Mülheim. Mitte 2025 will der Katholische Zweckverband aus Mülheim-Selbecks einziger Kita St. Theresia von Avila aussteigen. Das löst Unverständnis aus.
Auf Familien in Selbeck kommen schwierige Zeiten zu: In drei Jahren könnte der idyllische Mülheimer Stadtteil seine einzige Kindertagesstätte verlieren. Denn der Zweckverband Katholische Tageseinrichtungen im Bistum Essen hat beschlossen, sich aus der seit rund drei Jahrzehnten existierenden Kita St. Theresia von Avila zurückzuziehen. Die Nachfolge? Unbekannt. Der Grund? „Die finanziellen Zuführungen aus Kirchensteuermitteln sinken stark“, verrät ein aktuelles Schreiben an Selbecker Eltern. Doch das löst Unverständnis aus.
Denn gerade für Familien ist hier im Grünen erst kürzlich viel geschaffen worden: Just entstehen auf dem ehemaligen Rumbaum-Gelände an der Kölner Straße weitere 14 Reihenhäuser und 26 Doppelhaushälften. „Ein komischer Zeitpunkt: Der Busverkehr wird zusammengestrichen, die Kita geschlossen – das passt nicht zusammen“, sagt der Selbecker Manfred Debowski. Sein siebenjähriger Sohn geht hier zur Grundschule und war vorher in der Kita – wie fast jeder Selbecker, der hier aufwuchs.
Maxime „kleine Füße, kleine Wege“ steht auf dem Spiel
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Entstanden ist die Kita 1994 aus ähnlicher Situation: Damals baute man Häuser am Timpen und am Charlyweg. Verkehrsgünstig und dennoch im Grünen – so wollte man einkommensstarke Familien mit guter Infrastruktur anziehen. Eine nahe Kita und Grundschule gehörten dazu.
Daran hat sich statistisch wenig geändert: Aktuell verzeichnet die Bevölkerungsstatistik der Stadt 53 Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren in Selbeck, sie wären von der Schließung direkt betroffen. 68 sind zwischen 3 und 6 Jahren. Mit den neuen Wohngebieten könnte die Zahl der Kinder noch weiter wachsen. Doch die einstige familienfreundliche Maxime „kleine Füße, kleine Wege“ steht nun auf dem Spiel.
In einem Schreiben an die Selbecker Eltern hebt der Zweckverband sein „Zukunftskonzept Kita 4.0“ hervor: „Bei allen Überlegungen stehen die Kinder im Mittelpunkt, denn unseren Kindern gehört die Zukunft“, heißt es dort. Aber auch: „Für ihre Einrichtung sieht das Zukunftskonzept folgendermaßen aus: Der Kita Zweckverband wird seine Trägerschaft zum 31.7.2025 aufgeben.“
Rückzug des Trägers ist wie ein Schlag ins Gesicht
Für manche Eltern ist der Rückzug überraschend, wie ein Schlag ins Gesicht: „Dabei war die Kita immer sehr gut besucht, sogar ausgebucht“, meint Manfred Debowski, die Betreuung der Kinder sei gerade wegen der kleinen Größe „top“ gewesen. Das bestätigt auch Dorothee G., Mutter dreier Kinder, deren mittleres die Kita besucht. Und auch das jüngste – anderthalb Jahre alt – sollte eigentlich in den Genuss kommen. „Es gibt in Selbeck leider keine Tagesmutter mit einer entsprechenden Betreuung, auf die man ausweichen könnte.“
Eigentlich, glaubt Dorothee G., hätte man den Kita-Bereich wegen des Bedarfs sogar um Kinder unter drei Jahren erweitern müssen. Doch Gespräche dazu verliefen seit Jahren im Sande. Stand die Schließung schon länger auf dem Plan?
2017 zumindest hatte der Zweckverband die Lage seiner damals rund 16 Kitas mit 923 Kindern in Mülheim als „nicht dramatisch“ bezeichnet. Zwar könnten 100 Kitas im Ruhrgebiet geschlossen werden, wenn der Staat seine Zuschüsse nicht anhebe, so der Zweckverband damals, doch in Mülheim sei keine gefährdet. Getragen würden die Kosten für die Kitas vom Verband ohnehin nur zu 12 Prozent, 88 Prozent übernähmen Land und Kommune, hieß es. Einzig die Kita an der Raadter Straße in Heißen gab der Verband auf. Doch die Lage nun – mit 500.000 Austritten aus der katholischen Kirche allein im vergangenen Jahr – scheint eine andere geworden zu sein.
Welche sozialen Folgen hat die Aufgabe für Selbeck?
