Mülheim. Die Zahl der E-Fahrzeuge in Mülheim hat sich 2021 verdoppelt. Beim Ausbau von Ladestationen setzt die Stadt weiter auf den Markt. Reicht das?
An mangelndem Interesse kann der schleppende Ausbau der E-Mobilität in Mülheim nicht liegen. 1183 Elektro-Fahrzeuge und 3680 zugelassene Hybrid-Sänften konnte das Kraftfahrtbundesamt zum Anfang des Jahres katalogisieren. Was die reinen E-Autos anbelangt, ist das nahezu eine Verdoppelung gegenüber 2021 (650). Und es könnten wohl noch mehr sein, wenn bloß die Infrastruktur der Ladestationen da wäre. Denn gerade Mieter ohne hauseigene Wallbox sind auf öffentliche Ladepunkte angewiesen. Doch wer steht hier eigentlich auf der Bremse?
„Nicht die Verwaltung“, wendet Noch-Umweltdezernent Peter Vermeulen auf Anfrage ein. Und er hat damit Recht, sofern es um die Genehmigungen von privaten und öffentlichen Ladesäulen geht. Denn das läuft zunächst so flott wie im Fall der Mieterin Claudia S. (Name der Redaktion bekannt). Sie fragte im vergangenen Jahr zunächst bei der Stadt nach einer öffentlichen Ladesäule in ihrer Straße. „Nicht zuständig“, winkte die Verwaltung ab. Das machten die Versorgungsträger.
Anbieter bricht Ladestations-Projekt überraschend ab
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Also stellte sie einen Antrag bei dem Ladesäulen-Anbieter Oncharge aus Köln. Der beantragte daraufhin wiederum die Genehmigung bei der Stadt. Diese bearbeitete die Mülheimer Verwaltung flink in nur wenigen Wochen.
Dann jedoch verläuft die Sache offenbar im Gestrüpp zwischen dem Anbieter und dem Stromversorger Westnetz. Bis heute – knapp ein Jahr später – steht noch immer kein Ladepunkt an der Straße. Man warte auf die Vertragsbestätigung, teilt der Kölner Anbieter zunächst mit. Doch Monate später sagt Oncharge bei Westnetz ab: „Sie führen das Projekt nicht weiter und wünschen ,viel Glück’ mit dem neuen Betreiber“, schildert die überraschte Mülheimerin. Sie ist inzwischen auf Medl umgestiegen, in Aussicht soll nun eine Umsetzung im nächsten Sommer stehen.
Vom Scheitern auf den buchstäblich letzten Metern kann auch Hauseigentümer Michael H. berichten. Er beantragte beim Stromversorger Westnetz eine Wallbox. Die Stadt habe die Wallbox „postwendend“ genehmigt. „Bis dato habe ich allerdings noch keinen Anschluss. Mein E-Auto steht seit Mitte November 2021 vor dem Haus und kann nicht geladen werden.“
Stadt Mülheim: Wir betreiben doch auch keine Tankstellen
Den mitunter langen Wartezeiten oder gar dem Scheitern beim Anbieter hat die Stadt – außer Hilfe bei der Vermittlung – wenig entgegenzusetzen und sieht das nicht als kommunale Aufgabe: Eine Stadt betreibe doch auch keine Tankstellen, um die Automobilität zu fördern, argumentiert der Umweltdezernent auf Anfrage der Redaktion. Wer ein E-Auto fahren wolle, müsse sich vorher über die Lademöglichkeiten informieren und kümmern. Die Stadt – ohnehin klamm – werde daher keine Ladesäulen selbst bauen oder betreiben.
Die Strategie der Verwaltung eröffnete Umweltdezernent Vermeulen im Mobilitätsausschuss: ein Meldeportal für Bedarfe, die Bereitstellung von Rauminformationen zu Garagen, Stellplätzen und Stadtraumtypen für Anbieter sowie die Festlegung von Suchräumen. Auch für mehr Säulen an Firmen und Arbeitsstellen wirbt Vermeulen: Denn dort stehen die Fahrzeuge über Stunden.
