Mülheim. Die Alte Dreherei erlebte am Dienstag eine kleine Revolution: Bürger entwarfen ein zusammenhängendes Radwegenetz für Mülheim. Wie es weitergeht.

Der Tunnel unter dem Kurt-Schumacher-Platz bekommt einen dicken Edding-Strich auf der Stadtkarte, auch die Schloßbrücke, die Saarlandstraße, der Dickswall, die Dimbeck, die Schollenstraße… Linie für Linie entstehen so komfortable Radwege. Oder gar Fahrradstraßen. Und noch mehr. Am Dienstagabend herrscht Pioniergeist in der Alten Dreherei: Rund 60 Mülheimer entwerfen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) das Raster einer kleinen Revolution: Ein zusammenhängendes Radwegenetz für Mülheim.

Auch interessant

„Map-athon“ hat der ADFC das Kritzeln auf der Karte – im Englischen „Map“ – getauft. Und nach dem Vorbild des „Hack-athon“, bei dem Hacker die Grenzen der Software-Programmierung testen.

Wie „hackt“ man den Code einer jahrzehntelangen Autostadt?

Denn in der sympathischen Stadt an der Ruhr existiert ein solches System städtischer Radwege nicht. Und wären diese ein U-Bahn-Netz – es gäbe kaum Umstiegspunkte und manche Bahn erreichte nicht einmal ihr Ziel, weil die Strecke kurz vorher einfach aufhören würde. Oft also landen Radwege im planerischen Nirwana, oder werden mit einem schlichten „Radweg Ende“ unvermittelt auf die Straße geführt.

Wie kann das Rad in Mülheim alltagstauglich werden? Rund 60 Bürger folgten dem Ruf des ADFC und brachten ihre Vorstellungen von sicheren und komfortablen Strecken in der Ruhrstadt zu Papier.
Wie kann das Rad in Mülheim alltagstauglich werden? Rund 60 Bürger folgten dem Ruf des ADFC und brachten ihre Vorstellungen von sicheren und komfortablen Strecken in der Ruhrstadt zu Papier. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Das existierende Auto-orientierte Verkehrsnetz ist daher der sperrige „Code“, den es zu knacken gilt, und ein selbstbewusster „Hacker“-Geist entwickelt sich in der Dreherei mit jedem dicken Strich und Post-it für eine Lösung weiter: „Das fühlt sich gut an“, kommentiert ein Fahrradfahrer.

Ein grobes Netz hatte der ADFC bereits nach Braunschweiger Vorbild entworfen

Ein grobes zusammenhängendes Radwegenetz haben Mitglieder des ADFC bereits gewoben, das aus allen Himmelsrichtungen auf die Innenstadt zuläuft und auch ringförmig die Stadtteile verbindet (siehe Karte). Die bereits ausgearbeiteten Fahrradstadtpläne aus Braunschweig und München haben dabei Pate gestanden. Am Dienstagabend geht es nun um zusätzliche Ideen und viel Feinarbeit.

Drei Punkte sind auch in Mülheim entscheidend: „Es soll sicher und einladend sein. Und es soll alle wichtigen Quell- und Zielorte verbinden“, gibt Peter Beckhaus vom ADFC den Pionierinnen und Pionieren mit auf den Weg. Konkret: Welche Einkaufszentren, Händler, Arbeitsplätze, städtische Einrichtungen, Schulen, Kirchen, Restaurants, Kulturorte, Ärzte, öffentliche Plätze sollen vernetzt werden?

Schwer zu knacken: die Mülheimer Innenstadt

Schnell wird das Geflecht feinmaschiger vor allem in der Innenstadt: Wie sollen die Schulen im Südviertel sicher miteinander verbunden werden? Soll die Schollenstraße am Rathaus eine Fahrradstraße werden, um den Fußgängern an der Ruhrpromenade mehr Sicherheit zu geben? Und um vom Süden sicher und schnell in den Norden zu kommen, wünscht sich mancher einen Durchstoß durch den Tunnel in Richtung Eppinghofer Straße.

Eine Autospur auf der Schloßbrücke würde Peter Winkelmann, Klimaexperte aus Broich, gerne streichen, um dort einen sicheren Fahrradweg in Richtung Innenstadt herstellen zu können. Denn dort wird das Radeln aktuell durch Laternen und Schilder behindert. Der Radschnellweg durch die City erhält zwar ein Daumen hoch, nicht aber seine Auffahrten: „Viele haben sie als nicht alltagstauglich beschrieben – wie etwa den Aufzug. Auch gibt es besonders in Richtung Heißen zu wenig Möglichkeiten“, sagt Volker Isbruch-Sufryd vom ADFC.

Heißener wünschen sich eine sichere Radstrecke nach Saarn und umgekehrt

Und auch, wenn die Diskussion um eine breite Radspur auf dem Dickswall und eine Fahrradstraße an der Dohne schon geführt wurde – am Dienstagabend wurden beide Maßnahmen von Mülheimerinnen und Mülheimern noch einmal als wichtig unterstrichen.

Und so geht’s weiter

Die Vorschläge der Mülheimerinnen und Mülheimer fasst der ADFC nun zusammen und ergänzt sie weiterhin. Am 29.11. ist um 19 Uhr ein digitales Treffen der Mülheimer Gruppe geplant, auf dem das Radwegenetz weiter diskutiert wird. Zudem gibt es einen „Ideenmelder“ des ADFC für Mülheim: mh-ideenmelder.hpadm.de/

Sobald die Ergebnisse finalisiert wurden, übergibt sie der ADFC offiziell dem Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung sowie der Politik. Idealerweise wird dies im Mobilitätsausschuss behandelt werden.

Ob das eins zu eins umgesetzt wird? Vermutlich nicht, aber „Wir werden die Umsetzung begleiten“, verspricht Peter Beckhaus (ADFC) in der Alten Dreherei – „ob die Verwaltung will oder nicht, aber ich glaube, sie will“. Mehr Infos: ob-mh.adfc.de/

Notwendige Maßnahmen gibt es aber in allen Himmelsrichtungen: Einen sicheren Radweg über die viel befahrende Saarner Straße ins Dorf Saarn sowie zu den Lebensmittelgeschäften auf der Düsseldorfer Straße wünschen sich einige. Und eine gute Lösung für die schmale Prinzeß-Luise-Straße – notfalls unter Reduzierung der Parkplätze an engen Stellen.

Neben kleinen, aber teils zentralen Details werden ebenso die großen Schritte diskutiert: Eine schnelle Verbindung zwischen Saarn und Heißen wünscht sich die eine wie die andere Seite. Und nicht zuletzt sind etwa im Norden vielen die Anschlüsse an die Nachbarstädte nach Oberhausen und Duisburg wichtig. Dort liegt seit Jahren ein Ausbauplan für einen Radweg auf einer ehemaligen Bahntrasse auf Eis.

Überraschende Erkenntnis: Alltagsradler wollen schnelle Verbindungen anstelle von Freizeitwegen

Für die Veranstalter des ADFC war „die Diskussion spannend, ob ein schöner Weg durch die Natur oder ein schneller Weg an der Hauptstraße gewünscht ist“, sagt Peter Beckhaus. Das überraschende Ergebnis: Alltagsradler wollen immer den schnellen, durchgehenden und sicheren Weg anstelle von Freizeitwegen. Nicht zuletzt, weil man die Fußgänger dort nicht gefährden will. Generell sei wenig ,egoistisch’ diskutiert worden, lobt Isbruch-Sufryd, sondern meist die Frage „Was fehlt im Vierte?l“.