Mülheim. Die Zeiten der Niedrigzinsen beim Hauskauf scheinen vorbei. Welche Folgen Inflation und steigende Bauzinsen auf Mülheims Immobilienmarkt haben.

Die Immobilienpreise in Mülheim sind seit Jahren auf einem Allzeithoch, nun aber könnten die steigenden Bauzinsen eine Trendwende am Immobilienmarkt einläuten. Wie Experten von der Verbraucherzentrale und Vertreter von Geldinstituten die Situation bewerten.

Die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit durch den Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und die steigenden Baufinanzierungszinsen könnten den Immobilien-Boom stoppen, meinen Experten. Denn für Käufer werde die Finanzierung von Immobilien deutlich teurer, falls die Bauzinsen wie erwartet weiter ansteigen.

Zinsen für Immobilienkredite laut Mülheimer Finanzexperte um rund 200 Prozent erhöht

„Die Zinsen für Immobilienkredite sind seit Weihnachten sprunghaft gestiegen. Damit haben selbst die meisten Fachleute nicht gerechnet“, sagt Thomas Hentschel, Referent für Finanzen bei der Verbraucherzentrale NRW, und verdeutlicht: „Ende Mai betrug der Sollzins für eine zehnjährige Zinsbindung rund 2,7 Prozent. Im Vergleich zu den 2000er Jahren ist das immer noch wenig – aber viel im Vergleich zum historischen Niedrigzins. Ende 2019 lag der Zins noch bei 0,75 Prozent. Wir haben heute also eine Erhöhung von rund 200 Prozent.“

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Finanzfachmann Hentschel rät jenen, die aktuell die Finanzierung einer Immobilie planen, genau zu rechnen: „Für diejenigen, die im vergangenen Jahr hätten kaufen wollen, es aber nicht getan haben, sind die Zinsen jetzt so hoch geworden, dass es unerschwinglich wird.“ Und das bei anhaltend hohen Immobilienpreisen gerade in gefragten Städten wie Mülheim.

Monatliche Belastung steigt bei gleicher Tilgung schnell von 1000 auf 1500 Euro

Der Experte hat beobachtet: „Für die Finanzierung steigt heute in der Regel die monatliche Belastung deutlich.“ Damit der aufgenommene Kredit in einem Zeitraum von 30 Jahren getilgt werden kann, verlangen die meisten Banken eine Anfangstilgung von zwei oder drei Prozent. Die Folge rechnet Hentschel vor: Konnten im Jahr 2021 mit 1000 Euro monatlich bei einem Prozent Zins und drei Prozent Tilgung noch 300.000 Euro finanziert werden, sind mit dem aktuellen Zins und drei Prozent Tilgung nur 200.000 Euro finanzierbar. Müssen aber 300.000 Euro mit einem Zins von drei Prozent finanziert werden, beträgt die monatliche Belastung bei drei Prozent Tilgung schon 1500 Euro.

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Hentschels Tipp: „Die monatlichen Belastungen für Zins und Tilgung sollten nicht mehr als 30 bis 35 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens betragen.“ Solide finanziere man mit 20 bis 30 Prozent Eigenkapital und einem Eigenkapital, das zudem die Finanzierung der Kaufnebenkosten deckt. Der Fachmann verdeutlicht: „Die Kaufnebenkosten mit Makler, Notar und Grundbuch-Eintragung machen rund zwölf Prozent aus und liegen heute schnell bei 40.000 Euro, die oben drauf kommen.“ Wer eine Immobilie finanzieren wolle, solle für die Zukunft nicht nur mit der monatlichen Belastung kalkulieren, mahnt Hentschel: „Man sollte nicht einfach sagen: ‘Das schaffen wir schon’, sondern ehrlich und ungeschminkt die eigenen Lebenshaltungskosten einrechnen.“

