Mülheim. Kann das Lastenrad das Auto beim Einkauf ersetzen? Wir testen die Vor- und Nachteile – und wo die Verkehrswende in Mülheim noch klemmt.
Viel Häme hatte der jüngste Vorstoß der Grünen im Bund für eine Förderung von Lastenrädern geerntet. Das sei „abstrus und weltfremd“, feixte darüber CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Wo aber können Lastenräder und Co. das Auto – und darum geht es ja – sinnvoll ersetzen und in Mülheim zur Verkehrswende beitragen? Wir testen die Vor- und Nachteile beim Einkauf.
Als Erstes muss der noch leere Wasserkasten in den Fahrradanhänger – Leergut wegbringen. Der passt, wackelt nicht, und ließe sogar Platz für einen zweiten. Vor rund zwei Jahren habe ich das Anhängsel auf zwei Rädern gleich zum E-Bike dazu gekauft. Denn – das ist schon der erste Vorteil – dieser lässt sich mit einem Klick abkoppeln. Beim Lastenbike hingegen fahre ich den Transportkorb stets mit mir rum, egal ob beladen oder nicht.
Der Nachteil für den Einkauf: Mein Anhänger verkraftet zwar theoretisch 60 Kilo, darf aber als „ungebremster Anhänger“ im Straßenverkehr nur bis 40 kg belastet werden. Für echte Lastenräder gilt bisweilen das Zehnfache – wenn man es dann noch angeschoben bekommt. Und daran schließt schon ein zweiter Punkt an: Ein Elektromotor ist dann sinnvoll – vor allem, wenn man so wie ich auf dem Rückweg die Mülheimer „Berge“ zu erklimmen hat.
Verkehrswende Ein-mal-eins: Wieviel CO2 spart das Rad zum Auto?
Dann strampelt es sich sogar flott mit 18 km/h die Steigung hoch. Aber dazu später. Rund 1,4 Kilometer entfernt liegen die Supermärkte, genau in jener Distanz unter fünf Kilometern, die laut verschiedener Mobilitätsuntersuchungen in einer Stadt gut 50 Prozent der Autofahrten ausmachen sollen. Manche kommen sogar auf bis zu 70 Prozent.
Das Bundesumweltamt ging 2010 noch davon aus, dass allein durch diese Kurzfahrten im Jahr 2020 elf Millionen Tonnen erderwärmendes Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestoßen würden. Wenn nur die Hälfte auf das Rad umstiege, könnten entsprechend 5,8 Millionen Tonnen in Deutschland eingespart werden.
Heutige CO2-Rechner können den Ausstoß kilometergenau kalkulieren. Bei 1,4 Kilometer erzeugt ein Auto – ob Benziner oder Diesel – bereits 0,3 Kilogramm CO2 bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 6,9 Liter pro 100 Kilometern, das E-Auto liegt immer noch bei 0,2 Kilogramm . Und das Pedelec? 0,0 Kilogramm - kaum messbar also. Erst bei einer Strecke von 100 Kilometern käme das E-Fahrrad an jenen Ausstoß heran, den eine Autofahrt von 1,4 Kilometern produziert.
Ist eine Subvention von 1000 Euro für Lastenräder zu teuer? Einer Studie des Verkehrsforschers Stefan Gössling zufolge, enthält jeder Autokilometer versteckte, auf die Allgemeinheit umgelegte Kosten von 11 Cent, EU-weit sind das 500 Billionen Euro. Jeder Kilometer, den das Rad ersetzen kann, zählt demnach.
Die Praxis: Wie sicher fühlt man sich mit Lastenrad oder Anhänger auf der Straße?
Zurück zur Praxis: Wie einfach ist nun der Einkauf mit dem Lastenrad? Der Hänger hängt mit nur einem Klick, es geht runter ins Dorf. An den „Begleiter“ muss man sich aber gewöhnen, das heißt weniger scharf abbiegen und nicht so dicht an der Straßenseite fahren. Zwar liegt der Anhänger gut auf der Straße, aber die Ränder sind oft in einem schlechten Zustand: Kanaldeckel, Löcher, Wellen, Rinnen lassen ihn holpern.
Problematisch aber kann es nur dann werden, wenn man beim Abbiegen mit einem Rad über den Bürgersteig rappelt, weil man zu dicht am Rand fährt. Dann kann der Anhänger kippen. Bei meinem ersten „Ausflug“ kullerte prompt ein leerer Wasserkasten über die Straße. Zum Glück passierte wenig. Viele Anhänger haben zudem eine feste Plane, die verhindert. dass etwas herausfällt. Es gilt aber die alte Fahrradregel im Straßenverkehr zu beherzigen: selbstbewusst seinen Platz im Verkehr beanspruchen, aber vorausschauend handeln.
Wo ausreichend breite Radwege vorhanden sind, ist das Fahren mit dem Lastenrad entspannt. Auf der Düsseldorfer Straße ist es wegen des abgeteilten Radstreifens zum Beispiel einfacher als auf der Saarner, wo die Autos einen größeren Bogen um den Anhänger machen müssen.
