Mülheim. Seit der Pandemie streamt die Mülheimer Petrikirche ihre Gottesdienste live – und hat nun 100.000 Klicks auf Youtube. Das ist ihr Erfolgskonzept.

Mehrere professionelle Filmkameras sind an den Säulen der Mülheimer Petrikirche angebracht, die Kanzel wird von Scheinwerfern umrahmt. Im Spotlight: Pfarrer Justus Cohen. Er steht vor dem Altar und spricht zu den Menschen, die seine Predigt verfolgen – vor Ort oder virtuell. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie streamt die Vereinte Evangelische Kirchengemeinde ihre Gottesdienste und Konzerte live im Netz. Mit Erfolg: Die Videos wurden auf Youtube bereits 100.000-mal aufgerufen.

Können wir unsere Gemeinde überhaupt noch erreichen? Diese Frage hat man sich zu Beginn der Pandemie stellen müssen – und schnell eine Antwort darauf gefunden, so Cohen. Die Online-Veranstaltungen seien mittlerweile so gefragt, dass das Angebot trotz gelockerten Corona-Regeln beibehalten wird.

Inklusive Online-Gottesdienste der Mülheimer Petrikirche

Denn zum einen erreicht man laut Cohen die eigenen Gemeindemitglieder besser. Ältere Mülheimerinnen und Mülheimer, die körperlich nicht mehr in der Lage sind, in die Kirche zu gehen, können nun trotzdem am Gottesdienst teilnehmen. Und wer am Sonntagvormittag keine Zeit für den Kirchbesuch hat, kann die Predigt zu einem späteren Zeitpunkt sehen, da die Videos dauerhaft auf Youtube verfügbar sind.

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Zum anderen sprechen die virtuellen Gottesdienste und Konzerte ein viel größeres Publikum an – auch außerhalb der Stadt. Das Weihnachtsoratorium verfolgten im vergangenen Jahr Menschen in Chile, Texas, Kanada und Taiwan. „Eine Frau aus der Gegend von Freiburg hat eine Riesenkiste mit ganz vielen Müsliriegeln geschickt. Sie ist durch Zufall auf unser Angebot gestoßen und liebt unsere Chöre. Jetzt wüssten ihre Familie und ihre Freunde, dass sie sonntagvormittags keine Zeit hat, weil sie mit Mülheim an der Ruhr verabredet ist“, sagt Schenck. „Obwohl sie noch nie in der Stadt war.“

Gottesdienste aus Mülheim erreichen Menschen weltweit

Pfarrer Cohen hat vor Kurzem eine Frau aus Wuppertal durch die Petrikirche geführt. Sie wollte endlich das Gebäude kennenlernen, das sie wöchentlich im Netz sieht. Besonders bewegend sei für ihn die Trauung eines Mülheimer Paares gewesen, dessen Familie die Zeremonie in Echtzeit aus England mitverfolgte und eine Video-Botschaft schickte.

So reibungslos lief die Übertragung der Veranstaltungen allerdings nicht immer. 15 Minuten vor Beginn funktionierte anfangs auf einmal die Technik nicht mehr, die Sonne, die am Vormittag durch die großen Fenster strahlt und die Kirche in warmes Licht taucht, erschwerte die Aufzeichnung. Ein Gottesdienst wurde ohne Ton aufgezeichnet, ein anderer wegen Internetproblemen abgebrochen.

„Uns war nicht klar, was für eine Herausforderung das wird“, sagt Pfarrer Cohen im Rückblick. Mittlerweile hat die Petrikirche jedoch nicht nur in professionelle Kameras, sondern auch in ein Mischpult und neue Bildschirme investiert.

Dass die virtuellen Gottesdienste der Petrikirche in Mülheim so gefragt sind, liegt vor allem an den Chören, sagt Pfarrer Cohen. Für Charlotte und Mika war es anfangs sehr ungewohnt, vor leeren Rängen zu singen.
Dass die virtuellen Gottesdienste der Petrikirche in Mülheim so gefragt sind, liegt vor allem an den Chören, sagt Pfarrer Cohen. Für Charlotte und Mika war es anfangs sehr ungewohnt, vor leeren Rängen zu singen. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Steigende Kirchenaustritte: Digitale Veranstaltungen als Chance

Denn angesichts steigender Kirchenaustritte sehen Cohen und sein Pfarrteam im virtuellen Angebot eine Chance, in Zukunft noch mehr Menschen für ihre Gottesdienste zu begeistern. „Mit Technik allein schafft man zwar keinen Generationenwechsel“, sagt Schenck. „Aber die Kirche muss alle Kanäle nutzen, um Menschen zu erreichen. Das sollte selbstverständlich sein.“

Für ihn zählen nicht die 100.000 Aufrufe bei Youtube – „die meisten Influencer haben ja weit mehr“ –, sondern vor allem die persönlichen Rückmeldungen. „Es ist ein verdammt schönes Gefühl, von jemandem aus Südamerika zu hören, dass man ihn mit dem Gottesdienst berührt hat.“

Pfarrer Cohen fehlen bei den virtuellen Veranstaltungen allerdings die persönlichen Gespräche. „Wir sind viel auf Begegnungen angelegt. Da verliert man schon etwas.“ Er hofft, dass die Technik in Zukunft noch interaktivere, virtuelle Treffen ermöglicht – und gleichzeitig noch mehr Menschen auf den Bänken der Petrikirche Platz nehmen.

Online-Veranstaltungen der Petrikirche

Die Petrikirche überträgt ihren Gottesdienst jeden Sonntag um 11.15 live auf Youtube unter t1p.de/VEK-youtube. Das Video kann man sich zu jedem Zeitpunkt ansehen.

Auf der Homepage www.musik-in-petri.de werden vorab Infos und Texte zur Musik des Gottesdienstes hochgeladen. Für Hörgeschädigte steht ein Transkript zum Mitlesen auf Youtube zur Verfügung.