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In Selbeck, deren Kirchengemeinde bereits zur Saarner Pfarrgemeinde St. Mariae Himmelfahrt zählt, wird dies noch deutlicher zu spüren sein: Eine mögliche Kita-Schließung sei auch deshalb „unglaublich schade“, meint die Selbeckerin Dorothee G., weil die Kita für Eltern auch ein sozialer Dreh- und Angelpunkt ist. Müssen sich künftig Eltern für Kitas in Saarn oder Breitscheid entscheiden, spalte dies auch sozial den Stadtteil. Das befürchtet auch Hanno W., der seine neun Monate alte Tochter dann wohl bei einer Kita unterbringen muss, die auf dem Arbeitsweg liegt.
Und noch etwas anderes beschäftigt Eltern junger Kinder ebenfalls: Wie wird sich die Schließung auf die Grundschule auswirken, wenn sich Eltern nun in andere Stadtteile orientieren müssen? Dann, so die Befürchtung mancher Betroffener, wird man sich auch bei der Schulwahl für Einrichtungen in Saarn oder Breitscheid entscheiden, weil sich die sozialen Kontakte verschoben haben werden.
Kita-Schließung: Das sagen Zweckverband und Stadt
Wie sicher ist eine Schließung? Auf Anfrage der Redaktion teilt der Verband mit, die Kita „voraussichtlich zum Kita-Jahr 2025/2026 an einen anderen Träger übergeben“ zu wollen. Man sei „optimistisch“, dass die Einrichtung unter neuer Trägerschaft fortgeführt werde, die Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt führe erste Interessensgespräche. Die Stadt weist darauf hin, dass in der zweiten Jahreshälfte 2022 die eingruppige „Wald-/ Naturkita“ auf dem Gelände der Fliedner-Wertstätten startet. Sie soll das Betreuungsangebot in Selbeck verstärken und auch Plätze für Kinder unter drei Jahren vorhalten.
Dass sich jedoch ein Träger für die Kita findet, können weder Stadt noch Zweckverband derzeit mit Sicherheit sagen.
Weitere Aufnahme von Kindern aktuell nur noch für dieses Jahr planbar
Aktuell betreuen sieben Mitarbeitende rund 42 Kinder der Kindertageseinrichtung. Sie und alle, die nach dem Sommer in die Kita kommen und bereits einen Betreuungsvertrag unterschrieben haben, sollen nicht von den Veränderungsprozessen betroffen sein, teilt der Verband mit, da sie bis 2025 eingeschult werden. Die Mitarbeitenden können auch bei einer Schließung beim Träger beschäftigt werden.
Der Zweckverband räumt ebenso ein: „Sofern die Interessensgespräche der Pfarrei mit anderen Trägern erfolgreich sind, werden auch weiterhin Kinder in die Kindertageseinrichtung aufgenommen.“ Sprich: Solange kein neuer Träger gefunden ist, gibt es auch keine Neuaufnahmen.
Und er benennt auch weitere Schwierigkeiten, die zukünftige Betreiber lösen müssen. So verfüge St. Theresia nur über „enge Räumlichkeiten“. Gleichzeitig habe es „zeitweise aufgrund von fehlendem Zuzug junger Familien Schwierigkeiten mit der Belegung elementarpädagogischer Einrichtungen und örtlichen Grundschulen“ gegeben. Wie sich die Gebäudesituation entwickeln werde, was mit dem Grundstück der Kita passiere, werde aber der – mögliche – neue Träger entscheiden, so die Aussage des Zweckverbands.
Kritik an Kirche und Politik: Wer trägt die soziale Verantwortung?
Das Absurdeste wäre wohl, meint Manfred Debowski, wenn die Kita nun geschlossen und anschließend auf dem Gelände der Kita lukrative Wohnbebauung für Familien entstünde. Mit seinen Befürchtungen ist er nicht allein.
Andere Selbecker zeigen sich deutlich verärgert. Es werde an der sozialen Infrastruktur genagt, sagt mancher und wirkt von der Kirche als sozialem Träger enttäuscht: Wenn die schon keine soziale Verantwortung mehr zeige, sagen sie, wer soll es dann?
Und auch von der Mülheimer Politik erwartet man nun Antworten, wie die Zukunft einer Kita für Selbeck zu stemmen wäre. Selbeck sei eine schwarz-grüne Hochburg, deuten sie an. Zur Kommunalwahl 2020 habe die CDU die Mehrheit 35,8 Prozent der Stimmen in Saarn-Süd auch mit Selbecker Hilfe erreicht. Die Grünen holten im Bezirk 26,3 Prozent – ein sattes Plus von 13,5 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014. Dies, glaubt mancher, könnte sich auch wieder ändern, wenn die Politik Selbeck fallen ließe.