Mülheim. Mit Querdenkern und Corona-Leugnern sprechen – sollte ein Stadtoberhaupt das tun? Mülheims OB hat es gemacht. Wir kommentieren im Pro & Contra.
Mülheims OB Marc Buchholz hat sich auf ein Gespräch mit den führenden Köpfen des Mülheimer Corona-Protestes eingelassen. Was ist davon zu halten? Zwei Meinungen.
Pro: Der OB baut Brücken für die Zukunft, mit klarer Haltung
Der OB hat ein richtiges Signal gesetzt in Zeiten, in denen immer mehr Bürger das Gespräch, den Diskurs mit den jeweils Andersdenkenden strikt ablehnen. Keine Frage: Es wäre besser, die Gesellschaft würde solidarisch, Hand in Hand durch die Pandemie gehen. Aber die Gräben sind tief – und das kann sich die Gesellschaft dauerhaft nicht leisten.
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Die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik sollte Mahnung genug sein: Lasst uns nicht die gleichen Fehler machen, lasst uns im Gespräch bleiben, auch wenn die andere Meinung so gar nicht unsere ist! Nur wer spricht, kann die Standpunkte anderer, seien sie noch so abwegig, verstehen lernen. Diplomatie nennt man das. Auch auf internationalem Parkett ist das stets ein Balanceakt, aber unumgänglich, um das Zusammenleben zu gestalten. Auch Grundlage dafür, andere zu überzeugen.
Noch aus einem anderen Grund ist das Agieren des OB angebracht. In anderen Städten sind die Corona-Proteste bereits eskaliert. Buchholz hat Demo-Initiator Garcia Diaz jetzt abgerungen, sich öffentlich dazu zu bekennen, dass der Protest friedlich bleiben soll, dass er sich abgrenzt von Versuchen, ihn mit extremistischen Zielen zu unterwandern. Das ist gut so. Jetzt liegt es an den Demo-Verantwortlichen, hier Wort zu halten. (Mirco Stodollick)
Contra: Therapiestunde mit dem OB nutzte nur den traurigen Sauriern
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Man muss es mal so deutlich sagen: „Die Spaltung der Gesellschaft“ ist eine Fiktion, genährt von jenen, die sich nicht impfen lassen wollen, aber nicht bereit sind, bestimmte Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Doch gemessen an der Zahl der Demonstranten sind es rund 0,5 Prozent der Mülheimer Bevölkerung. 130.406 Mülheimer haben sich bereits gegen die Meinung dieser Splittergruppe entschieden.
Dass der OB mit ihnen so spricht, als wären es die Hälfte, hebt die Randerscheinung zu Unrecht auf Augenhöhe mit jenen leisen 76,4 Prozent. Er hat kruden Theorien, der Angst und dem teils radikalen Egoismus, die sich hinter Schlagworten von Friede und Liebe verbergen, ungewollt zu weiterer Werbung verholfen.
Dabei hatte OB Buchholz bisher stets gute Antennen für bürgerliche Machtkonstellationen bewiesen und Krisen klug bearbeitet: Das Fulerumer Feld gewann er für sich, die Stadtschulpflegschaft im Konflikt „Stadtteilbibliotheken“. Auch dem engagierten Verschönerungsklub stärkt er zu Recht den Rücken.
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Seine Strategie ist hier aber unklug gewählt. Denn nun werden Corona-Leugner und -Kritiker erst recht im Saurier eine Führungsrolle wittern und in Mülheim ihren Aktionsort. Im Gegenzug hat Buchholz für Mülheim nichts erreicht, was nicht für Demos selbstverständlich sein muss: Gewaltfreiheit. Das Zugeständnis abzuringen, keine Rechtsextremen zu dulden, ist zudem hinfällig. Längst haben diese verstanden, dass sie umherspazierenden Reptilien fernbleiben müssen, um die wachsende Demo in ihrem Interesse nicht zu torpedieren.
Die Frage ist also nur, wann diese Kräfte sich wieder untermischen, um die Demo als Plattform zu missbrauchen. Spätestens wenn die Impfpflicht kommt, wird dies auch der einstige Riese der Tierwelt nicht verhindern können. (Dennis Vollmer)