Mülheim. Landesregierung fordert vom Vallourec-Konzern sozialverträgliche Lösungen für die 2400 Beschäftigten in Düsseldorf und Mülheim – und will helfen.

Die Landesregierung fordert den französischen Vallourec-Konzern auf, bei der Schließung seiner Werke in Mülheim und Düsseldorf sozialverträgliche Lösungen für die rund 2400 Beschäftigten anzubieten. Dafür habe sich „die Verabredung einer Transfergesellschaft im Sozialplan bewährt“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des NRW-Wirtschafts- und des Arbeitsministeriums. Das Haus von Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte, es sei „gerne bereit, das Unternehmen Vallourec hierbei beratend zu unterstützen“.

Der Röhrenhersteller Vallourec hatte am Mittwochabend angekündigt, seine verlustreiche Produktion nahtloser Röhren in Deutschland Ende 2023 einzustellen. Das bedeutet das Aus für die zwei traditionsreichen, aus dem Mannesmann-Konzern hervorgegangenen Produktionsstätten in Mülheim mit rund 750 und in Düsseldorf mit rund 1650 Beschäftigten. Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) zeigte sich erschüttert – damit ende „ein Stück nordrhein-westfälische Industriegeschichte, was ich persönlich sehr bedauere“, sagte er unserer Zeitung. Das Werk in Düsseldorf-Rath besteht seit 1899, das Mülheimer seit 1966.

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„Wir erwarten, dass der Vallourec-Konzern seine Verantwortung für sozialverträgliche Lösungen vollumfänglich wahrnimmt und den Beschäftigten Möglichkeiten für einen schnellen Weg in neue Beschäftigung eröffnet“, erklärten die Minister. Für die Beschäftigten müsse nun „eine enge Begleitung und Möglichkeiten der Unterstützung sichergestellt werden“.

Vallourec äußert sich zurückhaltend zur Transfergesellschaft

Zur Forderung nach einer Transfergesellschaft gab sich Vallourec-Arbeitsdirektor Herbert Schaaff grundsätzlich offen, formulierte dies aber zurückhaltend: Es sei noch darüber zu diskutieren, „wie und für wen das sinnvoll“ sei, sagte er am Donnerstag vor Journalisten. Er sehe für die Beschäftigten, von denen 85 Prozent Facharbeiter- oder Ingenieurs-Qualifikationen hätten, auch so gute Chancen, rasch einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Insbesondere in Düsseldorf seien die Voraussetzungen am Arbeitsmarkt gut, sagte er. In Mülheim demnach nicht so gut.

Minister Pinkwart begrüßte gegenüber unserer Redaktion, dass Vallourec jetzt Gespräche über einen Interessenausgleich und Sozialplan beginnen wolle. Er forderte: „Das Unternehmen muss nun umgehend dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser schwierigen Situation bestmöglich unterstützt werden.“

Pinkwart kündigt Unterstützung für Städte an

Anschließend bräuchten auch die betroffenen Städte Unterstützung. Die Werksschließungen seien „nicht nur tragisch für die 2400 Beschäftigten des französischen Stahlkonzerns hierzulande, sondern auch ein Einschnitt für die betroffenen Kommunen“, sagte Pinkwart. Es müssten dort „neue Perspektiven eröffnet werden, damit wichtige Industriearbeitsplätze erhalten bleiben und neue Wertschöpfung entstehen kann“, heißt es dazu aus den Landesministerien. Sie versprechen: „Die Kommunen unterstützen soll dabei unsere Landesgesellschaft NRW.Global Business.“ Diese betreibt internationales Standortmarketing für attraktive Industrie-Flächen in Nordrhein-Westfalen.

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NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty nannte die Entscheidung der Franzosen „eine riesige Enttäuschung“ und einen „herben Rückschlag für den Industriestandort NRW und vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Das Mindeste sei nun, die Abwicklung sozialverträglich zu gestalten. Die Schließungen und Jobverluste wären vermeidbar gewesen, glaubt der Sozialdemokrat, denn Stahlprodukte wie die aus den Röhrenwerken würden für die Energie- und Verkehrswende gebraucht, etwa für Windenergie, Bau- und Verkehrsinfrastruktur sowie bei Wasserstoffanwendungen.

SPD-Chef Kutschaty: Schließung wäre vermeidbar gewesen

„Eine innovative Weiterentwicklung des Betriebs wäre möglich gewesen“, meint Kutschaty. Mangelnde Investitionsbereitschaft in Zukunftstechnologien hatten dem französischen Management seit langem auch der Betriebsrat und die IG Metall vorgeworfen. Noch an diesem Montag waren rund Tausend Beschäftigte aus NRW nach Paris gereist, um vor der Konzernzentrale gegen die Schließung zu protestieren. Pinkwart sagte, es habe „bis zuletzt trotz der wirtschaftlich überaus herausfordernden Umstände auch in Gesprächen mit der Unternehmensleitung noch die Hoffnung gegeben, einen Käufer zu finden“.

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Vallourec hatte dagegen angeführt, die deutschen Werke schrieben seit Jahren rote Zahlen, ihre dauerhaften Verluste könnten „im schlimmsten Fall mittelfristig die Weiterexistenz der gesamten Vallourec-Gruppe gefährden“, sagte Konzernchef Philippe Guillemot.

Nun bleibt nur noch das Großrohrwerk von Europipe

Für Mülheim ist die Werksschließung ein historischer Einschnitt im wahrsten Sinne: Das durch die Fritz-Thyssen-Straße geteilte Areal der früheren Mannesmann-Röhrenwerke verliert im Norden sein Vallourec-Werk, das kleinere, nahtlose Röhren für den Energiesektor, Maschinenbau und den Stahlbau herstellt. Im Süden bleibt das Großröhrenwerk, das Salzgitter und die Dillinger Hütte mit je 50-Prozent-Anteilen unter dem Namen Europipe betreiben. Hier werden nahtgeschweißte Röhren gefertigt – wie die 13 Meter langen und 1,15 Meter dicken Leitungen für die Ostseepipeline Nordstream 2 von Russland nach Deutschland. Die wurden zum Glück für Europipe bezahlt, bevor die Bundesregierung das Projekt nach der russischen Invasion in der Ukraine eingefroren hat.

Die Vallourec-Werke sind seit 2005 im Besitz des französischen Konzerns, ihre nahtlosen Produkte gehen auf eine Erfindung der Brüder Reinhard und Max Mannesmann zurück: Sie entwickelten in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts mit mehreren schräg zueinander stehen Walzen eine Fertigungstechnik, mit der allein durch Warmwalzen aus einem Stahlblock Hohlkörper gezogen werden konnten und letztlich Rohre in einer nie gekannten Strapazierfähigkeit gefertigt wurden.