Mülheim. Viele Kinder haben die tödliche Attacke in Mülheim-Styrum gesehen: Müssen sie jetzt vors Gericht? Ermittler stehen vor schwieriger Entscheidung.
Kinder in den Zeugenstand? Nach der grauenhaften Tötung einer 31-jährigen Mutter vor rund zwei Wochen in Mülheim-Styrum muss die Staatsanwaltschaft nun die schwierige Frage beantworten, ob sie den zahlreichen Mädchen und Jungen, die alles mit angesehen haben sollen, eine Aussage zumutet. Die Tat hatte den ganzen Stadtteil entsetzt: Der Exmann (34) soll die Mutter unter freiem Himmel mit einem Messer attackiert und derart schwer verletzt haben, dass sie am nächsten Morgen im Krankenhaus verstarb. Die eigenen drei Kinder sollen alles aus nächster Nähe beobachtet haben – und auch etliche andere Kinder wurden offenbar Augenzeugen des brutalen Übergriffs.
„Zum Schutz der Kinder wäre es gut, auf ihre Vernehmung zu verzichten“, weiß Staatsanwalt Martin Mende. Andernfalls drohe „eine Vertiefung ihrer anzunehmenden Traumatisierung“. Doch wenn die Ermittler den jungen Zeugen die Aussagen wirklich ersparen sollten, fehlen ihnen womöglich entscheidende Hinweise zur Aufklärung der Tat.
Die Mordkommission geht „mit hoher Sensibilität“ vor, verspricht der Staatsanwalt
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Die Mordkommission geht jedenfalls „mit hoher Sensibilität“ vor, verspricht Mende. Es sei „eine Herausforderung, die Balance zu finden“ zwischen der Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Zeugen und dem Erfordernis, alle nötigen Fragen zum brutalen Sachverhalt zu beantworten. „Wir wägen jede Maßnahme sorgsam ab.“
Allein ein Dutzend junger Schüler der nahen Gemeinschaftsgrundschule Styrum hat laut Schulleiterin Simone Müller-Dausel gesehen, was im Wendehammer der Von-der-Tann-Straße begonnen und nach der Flucht der Frau am „Blauen Haus“ an der Feldstraße geendet haben soll – unter anderem vom nahen Spielplatz aus. Am Tag danach habe an ihrer und der benachbarten Willy-Brandt-Schule Ausnahmezustand geherrscht, berichtete Müller-Dausel. Viele Kinder hätten völlig verängstigt ihre Beobachtungen geschildert, dringenden Gesprächsbedarf gehabt. „Sie mussten immer und immer wieder erzählen, was sie mit angesehen haben“, so Müller-Dausel.
Auch zwei der drei Kinder des Ex-Ehepaares besuchten bis zur Tat die Schule nebenan
Auch zwei der drei Kinder des Ex-Ehepaares besuchten bis zur Tat ihre Grundschule. Die neun und sieben Jahre alten Mädchen, deren Vater die Mutter ermordet haben soll, wurden zwischenzeitlich gemeinsam mit ihrem drei Jahre alten Bruder in einer Kinder- und Jugendpflegeeinrichtung untergebracht, die auf psychologische Intensivbetreuung spezialisiert ist, weiß Stadtsprecher Volker Wiebels. Das Mülheimer Jugendamt sei nun zuständig für die Halbwaisen.
Zunächst war der Bruder getrennt von seinen Schwestern in einer Pflegefamilie untergekommen, „doch die drei hängen sehr aneinander und es ist besser für sie, zusammen zu sein“, so Wiebels. Die Stadt habe ein großes Interesse daran, die Geschwister „in gewohnte familiäre Umgebung“ zu vermitteln. Das könnte tatsächlich bald gelingen: Schwestern der getöteten Mutter – „aus Deutschland und dem europäischen Ausland“ – hätten angeboten, die Kinder aufzunehmen. Bis dies so weit sei, seien sie in der Einrichtung „gut versorgt“ – „das Wichtigste ist jetzt, dass sie ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden“.
Theoretisch könnten selbst die eigenen Kinder gegen den Vater aussagen
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Die Polizei steht laut Staatsanwalt Mende in engem Kontakt mit Mitarbeitern besagter Einrichtung – grundsätzlich wäre es ja sogar möglich, dass die Kinder gegen ihren eigenen Vater aussagen. Eine 14-jährige Nachbarin der Familie, die das Geschehen ebenfalls gesehen haben soll, hatte davon berichtet, wie die völlig entsetzten Kinder die Tötung ihrer Mutter beobachtet und immer wieder laut geschrien hätten: „Papa, hör auf damit!“.
Aktuell sitzt der 34-jährige Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht Mülheim hat Haftbefehl wegen Mordes aus Heimtücke erlassen. Der Beschuldigte schweigt bisher; zum Motiv sei daher noch nichts bekannt, so Mende. Unmittelbar nach der Tat hatte Stadtsprecher Volker Wiebels davon berichtet, dass die Mutter der Kinder im vergangenen Monat das alleinige Sorgerecht beantragt habe.
Die Tatwaffe wurden zwischenzeitlich sichergestellt
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Voraussichtlich in einigen Wochen steht der Strafprozess an – „die meisten Kapitaldelikte landen innerhalb von rund drei Monaten vor Gericht“, so Mende. Man arbeite an schwerwiegenden Straftaten „immer mit Hochdruck“. Eine wichtige Rolle wird dann wohl das Tatmittel spielen, „das Messer wurde mittlerweile sichergestellt und wird spurentechnisch untersucht“.
Doch auch die Augenzeugen sind entscheidend für den Ausgang des Verfahrens. Falls die Staatsanwaltschaft tatsächlich auf die Vernehmung der Kinder verzichtet, dürfte es ganz wesentlich auch auf Zeugen vom Hörensagen ankommen – zum Beispiel auf die Lehrer und Lehrerinnen, denen sich die Kleinen anvertraut haben.