Längere Zinsbindung beim Darlehen kann laut Finanzfachmann Vorteile haben

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Der Finanzexperte der Verbraucherzentrale empfiehlt zudem, trotz steigender Zinsen die Zinsbindungen für länger als zehn Jahre festzulegen: „Der Zins für 15-jährige Zinsbindungen liegt aktuell um rund 0,3 Prozent höher als für zehn Jahre. Die monatliche Belastung ist also höher beziehungsweise die Tilgung bei vergleichsweiser gleicher Rate niedriger. Wer ein Darlehen für 15 Jahre oder länger aufnimmt, hat dann aber nach zehn Jahren ein einseitiges gesetzliches Kündigungsrecht. Während bei nur zehn Jahren Laufzeit die Restschuld zwingend mit dem dann aktuellen Marktzins finanziert werden muss, hat man bei mindestens 15-jähriger Zinsbindung ein um fünf Jahre längeres Zeitfenster.“ In dieser Zeitspanne sollte der Immobilienkäufer oder die -käuferin den Zinsmarkt im Auge behalten und kann die Anschlussfinanzierung festlegen, wenn die Zinsen auf einem niedrigen Niveau sind.

Beim Thema Baufinanzierung sollten Käuferinnen und Käufer genau hinschauen und sich etwa auch Sondertilgungsrechte einräumen lassen, rät der Mülheimer Thomas Hentschel, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale NRW.
Beim Thema Baufinanzierung sollten Käuferinnen und Käufer genau hinschauen und sich etwa auch Sondertilgungsrechte einräumen lassen, rät der Mülheimer Thomas Hentschel, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale NRW. © dpa | Boris Roessler

Beim Abschluss einer Baufinanzierung sollte man auch auf Sondertilgungsrechte achten. „Damit kann man die Tilgung beschleunigen und die Restschuld nachhaltig reduzieren“, nennt Hentschel Vorteile. Sondertilgungsrechte müssen vereinbart und im Vertrag festgehalten werden, appelliert der Verbraucherberater, die Schriftstücke genau durchzulesen. Wie entgegenkommend die Geldinstitute aber angesichts der angespannten Situation derzeit noch seien, sei schwer zu beurteilen. Wer sich absichern möchte, dem empfiehlt er ein Forwarddarlehen: Der Kunde schließt heute den Vertrag ab, das Darlehen beginnt dann zum festgelegten Zeitpunkt. Auf den aktuell gültigen Zins kommt je nach Zeitdauer bis zum Beginn des Darlehens ein Zinszuschlag.

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Grundsätzlich sollten auch Fördermöglichkeiten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in die Planung einbezogen werden. In Nordrhein-Westfalen biete die landeseigene NRW.Bank zusätzliche Förderprogramme an, heißt es bei der Verbraucherzentrale.

Familien mit mittleren Einkommen könnten in Sachen Baufinanzierung leer ausgehen

Wer den Plan habe, mit einer Immobilie fürs Alter vorzusorgen, müsse einrechnen, dass man zwar mit einem abbezahlten Zuhause die monatliche Miete spare, aber weiterhin Nebenkosten zu tragen habe und vor allem auch an Renovierung denken müsse. „Eine Immobilie, die ich schon seit Jahrzehnten nutze, braucht mit Sicherheit eine Sanierung, mindestens wenn es um energetische Standards geht – man denke nur an die älteren Ölheizungen, die bis 2025 ausgetauscht sein müssen“, gibt Hentschel zu bedenken: „Wer all sein Geld in die Entschuldung gesteckt hat, hat später nichts mehr für die Instandhaltung.“

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Generell, so sagt der Finanz-Fachmann, sei eine Immobilienfinanzierung gut zu überlegen: „Angesichts der aktuellen Entwicklung können wir eine Baufinanzierung gerade bei Familien mit mittleren Einkommen eher nicht mehr empfehlen.“

Was Mülheimer Geldinstitute zu Baufinanzierung sagen – die Sparkasse enthält sich

