Mülheim. Wie wird Mülheim dem Müll Herr? In Speldorf griff die Werbegemeinschaft nun durch und demontierte Eimer und Bänke. Nicht alle finden das richtig.

Nach den lauen Sommerabenden kommt vielerorts im Stadtgebiet am nächsten Morgen das böse Erwachen: Treffpunkte in Parks oder an Straßenecken, dort wo Bänke zum Verweilen einladen, sind vollgemüllt. In manchem Stadtteil sind die Sitzgelegenheiten nun als Reaktion auf die andauernde Verschmutzung kurzerhand abmontiert worden. Einigen geht das zu weit.

Pizzakartons, Zigarettenschachteln, leere Kaffeebecher – alles Müll, der entsorgt werden will. Doch tritt der Abfall in rauen Mengen auf, bringt er einen Abfalleimer an einer belebten Straßenecke oder an einer Grünfläche mitunter schnell zum Überlaufen. Gierige Vögel oder Windböen tun ihr Übriges und verteilen den Unrat unschön in der Umgebung. Die Reißleine gezogen hat nun die Interessengemeinschaft Speldorf, die die beiden roten Mülleimer samt Metall-Bänken am Parkplatz des Depots und an der Ecke Hornhof/Duisburger Straße abmontiert hat.

Vermüllungsgrad hat in Mülheim-Speldorf Höhepunkt erreicht

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„Wir haben seit dem Frühling beobachtet, dass da Müllberge anfallen, dort wurde teilweise säckeweise Haushaltsmüll reingestopft“, schildert Dennis Weiler, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Speldorfer Kaufleute und spricht von „Gruppen, die die Bänke und die Standorte für sich entdeckt und hier ihr Unheil getrieben haben“. Nicht nur Jugendliche habe er dort beobachtet, viel mehr seien es Erwachsene im Alter zwischen 35 und 45 Jahren gewesen, die sich dort regelmäßig niedergelassen und Bier- und Schnapsflaschen hinterlassen hätten. Das Gespräch zu suchen, in die Konfrontation zu gehen, das sei ihm zu riskant gewesen, sagt Weiler: „Wir sind ja nicht dazu da, um Jugendliche oder andere Erwachsene zu erziehen.“

In den vergangenen Wochen habe es ein Vorstandsmitglied übernommen, den Müll, der an den Bänken angefallen war, zu entsorgen – in seiner privaten Tonne. „Leider sind die Zustände aber unzumutbar geworden und der Vermüllungsgrad hat den Höhepunkt erreicht“, berichtet Weiler von ausgelaufenen Bierdosen bis zu verschimmelten Joghurts sowie abgefressenen Hähnchenknochen. „Das sieht nicht nur unschön aus, sondern sorgt auch dafür, das Ratten, Wespen und weiteres Ungeziefer angezogen wird“, nennt der IGS-Vorsitzende Gründe, warum zwei der vier Abfallbehälter und Bänke, die die Händlergemeinschaft vor fünf, sechs Jahren angeschafft hatte, nun nicht mehr tragbar seien. Weiler befürchtet aber auch: Das Problem sei mit der Demontage nicht gelöst, sondern werde sich verlagern.

Karin Piek, ehrenamtliche Landschaftwächterin, hat gemeinsam mit einer Freundin Glas und anderen Müll beseitigt, der sich im Rondell der Mülheimer Ruhranlagen gesammelt hatte.
Karin Piek, ehrenamtliche Landschaftwächterin, hat gemeinsam mit einer Freundin Glas und anderen Müll beseitigt, der sich im Rondell der Mülheimer Ruhranlagen gesammelt hatte. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Entsorgung des Mülls durch Dienstleister oder durch Mitglieder konnte seitens der IGS nicht organisiert werden, so der Vorstand der Kaufleute. Die MEG sei ausschließlich für die Entsorgung der blauen Tonnen zuständig, eine regelmäßige Leerung und Reinigung der Flächen in Speldorf konnte nicht vereinbart werden. „Die Nachbarschaft war durch Lärm und Müll genervt“, nennt Weiler einen weiteren Grund für den Rückbau.

Glasflaschen und ehrverletzende Schmierereien trüben neu gestaltete Ruhranlagen

Szenenwechsel: Auch an den frisch gestalteten Ruhranlagen mit neuem Spielplatz und Boule-Feld könnte alles so schön sein. Die Stadt nahm hier bewusst einiges an Hecken und Bepflanzung weg, um Licht in dunkle Ecken zu bringen – und damit mehr soziale Kontrolle wirksam werden zu lassen. Parallelgemeinschaften und eine Trinkerszene sollen sich nicht mehr unbeobachtet in Nischen einnisten können.

Diese Rechnung ging allerdings nur in Teilen auf: Die Landschaftswächterin Karin Piek berichtet weiterhin von etlichen zerbrochenen Wodka-Glasflaschen, jede Menge Plastikmüll im Rondell und am dahinter liegenden Ufer – offenkundige Zeichen von weiterhin stattfindenden Exzessen. Und augenscheinlich fühlt man sich dort weiterhin ungestört: Unbekannte haben in der vergangenen Woche auf die Stufen am Rondell „Ich f*cke deine Mutter“ gesprüht.