Im Supermarkt spielt der Anhänger seine Stärken aus – als Einkaufswagen
Die Fahrt geht flott, in rund fünf Minuten bin ich auf dem Parkplatz des nahen Discounters. Schneller ginge es auch mit dem Auto kaum – dank Ampelschaltung sieht man auch die PS-starken Flitzer am nächsten ,Lampion’ wieder.
Am Supermarkt aber spielt der Anhänger seine Stärke aus: Ich fahre direkt ans Geschäft, klicke den Wagen ab und kann ihn als Einkaufswagen in den Laden nehmen, während die Konkurrenz aus Blech noch in die Parklücke schwubst. Keine Münze aus der Tasche fummeln, nicht um den Einkaufswagen anstehen – einfach rein. Der Korb füllt sich und hinter der Kasse gehe ich mit dem beladenen Anhänger raus, klicke ihn an, Plane drüber, losfahren.
Die Preisfrage: Was kostet das Lastenrad?
Na klar: Nach oben hin ist die Skala fast offen – für etwas mehr als 4000 Euro kann man damit sogar einen halben Kindergeburtstag (6 Kinder) transportieren.
Wer auf einen E-Motor verzichten kann, steigt bei etwa 1500 Euro ein. Mit E-Motor kommen noch einmal rund 1000 Euro drauf.
Wer ohnehin schon ein E-Bike hat, kann relativ günstig auf einen Fahrradanhänger umrüsten, der sich mit einer Kupplung leicht abkoppeln lässt. Um die 100 Euro sollte man dafür investieren.
Wer das Lastenrad in Mülheim ausprobieren will: https://www.klimaschutz-mh.de/unsere-projekte/klara-das-klimarad/
Was ist die Ausbeute? Ein Kasten Wasser, Milch, ein Kürbis, Bananen, Tomaten, Salat, frischer Oregano haben mit Leichtigkeit darin Platz gefunden. Es gäbe noch viel Raum für Brot, Wein, Eier, Aufschnitt und sich auch die klassischen Tiefkühlpizzen. Für den Tagesbedarf von zwei oder drei Personen reicht es locker – erst recht ohne den Kasten Wasser.
Wieviel passt rein im Vergleich zum Kofferraum eines Autos?
Klar ist aber auch: Den Wocheneinkauf einer vierköpfigen Familie wird man einfacher mit einem geräumigeren elektrischen Lastenrad erledigen können. Die größeren Exemplare haben 300 bis 700 Liter Volumen, also etwa so viel wie der Kofferraum eines mittelgroßen Pkw. Im Vergleich: Der Fahrradanhänger umfasst 70 Liter.
Dafür kutschiert das Auto auch jede Menge Luft zusammen mit der Ladung umher: Denn oft kaufen maximal zwei Personen aus einem Haushalt ein. Ganz zu schweigen von Schadstoffen, Lärm und Spritverbrauch punktet damit auch das Lastenrad.
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Fazit: Einstieg kann zunächst teuer ausfallen, rechnet sich aber ökologisch und ökonomisch
Kann das Lastenbike ein Autoersatz sein? Innerhalb von Städten ist das keine Frage: Das Lastenbike ist auf kurzen Strecken im Innenstadtverkehr nicht wesentlich langsamer am Ziel. Es kann in der Frage Transport mit Mittelklasse-Autos mithalten. Ist in den Unterhaltskosten deutlich günstiger. Ökologisch zieht es dagegen sogar jedem E-Auto davon.
Und das Kontra? Die Sicherheit beim Radeln ist auch hier entscheidend, aber schließlich in 70 Jahren autofreundlicher Verkehrspolitik ,hausgemacht’. Nicht nur in der Autostadt Mülheim müssten Radwege angelegt und wohl auch zu Lasten des Autos ausgebaut werden, um mehr Menschen von der Einfachheit des Umstiegs zu überzeugen. Und Supermärkte müssten ebenfalls reagieren und mehr Fläche nahe am Geschäft für das Rad reservieren.
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Bei Regen und Schnee ist das Lastenrad zudem nicht jedermanns Sache. Und auch die Unterbringung des recht gewichtigen Fahrrads zuhause muss mitbedacht werden – in der eigenen Garage kein Problem, täglich in den Keller der Mietwohnung schleppen, ist eine Herausforderung. Hier könnte die Stadt mit wohnnahen Fahrradboxen helfen.
Bleibt der Preis von etwa 2500 Euro – je nach Ausstattung – als Einstiegshürde (siehe Box). 1000 Euro Zuschuss für ein Lastenfahrrad, wie es die Grünen aktuell vorgeschlagen haben, kann die Hürde für private Haushalte – gewerblich gibt es längst höhere Zuschüsse – deutlich senken. Dass es sogar noch wesentlich günstiger geht – mit einem Anhänger – schmilzt den Berg der Ausreden weiter ab. Vielleicht ein Anreiz: Den Korb mit dem „Raubzug“ aus dem Supermarkt nehme ich einfach aus dem Anhängergestell und trage ihn – wie gekauft – in die Küche. Viel einfacher geht’s kaum.