Rees. Gülsüm S. wurde erdrosselt, weil sie zu westlich war. Von Anfang an stand ihre Familie, die seit 13 Jahren in Rees lebt, im Visier der Polizei. Am Donnerstag kamen Details der Tat an die Öffentlichkeit.

Es war ein ganz besonderer Fall für die Krefelder Mordkommission, der am 4. März damit begann, dass die Ermittler mit einem Polizeihubschrauber eingeflogen wurden. An diesem Tag hatte der Hund eines Landwirtes die Leiche einer jungen Frau unter Laub an einem Feldweg in der Nähe von Rees gefunden. Genau vier Wochen später ist der Mord aufgeklärt: Gülsüm S., eine 20-jährige muslimische Kurdin, wurde hier von ihrem Drillingsbruder erschlagen. Am Donnerstag gab Hauptkommissar Gerd Hoppmann die Details bekannt.

Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört

Von Anfang an schien alles darauf hinzuweisen, dass der oder die Täter in der Familie zu suchen sind. Noch bevor an jenem 4. März der Regen einsetzte, waren die Ermittler eingetroffen, um wichtige Spuren am Fundort, der, wie sich später herausstellte, auch der Tatort war, zu sichern.

Schnell war den Ermittlern klar, dass es sich hier nicht um ein Sexualdelikt handelt. Das Gesicht der jungen Frau war zur Unkenntlichkeit zerstört. Die Art der „Gewalteinwirkungen sind ein Zeichen dafür, dass Schande getilgt wurde”, erläuterte Hoppmann. Diese wichtigen Hinweise gaben Ethnologen, die der Mordkommission zur Seite standen.

Berziehung von der Familie abgelehnt

Von Anfang an stand die Familie, die seit 13 Jahren in Rees lebt, im Visier der Polizei. Bekannt war den Ermittlern, dass es in der Familie kulturelle Konflikte gab. Gülsüm strebte einen westlichen Lebensstil an und wehrte sich gegen die konservativen Einstellung ihres Vaters. Wenn sie sich nicht an die Regeln hielt, wurde sie mit körperlichen Sanktionen bedacht.

In der Türkei war sie bereits verheiratet, diese Ehe fand faktisch aber nicht statt. Statt dessen hatte sie einen albanischen Freund. Diese Beziehung wurde aber von der Familie abgelehnt. Ein Verwandter, der in Hannover lebte, sollte stattdessen ihr zukünftiger Mann werden. „Schnell stellte sich heraus, dass er als Täter ausscheidet”, so die Mordkommission.

Behörden hatten ihr versucht zu helfen

Gülsüm hatte sich im vergangenen Jahr wegen der Probleme mit der Familie an Behörden und Vertraute gewandt. Sie alle hatte sich vorbildlich um die junge Frau gekümmert und ihr im Ruhrgebiet eine Wohnung besorgt, von der die Familie nichts wusste. Auch wenn sie ihren Wohnort geheimhalten konnte, schaffte sie es nicht, den Kontakt zur Familie abzubrechen.

Als sie im letzten Jahr von ihrem Freund schwanger wurde, sah sie große Probleme seitens der Familie auf sich zu kommen. Sie entschied sich zur Abtreibung nach Holland zu fahren. Erst als es nach dem Eingriff zu Komplikationen gekommen war und sie erneut eine Klinik aufsuchen musste, erfuhr die Familie vom Schwangerschaftsabbruch.

Unter einem Vorwand auf einsamen Weg gelockt

Ihr Drillingsbruder allerdings hatte erst am 2. März erfahren, dass seine Schwester keine Jungfrau mehr ist. Sie lebte inzwischen wieder mit ihm und der Drillingsschwester in einer gemeinsamen Wohnung in Rees. Gegen 20 Uhr lockte der Vater der Ermordeten die Schwester unter einem Vorwand aus dem Haus. Kurz danach erschien der Bruder und bat sie, mit ihm zu kommen, um ein Auto abzuholen. Mit seinem BMW fuhr er zum Asylantenheim und holte dort seinen russischen Freund ab, mit dem er den Mord abgesprochen hatte. Der Russe hatte Handschuhe und eine Schnur besorgt. Gemeinsam fuhren sie zu dem abgelegenen Wirtschaftsweg.

Gülsüm wurde unter dem Vorwand, dass jemand hier ihr Fahrrad gesehen hätte, hergelockt, um den Ort mit der Taschenlampe abzusuchen. „In diesem Moment zog der Bruder die Handschuhe an und drosselte seine Schwester von hinten mit einer Schnur bis zur Bewusstlosigkeit”, so Hoppmann. Danach wurde mit den vorgefundenen Knüppeln und Ästen ihr Gesicht eingeschlagen. „Die beiden nahmen ihr das Portemonnaie aus der Tasche, damit es wie ein Raub aussah”, so Hoppmann.

Ein Knopf überführte den Mittäter

Und natürlich hatte der Drillingsbruder ein Alibi. Er gab an, mit seinem russischen Freund eine Spielhalle besucht zu haben. „Und dann kam der klassische Kriminalfall. Als wir den Russen im Asylantenheim aufsuchten, hing dort eine Jacke”, so Hoppmann. Und genau an der fehlte ein signifikanter Knopf, eben jener, der am Tatort gefunden wurde. „Somit konnten wir den Russen als Mittäter dingfest machen.”

Und noch etwas hat den Kommissar gefreut. Mehr als eine Woche nach der Tat hatte er eine Expertin beauftragt, mit ihrem Hund (früher Bluthund genannt) der Geruchsspur des Opfers nachzugehen. „Obwohl Gülsüm mit einem Auto transportiert wurde, führte der Hund die Kripo vom Tatort über das Asylantenheim bis zur 4,1 Kilometer entfernten Wohnung”, lobte Hoppmann.

Bruder wollte Freund nicht belasten

Der Bruder hat inzwischen die Tat gestanden, während der Vater nichts gewusst haben will. Auch habe der Bruder den Freund nicht belasten wollen. Der schweigt nämlich. Ob dieser ebenfalls auf Gülsüm eingeschlagen oder vielleicht für Geld mitgemacht hat, wird noch ermittelt. Vom ersten Tag an kursierte das Wort „Ehrenmord” in den Medien. „Dieser Begriff existiert für uns nicht”, erklärte Hoppmann in der Pressekonferenz. „Mord ist Mord”.

Dass sich so viele Menschen um Gülsüm gekümmert haben und ihr eine neue Identität geben wollten, was aber letztlich daran gescheitert ist, dass Gülsüm, 20-jährig, den Absprung von der Familie nicht schaffte, bewegt auch die Ermittler. „Ein ganz trauriger Fall!”, schloss Hoppman die Ermittlungsakten.

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