Mülheim. . An der Feierstunde zum Holocaust-Gedenktag auf dem Jüdischen Friedhof nehmen auch Jugendliche teil. Sie besuchten im Dezember bereits Auschwitz.

270 jüdische Mülheimer wurden während der nationalsozialistischen Diktatur ermordet, 270 von insgesamt sechs Millionen Holocaust-Opfern. Ihrer gedachten gestern rund 70 Bürger aus allen Bereichen der Stadtgesellschaft auf dem Jüdischen Friedhof an der Gracht.

Auch die 18-jährige Oberstufenschülerin Samantha Klein und Pädagogin Isabelle Wojcicki, die im Jugendzentrum Stadtmitte arbeitet, nahmen mit einigen weiteren Jugendlichen an der Gedenkstunde teil. Die jungen Leute hatten im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben“ im Dezember 2018 das ehemalige Konzentrationslage Auschwitz besucht. „Wenn man an diesem Ort gewesen ist, weiß man, warum man sich an den Holocaust erinnern und für Toleranz eintreten sollte,“ sind sich Samantha Klein und Isabelle Wojcicki einig.

Wachsamkeit gegen jede Form von Extremismus

Sie hören in der Kapelle des um 1700 angelegten Jüdischen Friedhofes an der Gracht die Ansprache des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dieter Spliethoff. Er vertritt an diesem Gedenktag, der 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog initiiert wurde, die Stadt Mülheim. Denn Oberbürgermeister Ulrich Scholten weilt im Urlaub, Bürgermeisterin Ursula Schröder ist erkrankt, und Bürgermeisterin Margarete Wietelmann feiert am selben Tag ihren 68. Geburtstag.

Spliethoff nutzt die Gelegenheit, um zur politischen Wachsamkeit gegen jede Form von Extremismus aufzurufen. Der Sozialdemokrat nennt es „nicht hinnehmbar“, dass der Parteivorsitzende der AfD, Alexander Gauland, die NS-Diktatur und den Holocaust als „einen Fliegenschiss der deutschen Geschichte“ verharmlost hat.

Zum Abschluss ein hebräisches Totengebet

Spliethoff weist auf eine aktuelle Umfrage der Europäischen Union hin, in der 61 Prozent der Befragten einen wieder zunehmenden Antisemitismus beklagen.

Der Mülheimer Religionspädagoge Gerhard Bennertz, der seit den 1970er Jahren die Lebensgeschichten jüdischer Mülheimer erforscht und dokumentiert hat, die Opfer des Holocaust geworden sind oder den im deutschen Namen begangenen Völkermord überlebt haben, schildert eindringlich und anschaulich, wie die jüdischen Mülheimer Alfred Cohn und Arthur Meyer den Holocaust überlebt und danach in Israel ein neues Leben angefangen haben.

Die berührende und bewegende Gedenkstunde klingt aus mit einem hebräischen Totengebet, das Rabbiner Geballe der 2500 Mitglieder zählenden Jüdischen Gemeinde Mülheim-Duisburg-Oberhausen spricht.

>> STOLPERSTEINE UND BIOGRAFIEN

Dieter Spliethoff lobte in seiner Ansprache zum Holocaust-Gedenktag die 2004 von Jugendlichen der Realschule Stadtmitte initiierte und später von einem gleichnamigen Arbeitskreis Stolpersteine fortgeführte Dokumentation von Mülheimer Opfer-Biografien aus der NS-Zeit. Diese Biografien finden sich auf der Internetseite der Stadt Mülheim: www.muelheim-ruhr.de.

Gerhard Bennertz empfahl Interessierten die Lektüre der Biografien jüdischer Mülheimer, die im Stadtarchiv an der Von-Graefe-Straße 37 hinterlegt sind. Infos dazu findet man auch online auf www.stadtarchiv-mh.de.