Mülheim. Der WAZ-Podcast widmet sich in seiner neuen Folge dem „Ehrenmord von Rees“. Die junge Gülsüm S., die 2009 ums Leben kam, lebte auch in Mülheim.

Eine 20-jährige selbstbestimmte Frau, gewaltvoll ermordet von ihrem eigenen Bruder – nach dem Willen des Vaters. „Ehrenmord“ nennt er es – denn seine Tochter sei keine Jungfrau mehr. Was klingt wie die Handlung in einem Krimi, ist leider die Wahrheit: Der Mord geschah 2009 in Rees, der True-Crime Podcast „Der Gerichtsreporter“ erzählt davon.

Im Podcast berichtet Gerichtsreporter Stefan Wette alle zwei Wochen über schockierende Verbrechen in NRW. In der neuen Folge ist Mülheim ein nicht unwichtiger Teil des Geschehens, denn das Mordopfer hat zeitweise an der Ruhr gelebt. Sie ist 20 Jahre alt, als ihr Leben brutal endet: Gülsüm S.

Ihre Familie kommt aus Mardin, einer Stadt in der südöstlichen Ecke der Türkei, nahe der syrischen Grenze. Die Familie ist kurdisch. 1995 zieht Vater Yusuf S. mit dem jüngsten Sohn und seiner damaligen Frau nach Deutschland. Als diese kurz darauf stirbt, holt er die weiteren fünf Kinder hierher, darunter Gülsüm S., damals 7 Jahre alt, und ihren Drillingsbruder Davut S.

Selbstbestimmte Tochter wehrt sich gegen den konservativen Vater

Die Familie lebt in Rees, in einem Wohncontainer des Asylantenheims. Yusuf S. zeigte „keine Anstrengungen, sich in das Leben seines Gastlandes einzugliedern“, schreibt Stefan Wette im Skript für den Podcast. Bei Gülsüm S. sieht das hingegen ganz anders aus. Sie kleidet sich westlich, pflegt multikulturelle Freundschaften, ist selbstbewusst und attraktiv. Schon früh kollidiert ihre selbstbestimmte Lebenseinstellung mit den konservativen Überzeugungen des Vaters. Dieser will seine Tochter kontrollieren, am liebsten solle sie stets zu Hause bleiben.

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Es gibt häufig Streit, nicht selten kommt dabei auch des Vaters Faust zum Einsatz. Er wünscht sich eine Tochter, die den Wertvorstellungen der Familientradition entspricht und nicht ständig aufbegehrt. Deshalb fliegt er 2007 mit Gülsüm S. in die Türkei, wo sie gegen ihren Willen zwangsverheiratet wird. Erfolglos versucht diese, sich zu wehren, doch gegen ihren Vater kommt sie nicht an.

Gülsüm S. flüchtet zu ihrem Freund nach Mülheim

Nach der Heirat fliegt Gülsüm S. wieder zurück nach Rees – ohne ihren Ehemann. 2008 lernt Gülsüm S. ihren späteren Freund Altin P. kennen, einen muslimischen Albaner. Doch ihr Vater akzeptiert die Beziehung der beiden nicht: „Ihm geht es um die Geschlossenheit der Familie, ein Albaner hat da nichts zu suchen“, schreibt Stefan Wette. Immer wieder und immer heftiger wird er handgreiflich, doch die inzwischen 18-Jährige beugt sich ihrem gewalttätigen Vater nicht, sondern flieht. Erst in ein Frauenhaus, schließlich zu ihrem Freund nach Mülheim. Hier erhält sie viele Hilfestellungen, beantragt Sozialleistungen, kommt in die Berufsbildungswerkstatt und führt Gespräche mit Sozialpädagogen, die versuchen, ihre Probleme aufgrund der familiären Situation aufzuarbeiten. „Gülsüm S. ist nicht allein“, schreibt Wette.

Ein Foto der 20-jährigen Gülsüm S. in Rees: Trauernde hatten im Frühjahr 2009 Blumen und Fotos zum Gedenken an die Ermordete aufgestellt.
Ein Foto der 20-jährigen Gülsüm S. in Rees: Trauernde hatten im Frühjahr 2009 Blumen und Fotos zum Gedenken an die Ermordete aufgestellt. © FFS | Thorsten Lindekamp

Mülheim verhängt für sie eine Auskunftssperre, damit ihre Familie nicht den neuen Wohnort ermitteln kann. Doch Gülsüm S. holt schließlich ihre Schwester zu sich, die ebenfalls Angst vor dem Druck des Vaters hat. Nach einiger Zeit überredet sie Gülsüm S. jedoch, gemeinsam wieder nach Rees zurückzukehren. Diese folgt ihrem „verhängnisvollen Familiensinn“, besucht jedoch noch regelmäßig ihren Freund in Mülheim.

Als die junge Frau schwanger ist, sieht der Vater die Ehre der Familie in Gefahr

Die Situation zu Hause spitzt sich immer weiter zu, als Gülsüm S. bemerkt, dass sie schwanger ist. Sie entschließt sich zu einer Abtreibung, ihre Familie unterstützt sie sogar auf diesem Weg. Als Gülsüm S. jedoch einem Cousin von der Abtreibung berichtet, wendet sich das Blatt, denn nun wissen mehr Leute als der engste Familienkreis von ihrem „schandhaften“ Verhalten. Ihr Vater sieht die Ehre der Familie in Gefahr. Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist in seiner stark patriarchalischen und religiös geprägten Heimat eine Schande. Verletzt ein weibliches Familienmitglied den Ehrbegriff, ist es in dieser Denkweise am Vater, dagegen vorzugehen.

Der WAZ-Podcast: „Der Gerichtsreporter“

Im Podcast „Der Gerichtsreporter“ erzählt Stefan Wette seit 2020 von zahlreichen erschütternden und spektakulären Verbrechen aus der Region.

Seit mehr als dreißig Jahren berichtet der Gerichtsreporter Wette für diese Zeitung aus den Gerichtssälen. In dem True-Crime-Podcast rollt er diese Geschehnisse gemeinsam mit Moderatorin Brinja Bormann noch einmal auf.

Alle zwei Wochen erscheint eine neue Podcast-Folge, immer montags um 16 Uhr. Der Podcast ist zu findet unter www.waz.de/podcast/gerichtsreporter, aber auch auf Spotify, Amazon Music, Deezer und Co.

Gülsüm S. ist sich ihrer Gefahr bewusst, hat Angst vor den Konsequenzen und flüchtet wieder nach Mülheim zu ihrem Freund, nutzt eine andere SIM-Karte. Und trotzdem hält sie weiterhin Kontakt zur Familie, fährt am 2. März 2009 zurück nach Rees. Ein verhängnisvoller Schritt, denn da weiß sie noch nichts von den gewaltvollen Plänen von Vater und Bruder. Nichtsahnend besucht sie ihre zukünftigen Mörder. Es ist der Tag, an dem sie sterben wird. Welches grauenvolle Schicksal Gülsüm S. erwartet, wie die Ermittlungen laufen und wie später das Gericht urteilt, ist Thema in der neuen Folge des Podcasts „Der Gerichtsreporter“.