Dass Bankkunden und -kundinnen angesichts der steigenden Konditionen bei Baufinanzierungen zurückhaltender werden, kann die National-Bank bestätigen. „Die Mentalität ,Immobilienerwerb um jeden Preis’ nimmt spürbar ab. Das weiterhin hohe Preisniveau der Immobilien in Kombination mit dem gestiegenen Zinsniveau begrenzt die Finanzierbarkeit für Kunden. Bei den Kunden, die sich eine Finanzierung auf aktuellem Zinsniveau leisten können, sind die Finanzierungssummen allerdings weiterhin unverändert“, ordnet Gregor Stricker, Leiter des Vorstandsstabs National-Bank, ein. Noch sehe man bei der National-Bank keinen Trend zum Rückgang von Baufinanzierungen, „jedoch erleben wir eine Verlagerung von Erwerbfinanzierungen hin zu Anschlussfinanzierungen, Zinssicherungsgeschäften und in Teilen Modernisierungsfinanzierungen“, so Stricker.

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Die Deutsche Bank und die Postbank, eine Niederlassung der Deutsche Bank AG, sehen ihren Umsatz eigenen Angaben zufolge im Baufinanzierungsgeschäft auf Vorjahresniveau. „Leicht verändert hat sich aber die Zusammensetzung unseres Geschäfts. Im ersten Quartal 2022 haben die Kunden zunehmend den Wunsch nach Umfinanzierungen und Anschlussfinanzierungen unter Einbindung von Forwarddarlehen geäußert“, schildert ein Sprecher und formuliert die Folgen: „Hier wird deutlich, dass Kunden im Kauf- und Neubaubereich aufgrund der Zinsanstiege zurückhaltender agieren, während sich Kunden, die bereits über ein Immobiliendarlehen verfügen, vermehrt gegen steigende Zinsen absichern möchten.“

Zurückhaltung bei Kundenanfragen aufgrund des stark gestiegenen Zinsniveaus

Eine leichte Zurückhaltung bei Kundenanfragen aufgrund des stark gestiegenen Zinsniveaus verspürt auch die Sparda-Bank West. „Daher verabschieden sich aktuell verständlicherweise einige Interessenten – sowohl Käufer wie auch Verkäufer – aus dem Markt“, skizziert Pressesprecherin Ulrike Hüneburg. Einen deutlichen Rückgang bei Baufinanzierungen stellt das Geldinstitut noch nicht fest. Aber: „Wenn die Immobilienpreise nicht – zumindest moderat – sinken, könnte es zu einer stärkeren Kaufzurückhaltung vor allem im eigengenutzten Segment kommen, da die deutlich erhöhten Raten einen Kauf weniger attraktiv werden lassen.“

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Die Kreditsummen, die Verbraucher durchschnittlich finanzieren können, fallen laut Hüneburg noch nicht geringer aus. „Bei selbst genutztem Eigentum haben Kunden auch bisher schon möglichst viel Eigenkapital eingebracht, um damit auch die mit rund zehn Prozent relativ hohen Nebenkosten abzudecken und zusätzlich einen angemessenen Eigenkapitalanteil zu stellen. Es könnte sein, dass Kunden nun verstärkt nach Zusatzsicherheiten in der Familie suchen, um so eine Reduzierung der Zinsbelastung zu erreichen.“ Bei Anschlussfinanzierungen bestehe auch bei der Sparda-Bank West großes Interesse an Forwardvereinbarungen. „Bis vor kurzem haben viele Kunden die Notwendigkeit einer frühzeitigen Verlängerung noch nicht als so bedeutsam angesehen. Das hat sich geändert.“

Sparkasse Mülheim gibt keine Auskünfte zur Entwicklung bei Baufinanzierungen

Kaum Auswirkungen der steigenden Zinsen registriert bislang die Volksbank Rhein-Ruhr, eine Zurückhaltung bei Baufinanzierungen stelle man nicht fest. Auch die Kreditsummen, die Verbraucherinnen und Verbraucher durchschnittlich finanzieren können, seien eher weiter steigend. Bei Kunden, die bereits über ein Immobiliendarlehen verfügen, sei der Trend zur Zinsabsicherung indes deutlich erkennbar.

Die Sparkasse Mülheim wollte sich im Gegensatz zu den anderen Kreditinstituten nicht zum Thema Baufinanzierung äußern. Gründe dafür nannte Sparkassen-Sprecher Frank Hötzel nicht.