Mülheim. Fast 100 Jahre alt ist die Saliersiedlung in Mülheim-Broich. Manche Anwohner wohnen schon über 60 Jahre dort. Wie lebt es sich in dem Denkmal?
Mit ihrer ganz besonderen Atmosphäre bildet die Saliersiedlung in Broich eine Oase von Ruhe und nachbarschaftlichem Miteinander. Jetzt feierten die Anwohner ihr Siedlerfest. Manche leben bereits seit über 60 Jahren hier und haben eine Menge zu erzählen.
Am beeindruckendsten offenbart sich der Charme der symmetrisch angelegten Saliersiedlung – sowohl rechts und links als auch vorne und hinten –, wenn man sie von der Kriegerstraße aus betritt. Betuliches Kopfsteinpflaster sowie das Verkehrsschild mit unglaublichen 10 km/h Höchstgeschwindigkeit schaffen ein Paradies für Kinder. Denn nach dem Entree mit ‘normaler‘ Straße weitet sich das Terrain für eine mittig gelegene elliptische Wiese mit riesigem Spielplatz; der schmale Kopfsteinpflasterweg führt nur noch als Einbahnstraße an den Seiten vorbei.
Ellipsenförmig schmiegen sich die Häuser der Mülheimer Saliersiedlung um den Platz
Am Samstag allerdings sind die Spielgeräte verwaist, lockt in der Ferne eine Hüpfburg. „Wir wollen allen die Gelegenheit geben, mitzufeiern“, erläutert Organisator Matthias Knorr. „Deshalb sind die meisten Kinderaktionen kostenlos, die Preise für Essen und Getränke sehr human.“ Die Stände und die Biertischgarnituren, die sich schnell füllen, befinden sich am kleinen Kreisverkehr mit Wiese hinter dem Spielplatz. Von hier zweigt auch die Markomannenstraße ab mit den letzten der einheitlich hellgelb verputzten Siedlerhäuser und ihren heimelig anmutenden weißen Sprossenfenstern.
Den Ursprung dieses Straßenfestes kennen ältere Anwohner wie Elfriede Schmidbauer und Marianne Schmidt, die schon seit über 60 Jahren hier leben: Als der einstige Besitzer, der Weiße Ring, die Siedlung verkaufen und der neue Käufer aus den Miethäusern Eigentum machen wollte – mal ein ganzes Haus, mal nur eine Etagenwohnung – da protestierten die Anwohner.
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Sie kämpften – und gewannen, als MWB die Siedlung übernahm. Aus überschwänglicher Begeisterung feierten sie ein spontanes Freudenfest, das seither Pate stand für viele weitere. Zum Beispiel für das Ukrainefest in diesem Frühling, bei dem 2000 Euro Spenden zusammenkamen.
Anwohner schätzen das Miteinander: „Jeder kennt jeden, wie in einer Großfamilie.“
Inzwischen steht die Siedlung unter Denkmalschutz, und alle sind hochzufrieden. „Es ist jetzt besser als damals“, gesteht Marianne Schmidt, die immer noch selbst ihren Vorgarten und den großen Garten pflegt, inklusive Rasenmähen. „Nur beim Umgraben, da helfen die jungen Männer.“ Auf die nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft ist Verlass.
Demnächst ziehen neue Nachbarn ein, deren achtmonatiges Baby bereits in Frau Schmidts Garten krabbelte. „Wir haben uns schon angefreundet“, erzählt die rüstige Dame, die sich gerne an die alte Siedlung erinnert. Zum Beispiel an den Lebensmittelhändler direkt am Rondell, bei dem Elfriede Schmidbauer in die Lehre ging oder ans Gesundheitsamt gegenüber: „Fürsorge hieß das damals.“
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Nina Meuers Tochter Magdalene verabredet sich mit ihren viereinhalb Jahren schon „auf eigene Faust“ auf dem Spielplatz, denn: „Hier sind überall Augen“, wie Nicole Jordan treffend sagt. „Die Kinder wachsen sorglos auf, weil immer jemand aufpasst“. Sie lacht. „Jeder kennt jeden, wie in einer Großfamilie. Da gibt’s auch mal Knies, aber dann verträgt man sich wieder.“
Wer eine Wohnung in der Saliersiedlung bekommen will, braucht Geduld
Selbst ehemalige Siedlerkinder helfen beim Fest, obwohl sie beim Auszug hier keinen Wohnraum fanden, denn der ist sehr begehrt. Etwa zehn Jahre müsse man derzeit warten, schätzt Michel Jordan. Dabei sind die Häuser auf effektive Wohnraumnutzung ausgerichtet mit gleich großen Zimmern von etwa 13 bis 15 Quadratmetern und mit sichtbar auf der Wand verlaufenden Heizungsrohren, denen Nina Meuer einen bezaubernden Flair zuspricht. „Auf zwei Quadratmetern vier Türen, da muss man schon hantieren“, lacht sie. „Eng, aber gemütlich“, sagen Nicole und Michel Jordan.
Viele der Anwohner verschätzen sich dabei, wie lange sie schon zu den Siedlern gehören. „Man vergisst die Zeit hier in der Siedlung“, gesteht Maik Lucas. Seine Frau Maren wohnt schon ihr ganzes Leben lang hier, immerhin 48 Jahre, ist nur innerhalb der Siedlung umgezogen. Auch Sohn Luca Noel (21) wirkt zufrieden: „Schön ruhig hier.“ Das schätzt er besonders, wenn er vom Feiern heimkommt.
Im Winter feiert die Siedlergemeinschaft gemeinsam mit Glühwein am Tannenbaum
Aus Nachbarn werden oft Freunde, heißt es, und auch neu Hinzugezogene sollen Anschluss finden. Deshalb fließt der Erlös des heutigen Fests aufs Siedlungskonto. Damit im Winter die weihnachtliche Krippe auf dem Rondell eingezäunt werden kann und alle mit Glühwein am Tannenbaum zusammenkommen.
„Um die Gemeinschaft zu unterstützen“, sagt Matthias Knorr. Ein wahrlich einzigartiges Juwel ist diese Saliersiedlung, aus der verständlicherweise keiner wegziehen will.
Wie man den Siedlungsnamen ausspricht
Vor fast 100 Jahren entstand in der Nähe der Herz-Jesu-Kirche mitten in Broich die Saliersiedlung. Die gleich aussehenden zwei- und dreigeschossige Häuser prägen die Kirch-, Hermann- und Kriegerstraße, doch das eigentliche Zentrum bildet die Salierstraße mit einem kleinen Ausläufer in der Markomannenstraße.
Fast alle Anwohner sprechen Salier übrigens mit zwei Silben aus, wie Spalier mit langem >ie<. Obwohl die Häufung von römischen und germanischen Stämmen in diesem Viertel die dreisilbige Aussprache korrekter erscheinen lässt, auf der ersten Silbe betont und einzelnem >i< und >e<, werden Außenstehende so nur schnell entlarvt.