Warum Duisburg an Mülheim elektrisch vorbeizieht
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Doch könnte Mülheim mehr tun? Zumindest die Nachbarstadt Duisburg will die Versorgung von E-Fahrzeugen über mehr Ladesäulen just kräftig ankurbeln: 516 solcher Punkte sollen bis 2025 in der Stadt entstehen. Damit würde sich die Nachbarstadt, die aktuell bei der E-Attraktivität sogar vier Plätze hinter Mülheim liegt, einen deutlichen Satz vor die Ruhrstadt machen. Im Vergleich: Aktuell hat Mülheim rund 55 öffentliche Stationen.
Rund acht Millionen Euro kostet das Programm die Stadt und ihre Stadtwerke. „Die Elektromobilität spielt eine Schlüsselrolle, um lokale Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele beim Verkehr zu erreichen“, teilt Oberbürgermeister Sören Link in einer Presseerklärung Ende des vergangenen Jahres mit. „Die öffentlichen Ladepunkte sind ein wichtiger Bestandteil unseres Green City Plans. So machen wir den Umstieg auf Elektrofahrzeuge deutlich attraktiver.“
Mit der Medl stünde Mülheim ein ähnlicher Partner zur Verfügung. Und ein solcher „Roll-out“ von rund 100 Ladesäulen gebietsweit, ist der Stadt bereits vor Jahren von einem anderen Versorger angeboten worden. Doch Mülheim lehnte solche Exklusivverträge ab, aus Sorge, dass sich der Versorger nur die lukrativen Orte sichern und die übrigen vernachlässigen würde.
Mülheim überlässt den Ausbau allein dem Markt
„Wie in Berlin“, warnt Vermeulen, wo die Stadt seit 2019 auf den Ausbau von rund 1000 Standorten warte, aber vertraglich an den wirtschaftlich kalkulierenden Anbieter gebunden sei. „Technische Probleme“ hätten das Projekt verzögert, so heißt es aus der Bundeshauptstadt offiziell. In Mülheim können dagegen „alle Marktteilnehmer Anträge auf Errichtung von Ladesäulen stellen“, so der Dezernent.
Der Aufbau von Ladeinfrastruktur müsse langfristig eine Aufgabe der Wirtschaft sein, forderte Vermeulen im Mobilitätsausschuss, „bei den zu ergreifenden Maßnahmen muss die Wirtschaftlichkeit der Ladeinfrastruktur eine zentrale Rolle einnehmen“.
Doch diese Wette auf den „freien Markt“ hat in Mülheim bislang nur zu wenig Schub geführt. So räumt der scheidende Umweltdezernent ein: „Für die Bereitstellung von Strom in öffentlich zugänglichen Ladesäulen gibt es bisher kein tragfähiges Geschäftsmodell.“
Westnetz: Wir sind keine Bremser
Rund 793 Bestellungen von Anschlüssen hat das Unternehmen Westnetz für Mülheim im Jahr 2021 verzeichnet. Darunter auch öffentliche Ladesäulen, Neuanschlüsse und Verlegungen von privaten E-Mobility-Ladepunkten.
Als Bremser für den Ausbau von Ladestationen sieht sich Westnetz keinesfalls. Die geschilderten Fälle seien besondere Ausnahmen, sagt eine Sprecherin, „bei Standardfällen geht eine Genehmigung so durch“. In der Regel dauere das maximal zwei Wochen.
Im ersten Beispiel habe Westnetz schon nach zwei Tagen grünes Licht an Oncharge gegeben. Warum der Anbieter das Projekt kündigte, ob etwa aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, kann Westnetz nicht beantworten. Auch dies, so Westnetz, sei aber eine Ausnahme.
Im zweiten Fall bremse die Bearbeitung, dass der Auftraggeber den Anschluss in seiner Garage haben möchte – „wir können den Anschluss aus Sicherheitsgründen aber nur in ,bewohnten’ und frei zugänglichen Räumen legen“, betont das Unternehmen.