht leben können.“
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Mit den 1200 Euro, die Julia im Monat zur Verfügung stehen, kommt sie, wie sie selbst sagt, gut über die Runden. Zumindest, wenn sie verzichtet. „Groß etwas kaufen, bis auf Lebensmittel, kann ich eigentlich nicht.“ Früher hat sie gerne Kleidung gekauft, ab und an jedenfalls. „Ich muss aber noch alte Schulden abbezahlen und kann mir das deshalb nicht leisten.“ Die Schulden – auch bei ihren Eltern – belasten sie. An teure Freizeitaktivitäten ist nicht zu denken, „der letzte Besuch in einem Restaurant müsste echt schon Jahre her sein“.
Durch die hohen Kosten für Strom und Lebensmittel bleibt Julia noch weniger von dem, was ohnehin schon wenig ist. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, worauf ich noch verzichten soll“, sagt sie. „Dass mein ganzes Leben sich nur noch darum dreht, will ich ja auch nicht.“ Eines Tages, hofft sie, das typische Durchschnittsleben führen zu können. „Mit Mann und Kindern und einer schönen Wohnung, aber aktuell kommt mir das sehr weit weg vor.“
*(Name geändert)