Mülheim. Statistisch sind pro Schulklasse ein bis zwei Kinder Opfer sexueller Gewalt. Das Mülheimer „Ele-Phone“ besucht Schulen zur Prävention.
Eine befreundete Lehrerin hatte ihn angerufen, wollte ihm erzählen vom schrecklichen Schicksal einer ihrer Schülerinnen. Als Heiner Jansen das Bild des siebenjährigen Mädchens gesehen hat, die Opfer sexueller Gewalt geworden ist, sei ihm klar geworden, dass er helfen wolle. Als Spendenmanager unterstützt er das Projekt Ele-Phone, das es zwar schon lange gibt in Mülheim, das aber in diesem Jahr noch einmal neu Fahrt aufgenommen hat.
„Statistisch betrachtet sind pro Schulklasse ein bis zwei Kinder Opfer sexueller Gewalt“, sagt Awo-Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum. Und fast immer kommen die Täter aus dem näheren Umfeld, sind Verwandte oder Freunde der Familie. Das Ele-Phone will dafür sorgen, dass diese Zahl sinkt – mit präventiver Arbeit in Schulklassen.
Mit Hilfe der Paten kann das Ele-Phone kostenlos angeboten werden
Heiner Jansen, viele Jahre Mülheimer Chef-Karnevalist, hat dafür nun ein Paten-System ins Leben gerufen: Paten des Ele-Phones zahlen jährlich 200 Euro, sorgen so für finanzielle Verlässlichkeit und sind zudem Multiplikatoren, zeigen Präsenz und machen das Projekt bekannt.
Der erste Pate war Hartmut Buhren, Geschäftsführer des Hagebaumarkt in Mülheim. Er sei nie betroffen gewesen, auch im näheren Bekanntenkreis kenne er keinen Fall „und das soll auch so bleiben“, beschreibt er seine Ambitionen für das Ele-Phone.
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Mit Hilfe der Paten und weiterer Spendenaktionen ist es gelungen, den Schulen das Präventionsprojekt wieder kostenlos anzubieten. Viele Jahre hatten Kinder zehn Euro zahlen müssen – das hat manche Schulen davon abgehalten teilzunehmen. Das Projekt richtet sich zum einen an Grundschüler der dritten und vierten Klasse, zum anderen an Siebtklässler.
Ele-Phone will Kinder stärken und ihnen ihre Rechte erklären
„In der Grundschule geht es darum, die Kinder zu stärken“, erklärt Kirsten Schumacher, Koordinatorin des Ele-Phones. In der siebten Klasse geht es um den Schutz der Kinder. Während in der dritten Klasse vor allem mit den Kindern darüber gesprochen wird, welche Rechte sie haben, sind es bei der Siebtklässlern auch schon eigene sexuelle Erfahrungen, die sie mit einbringen. Denn, so Schumacher, verbale sexuelle Übergriffe hätten alle Siebtklässler schon einmal erlebt.
„Man meint, Kinder seien heute besser aufgeklärt als früher“, sagt Hans-Joachim Ruhnow, Lehrer an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule. „Aber das sind sie nicht.“ Zwar hätten die meisten bereits Pornografie gesehen, „aber diese Erfahrungen im Internet entsprechen nicht der Realität.“
Elternabend und Besuch bei der Awo gehören zum Workshop
Umso wichtiger sind die Workshops mit den Awo-Mitarbeitern, in denen locker und entspannt über Sexualität gesprochen werden kann. Und in denen auch gezeigt wird, wo man sich Hilfe holen kann. Jeder Workshop in der weiterführenden Schule ist verbunden mit einem Besuch in der Awo-Beratungsstelle – wer dort schon mal einen Ansprechpartner kennengelernt hat, findet den Weg leichter, wenn er wirklich Unterstützung braucht.
Bald soll es auch wieder das echte Ele-Phone geben, eine Nummer, an die sich Kinder und Jugendliche rund um die Uhr wenden können. Seit 2002 war es abgeschaltet.
Ele-Phone hat rund 2200 Schüler erreicht
Zehn von 22 Grundschulen in Mülheim haben im Schuljahr 2018/2019 das Präventionsprojekt „Kinder stärken“ des Ele-Phones gebucht. Insgesamt 36 Grundschulklassen und somit rund 1000 Kinder der dritten und vierten Klasse haben an dem Projekt teilgenommen.
Das Präventionsprojekt „Schutz gegen sexuelle Gewalt“ haben insgesamt 43 siebte Klassen an zehn weiterführenden Schulen mitgemacht. Somit hat das Ele-Phone rund 1200 Schüler zwischen zwölf und 14 Jahren erreicht.
Laut Awo haben sich alle Schulen auch in diesem Schuljahr entschieden, weiter an dem Projekt teilzunehmen.
Auch ein Elternabend gehört zu jedem Workshop. Manchmal fürchten Eltern der Grundschüler, das sei ein zu bedrohliches Thema, „dafür ist mein Kind noch zu jung“, hört Kirsten Schumacher oft. Doch eben weil der Täter meist nicht „der böse Fremde“ sei, sei es so wichtig, früh mit den Kindern zu sprechen und die Eltern einzubinden. „Wenn es sexuelle Gewalt in der Familie gibt, hat das nicht nur Konsequenzen für das Kind“, sagt Michaela Rosenbaum, „sondern auch für die Angehörigen, wenn daran eine ganz Familie zerbricht.“