Mülheim. August Thyssen prägte nicht nur Mülheim, sondern das Ruhrgebiet. Wie ein Bauernhof in Styrum zur Keimzelle eines internationalen Konzerns wurde.

Der Industrielle August Thyssen ist ein Beispiel dafür, wie Zuwanderer Mülheim geprägt und nachhaltig verändert haben. 1842 in Eschweiler geboren, kam Thyssen 1871 auf der Suche nach einem Werksgelände nach Mülheim – und entdeckte einen ehemaligen Bauernhof in Styrum.

Dass er sich für den Standort Styrum entschied, wo er auf einem ehemaligen Bauernhof sein Stahlwerk gründete, hatte mit dem Bahnanschluss seines Werkgeländes zu tun. Auf dem ehemaligen Heckhof der Familie Becker entstand ein Stahlwerk, das zur Keimzelle eines international agierenden Stahl- und Kohlekonzerns werden sollte. 1914 gehörte August Thyssen zu den größten und reichsten Kohle- und Stahlbaronen Europas. Zwei Jahre zuvor hatte Mülheim ihn zu seinem Ehrenbürger gemacht.

Durch Thyssens Werk wurde Styrum zu einem Industriestadtteil der Großstadt Mülheim

Thyssens Mülheimer Werk, das im Laufe seiner Geschichte seinen Namen mehrfach gewechselt hat, hat Styrum dramatisch verändert. Unter Thyssens Einfluss wurde die Landbürgermeisterei ein Industriestadtteil der Großstadt Mülheim. Dass die Stadt an der Ruhr 1908 die 100.000-Einwohner Grenze überschritt und damit zur Großstadt wurde, war ganz wesentlich auf das Bevölkerungswachstum in Styrum zurückzuführen. Innerhalb von 50 Jahren verzehnfachte sich die Styrumer Bevölkerung.

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Das Stahlwerk zog Arbeitskräfte aus Deutschland und Europa an. Das sorgte bei den Einheimischen nicht nur für Begeisterung, sondern auch für Proteste. Denn die neuen Nachbarn wurden als Konkurrenten um Wohnraum und Arbeitsplätze angesehen. Obwohl er ein scharf kalkulierender Unternehmer war, erkannte Thyssen die soziale Dimension seines unternehmerischen Handelns.

August Thyssen an Pfingsten 1911 im Torbogen von Schloss Landsberg fotografiert von seinem Großneffen Kurt Ernst.  
August Thyssen an Pfingsten 1911 im Torbogen von Schloss Landsberg fotografiert von seinem Großneffen Kurt Ernst.   © Kurt Ernst

Deshalb baute er Werkswohnungen, gründete einen Werkschor, finanzierte den Bau der Styrumer Marienkirche und des Mülheimer Stadtbades. Er kaufte Gaststätten auf und ließ Milch an seine Arbeiter verteilen, um zu verhindern, dass sie ihren Lohn in den Kneipen der Stadt vertranken.

August Thyssen baute lokale Energie- und Wasserversorgung in Mülheim mit aus

Außerdem pflegte Thyssen einen regen Kontakt zu den Volksschulrektoren, um immer wieder neuen Nachwuchs für seine Belegschaft zu gewinnen. Darüber hinaus war er am Ausbau der lokalen Energie- und Wasserversorgung beteiligt, in dem er sein Wissen und die Infrastrukturen seines Unternehmens in die Gründung des Mülheimer Bergwerksvereins, des Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerkes und der Rheinisch Westfälischen Wasserwerksgesellschaft einbrachte. 100 Jahre nach dessen Errichtung sollte in Thyssens ehemaligem Wasserturm das von der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft betriebene Wassermuseum Aquarius seine Türen öffnen.

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Bis heute erinnern nicht nur die Styrumer Marienkirche und die Mintarder August-Thyssen-Straße, sondern auch das Haus der Mülheimer Wirtschaft an der Wiesenstraße und sein Unternehmermuseum an das Erbe des Wirtschafts- und Industriepioniers. Denn das heutige Haus der Wirtschaft war zu Lebzeiten Thyssens seine Firmenzentrale.

Schloss Landsberg in Kettwig wurde August Thyssens Zuhause

Als August Thyssen 1926 starb, da war er schon längst von Mülheim-Styrum ins Schloss Landsberg nach Kettwig gezogen, bestand sein Stahl- und Kohlekonzern aus 151 Unternehmen, in denen rund 65.000 Menschen beschäftigt waren.

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August Thyssen hatte seinen Konzern angesichts der internationalen Konkurrenz in die Vereinigten Stahlwerke eingebracht. Seinem Sohn und Nachfolger Fritz fehlte das Format und die Fortune des Vaters. Erst förderte er den Aufstieg der NSDAP und ihres Führers Adolf Hitler, um dann viel zu spät den wahren Charakter des NS-Regimes zu erkennen und sich von Hitler abzuwenden. Einem amerikanischen Journalisten gestand er 1939 im Exil: „Ich bezahlte Hitler!“

August Thyssen: Wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, aber auch private Unglücksgeschichte

Fritz Thyssen, nach dem seit 1967 eine Straße zwischen Dümpten und Styrum benannt ist, wurde zunächst von den Nazis und dann von den Alliierten interniert und später ins argentinische Exil entlassen. Sein Vermögen brachte er postum in eine Stiftung zur Wissenschaftsförderung ein.

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Sein 1926 verstorbener Vater August hatte NS-Diktatur, Holocaust und den Zweiten Weltkrieg nicht mehr miterleben müssen. Sein Leben bleibt nicht nur als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, sondern auch als private Unglücksgeschichte in Erinnerung. Seine Ehe mit der Mülheimer Fabrikantentochter Hedwig Pelzer wurde 1885 geschieden und das Unternehmenserbe sorgte für einen Dauerstreit mit seinen Kindern.

1915 musste August Thyssen den Tod seines zwei Jahre jüngeren Bruders Josef verkraften. Josef Thyssen, mit dem er nach dem Tod des Vaters Friedrich ab 1877 das Unternehmen geführt hatte, starb auf tragische Weise, indem er auf dem Styrumer Werksgelände von einer Lokomotive erfasst wurde.

Lieber zu Fuß über die Schloßbrücke

August Thyssen, der auch dem Styrumer Gemeinderat und dem Mülheimer Stadtrat angehörte, lebte privat sehr sparsam.

Von ihm wird berichtet, dass er die zwischen 1844 und 1909 existierende Kettenbrücke, die ab 1911 durch die erste und 1961 durch die heutige Schloßbrücke ersetzt wurde, nur zu Fuß passierte. Damit ersparte sich August Thyssen damals das Brückengeld, das fällig wurde, wenn man die Kettenbrücke mit einem Fahrzeug oder mit einem Fuhrwerk überqueren wollte.