Mülheim. Ein Junge verhält sich in der Kita übergriffig, Mülheimer Kinderschützer prüfen den Fall, geben Entwarnung. Am Ende ist trotzdem nicht alles gut.

Elternvertreter einer Mülheimer Kita waren entsetzt und alarmiert – wegen des Verhaltens eines kleinen Jungen. Sie hielten es für eine Zumutung, wenn nicht gar Bedrohung für andere Kinder. Sie machten sich auch Sorgen um den Jungen selber, fragten sich, in welchen Verhältnissen er aufwächst. Letztlich wurden die Stadt und das Landesjugendamt eingeschaltet – was in Mülheim gar nicht so selten vorkommt.

Der Fall zeigt, dass es funktionierende Hilfesysteme gibt. Doch die Stimmung in der Kita scheint stark gelitten zu haben. Der Träger der Einrichtung, deren Namen wir aus Schutz der Betroffenen nicht nennen, spricht von „Mobbing“. Was ist geschehen?

Mülheimer Elternbeirat beunruhigt durch Übergriffe eines Kita-Kindes

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Ein Vater, der dem Elternbeirat der Kita angehört und dort selber eine Tochter hat, ist beunruhigt durch sexuelle Übergriffe – unter Kindern, im Mittelpunkt stets derselbe Junge. Der Vater berichtet: Erstmals im Oktober sei einem Mädchen „unter Zwang“ die Hose heruntergezogen und „ein Stethoskop eingeführt“ worden. Dabei habe besagter Junge zwei weitere Kinder angestiftet.

Im März sei Ähnliches passiert, dabei habe der Junge einem Mädchen auf die Genitalien gespuckt und geschlagen. Häufig ziehe sich dieser Junge auch selber die Hose herunter, spiele an sich herum. Gespräche mit der Einrichtungsleitung und Vertretern des Kita-Trägers habe es mehrfach gegeben, sagen der Vater und eine Mutter, die ebenfalls dem Elternbeirat angehört. Die Vorfälle seien auch dem Jugendamt gemeldet worden. Doch monatelang sei nichts unternommen, „sich weggeduckt“ worden. „Wir vom Elternbeirat wissen keinen Rat mehr“, so der Vater.

Mutter: „Wir hätten uns mehr Kommunikation gewünscht“

Wenige Tage später klang das Ganze schon anders. Mittlerweile war auch den Mülheimer Grünen das Thema zugetragen worden, die aber kein größeres politisches Fass aufmachen wollten. Sie seien jetzt zufrieden, erklärte dann die Mutter aus dem Elternbeirat, „aber wir hätten uns mehr Kommunikation gewünscht“.

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Träger der Einrichtung ist der VKJ (Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet) mit Hauptsitz in Essen. Eine Sprecherin betont: „Wir finden es enorm wichtig, dass Verdachtsfälle gemeldet werden. Wir nehmen jeden noch so kleinen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sehr ernst und gehen ihm nach.“

Zu den konkreten Vorfällen in der Mülheimer Kita nimmt VKJ-Geschäftsführerin Vera Hopp auf Anfrage Stellung. Sie bestätigt, dass es in der Einrichtung „Vorkommnisse“ gab, die gemeldet und durch den VKJ, das Jugendamt und den Kommunalen Sozialen Dienst (KSD) der Stadt Mülheim untersucht wurden – der Stelle, die für den Kinderschutz zuständig ist. Auch eine Meldung an das Landesjugendamt sei erfolgt, so Vera Hopp.

Vorfälle wurden untersucht: Altersgerechte Doktorspiele

Alle genannten Stellen und auch der VKJ selber seien zur gleichen Einschätzung gekommen: „In der Kita haben altersgerechte Doktorspiele ohne Machtgefälle stattgefunden. Diese sind Teil der natürlichen Kindesentwicklung und auch Teil des Kita-Alltags.“ Es komme vor, dass Eltern Berichte ihrer Kinder melden, so die Geschäftsführerin, man gehe jedem Hinweis nach. Der KSD habe im häuslichen Umfeld des Jungen keine Anzeichen für Kindeswohlgefährdung festgestellt. Vonseiten der Stadt habe man, wie auch in früheren Fällen, „stets die bestmögliche Unterstützung erhalten“, und man setze dort auf transparente Kommunikation.

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Die Stadt Mülheim bestätigt auf Anfrage, dass die Vorfälle in der Kita gemeldet und im Rahmen des sogenannten „8a-Verfahrens“ (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“) geprüft wurden. „Dabei verschaffen sich die Fachkräfte des KSD einen persönlichen Eindruck von der Lebenssituation der Betroffenen.“ Zum konkreten Einzelfall könne man aber aus Datenschutzgründen keine näheren Angaben machen.

Kitas oder Tageseltern meldeten im Vorjahr 36 Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung

Alleine im Jahr 2021 sind beim Mülheimer KSD insgesamt 807 Meldungen mit Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung eingegangen und bearbeitet worden. „Davon wurden 36 Fälle durch eine Kita bzw. Kindertagespflegeperson gemeldet“, teilt der KSD mit. Bei 595 Meldefällen habe man keine akute Gefährdung festgestellt, in 212 Fällen eine latente oder akute Kindeswohlgefährdung. Kita-Träger müssen kritische Ereignisse oder Entwicklungen außerdem dem Landesjugendamt melden – wie auch im beschriebenen Fall geschehen.

Eine Elternvertreterin der Kita sagt, die Gespräche hätten vielleicht früher stattfinden sollen. „Aber wir haben jetzt Gehör gefunden. Uns ging es darum, dass geschaut wird, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Diese Sorgen wurden uns genommen.“

Ansprechpartner im Krisenfall

Ansprechpartner bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ist der Kommunale Soziale Dienst (KSD) der Stadt Mülheim.

Die Fachkräfte dort sind montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr und freitags von 8 bis 12.30 Uhr erreichbar unter folgenden Rufnummern: 0208/455-5155 (Stadtmitte), -5021 (Heißen/Heimaterde), -5178 (Dümpten/Winkhausen), -5445 (Styrum), - 5164 (linke Ruhrseite).

Außerhalb dieser Dienstzeit, an Wochenenden und Feiertagen gibt es eine Rufbereitschaft für familiäre Krisen. Sie ist allerdings nur über die Polizei zu erreichen.

Auch für den VKJ ist der Fall in Sachen Kindeswohlgefährdung abgeschlossen. „Nicht aber in Bezug auf das Verhalten der Eltern, die gerade massiv eine Familie stigmatisieren“, so Geschäftsführerin Vera Hopp. Es werde weitere Gespräche geben, „um das Kind, das hier zum Täter gemacht werden soll, und seine Familie zu schützen“. Neben Kindeswohlgefährdung „soll auch Mobbing anderer Familien keinen Platz in unseren Einrichtungen haben“, stellt der VKJ klar.