Mülheim. Vallourec-Mitarbeiter hatten angesichts der drohenden Werksschließung zur Mahnwache in Mülheim gerufen. Wie die Belegschaft die Lage empfindet.

Vor dem Werksgelände von Vallourec in Dümpten brannte am Abend ein Meer aus Grablichtern, schwarze Luftballons schwebten wie Spaliere neben der Straße und hölzerne Kreuze stehen jetzt auf der Wiese vor dem Firmenzaun. Sie zeugen von der Mahnwache, zu der Betriebsrat und Belegschaft am Dienstagabend aufgerufen hatten. Rund 150 Menschen waren gekommen, um ihre Solidarität angesichts der drohenden Werksschließung zu bekunden – nicht nur Mitarbeiter von Vallourec selbst, sondern auch Kollegen aus anderen stahlverarbeitenden Betrieben aus der Umgebung, wie Salzgitter, FWH und HKM. Denn ihnen allen ist klar: Das Vallourec-Ende kann der Anfang sein einer Zitterpartie um weitere Jobs.

Ihre Fassungslosigkeit über das Aus ihres Werkes scheint sich gewandelt zu haben in Aktionismus: Kämpfen wollen sie und alles daran setzen, dass „der Arbeitgeber nicht billig davon kommt“. Vallourec-Betriebsrat Ousama Bouarous berichtet von der dritten Runde der Sozialtarifverhandlungen, warnt davor, sich mit einer Motivationsprämie abspeisen zu lassen und schwört seine Kollegen und Kolleginnen auf ein hartes Ringen ein. Als der Name von Vallourec-Arbeitsdirektor Herbert Schaaf fällt, schallen scharfe Pfui-Rufe durch die Abendluft. Einer sagt: „Der kann sich doch überhaupt nicht in unsere Lage hineinversetzen.“

Das letzte Fünkchen Hoffnung der Mülheimer Vallourec-Belegschaft

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Ein deutliches Signal setzen sie am Vorabend einer weiteren Gesprächsrunde, bei der am Mittwoch Geschäftsführung, Betriebsräte, die Oberbürgermeister der beiden betroffenen Städte sowie Vertreter von Bund und Land zusammenkommen werden. Was damit noch auszurichten sein soll, nachdem Vallourec-CEO Philippe Guillemot kategorisch ausgeschlossen hat, die Stahlrohr-Produktionsstätten in Düsseldorf und Mülheim mit aktuell rund 2400 Beschäftigten in irgendeiner Form erhalten zu wollen?

Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Vallourec, Steffen-Lutz Wardel, sprach bei der Mahnwache in Mülheim zu der Belegschaft.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Vallourec, Steffen-Lutz Wardel, sprach bei der Mahnwache in Mülheim zu der Belegschaft. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Oberbürgermeister Marc Buchholz, der an diesem Abend neben Wirtschaftsdezernent Felix Blasch am Rande der Belegschaft steht, betont, dass es nun darum gehen müsse, an dem Standort an der Schützenstraße, wo es seit Jahrzehnten Industrie-Arbeitsplätze gibt, auch künftig eben solche anzusiedeln. Für das Vorhaben, der Stadt das Vorkaufsrecht für das Gelände zu sichern, erntet Buchholz am Dienstagabend Applaus. Einer will es ganz genau wissen: Was er denn davon hätte, wenn die Stadt das Vorkaufsrecht für das Areal haben würde, wenn Vallourec erst einmal abgewickelt und er auf Jobsuche ist, fragt ein junger Mitarbeiter den OB: „Habe ich dadurch auch das Vorrecht, mich da dann als erstes bewerben zu dürfen?“

Kollegen der Friedrich-Wilhelms-Hütte und anderer Betriebe sprechen Solidarität aus

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Sich bei Vallourec beworben, das hatten in jüngster Vergangenheit ehemalige Mitarbeiter der Friedrich-Wilhelms-Hütte (FWH), wo 2020 die Eisengießerei geschlossen worden war. „Kollegen von uns sind damals hier untergekommen“, berichtet ein FWH-Mitarbeiter, der der Vallourec-Belegschaft seine Solidarität ausspricht und den Bogen zu seiner eigenen Familiengeschichte spannt: „Mein Großvater und mein Onkel haben hier noch bei Mannesmann gearbeitet, beinahe hätte ich selbst hier angefangen, bin dann aber zur Hütte.“

Rund 150 Menschen – Beschäftigte von Vallourec, aber auch von anderen Betrieben wie den Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg und der Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte nahmen an der Mahnwache vor dem Werkstor teil.
Rund 150 Menschen – Beschäftigte von Vallourec, aber auch von anderen Betrieben wie den Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg und der Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte nahmen an der Mahnwache vor dem Werkstor teil. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Sie alle, die sie an diesem Abend im Nieselregen vor dem Werkstor stehen, wissen nur zu gut, was die Schließung des Mülheimer Werkes bedeutet. Mancher spricht davon, dass auch seine „Bude mit 800 Arbeitsplätzen an die Wand gefahren worden ist“, ein anderer, der von einer Firma aus Duisburg-Süd kommt, die mittlerweile unter chinesischer Führung ist, versucht den Mülheimern Mut zu machen: „Uns hatte man schon für tot erklärt, aber wir haben weiter gekämpft und es nur geschafft, weil alle Kollegen daran geglaubt haben.“

Vallourec-Mitarbeiter: „Ich bin zu alt für einen neuen Job und zu jung für die Rente“

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Ihnen allen ist klar, dass das Vallourec-Aus auch andere Firmen treffen wird, sich der Niedergang wie in einer Domino-Reihe fortsetzen könnte. Sehmus Aydin, seit 1990 am Mülheimer Standort beschäftigt, spricht von rund 18.000 Arbeitsplätzen, die die Werkschließungen in Mülheim und Düsseldorf tangieren werden, zählte man alle Zulieferer hinzu.

Er wird einer von ihnen sein, da ist der 53-Jährige sicher: „Ich hab nie etwas anderes kennengelernt. Jetzt bin ich zu alt für einen neuen Job und zu jung für die Rente. Ich habe vier Kinder und werde wohl dem Staat auf der Tasche liegen.“ Nicht nur wegen seiner eigenen langjährigen Expertise sagt Aydin: „Es wird richtig Knowhow verloren gehen. Hier haben Väter ihre Söhne angelernt.“ Seine Kinder, so viel scheint klar, haben keine Perspektive mehr bei Vallourec an der Schützenstraße.