Bürgerinnen haben Hinterlassenschaften beseitigt

Inzwischen sind diese Spuren zwar beseitigt: Piek und eine Freundin haben ehrenamtlich und auf eigene Faust mit Kehrblech und -besen das Glas beseitigt und auch den restlichen Müll, „weil sich daran sonst Kinder und Wasservögel verletzen können“, so die engagierte Landschaftswächterin.

Doch die Frage, wie die Stadt dem hemmungslosen Verhalten in aller Öffentlichkeit überhaupt Herr werden soll, bleibt. Bei einer Stippvisite am Montagmittag sitzen manche dort schon beim ,Frühschoppen’. „Wir waren das nicht“, beteuert eine Frau und zeigt mit der Flasche auf zwei leere Pizzakartons und überfüllte Mülleimer an der gegenüberliegenden Bank am Rondell. Auch die beiden Männer auf ihrer Seite wehren ab: „Sowas muss doch nicht sein. Das ist doch Natur hier.“ Sie jedenfalls nähmen ihre Bierflaschen immer mit.

Auch an der Ruhrpromenade in Mülheim quillen die Mülleimer mitunter über, wie das Bild von einem früheren Sommertag zeigt
Auch an der Ruhrpromenade in Mülheim quillen die Mülleimer mitunter über, wie das Bild von einem früheren Sommertag zeigt © Unbekannt | Wach

Beseitigt sind am Montagmittag auch die Verbalinjurien. Die Stadt sieht jedoch kaum noch Möglichkeiten, selbst mehr durchzugreifen. „Wir haben das Personal nicht, um sieben Tage die Woche zu kontrollieren“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. Das rücksichtslose Verhalten sei ein gesellschaftliches Problem. Die Lösung? Hinschauen und mehr Zivilcourage zeigen, anderen auch zu sagen, wenn man das Verhalten nicht in Ordnung findet.

Bürgerinnen und Bürger reagieren mit Unverständnis

Oder besser Bänke demontieren? Nicht bei allen Bürgerinnen und Bürgern stößt das Vorgehen der Speldorfer IGS auf Verständnis. Mancher hält dies für eine Kapitulation: „Offen gesagt hätte ich mehr von der IGS erwartet“, kommentiert ein Nutzer auf Facebook. Er fragt, ob sich nicht vielleicht Freiwillige gefunden hätten, die die Tonnen leeren und meint: „Im Fokus sollten eher die Menschen sein, die auf die Bänke angewiesen sind und die sie gerne und ordentlich nutzen. Schilder hätten für den Anfang vielleicht auch was gebracht oder aber gezielt die Leute, die es vermüllen, bei Begehungen anzusprechen.

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Eine Nutzerin schlägt vor: „Wie wäre es mit größeren Mülltonnen? Oder einem Platz, wo Jugendliche niemanden stören. Ich war auch mal eine Jugendliche. Wir hatten früher auch unsere Bank, wo man immer jemanden getroffen hat. Und das war auch gut so! Demontieren ist irgendwie blöd. Lieber mal kurze Gespräche suchen.“ Und wieder andere finden „es nicht ok, jetzt auf einmal ohne jegliche Ansage diese von jetzt auf gleich wieder zu entfernen. Die älteren und vor allen Dingen die gehbehinderten Menschen hier haben jetzt das Nachsehen.“

Speldofer Interessengemeinschaft hat Bänke noch nicht aufgegeben

Die IGS weist die Kritik von sich, man sei überzeugt, dass die Müllentsorgung auf freiwilliger Basis nicht funktionieren würde, sagt Weiler und betont: „Wir sind uns im Klaren darüber, dass gerade ältere Bürgerinnen und Bürger die schönen Bänke in den Sommermonaten für eine kleine Erholungspause genutzt haben. Doch uns blieb keine andere Wahl, die Tonnen samt Bänken auf unbestimmte Zeit zu demontieren.“Ausgeschlossen sei aber nicht, die Sitzgelegenheiten wieder zu montieren, wenn sich die Situation beruhigt habe.

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In Saarn sei die Situation vergleichbar, sagt Marcel Leydag, Vorsitzender der dortigen Werbegemeinschaft und nennt als neuralgische Punkte den Pastor-Luhr-Platz und den Ruhrdamm. „In Saarn steht es um den Müll nicht besser als in den anderen Stadtteilen“, bilanziert Leydag und schildert: „Gerade an einem Wochenende mit schönem Wetter quillen die Mülleimer über.“

Traurig findet der Vorsitzende der Saarner Werbegemeinschaft das, denn man wolle Besucherinnen und Besuchern ja gerade attraktive Plätze zum Verweilen bieten. „Wir schicken zwei Mal die Woche zusätzlich einen Reinigungsdienst durchs Dorf“, schildert er das Bemühen des Zusammenschlusses, das Dorf sauber zu halten. Mit Blick auf die von der Stadt bewirtschafteten Mülleimer meint Leydag: „Man könnte sagen, dass man mehr Abfalleimer aufstellen oder aber die bestehenden öfter leeren müsste, um dem Problem Herr zu werden.“