Mülheim. Das Lastenbike könnte rund 20 Prozent des gewerblichen Verkehrs auch in Mülheim ersetzen – das zeigt eine Studie. Was die Stadt nun tun müsste.
Die schnelle Lieferung von Geschäftstür zu Geschäftstür, der Handwerkstermin vor Ort beim Kunden, das Müllsammeln im Quartier – das könnten künftig Aufgaben sein, die das Mülheimer Gewerbe mit dem Lastenrad erledigt. Zwei Jahre lang haben rund 750 Firmen und Einrichtungen deutschlandweit das Potenzial des emissionsschlanken, autofreien Transports ausgelotet. Auch in der Ruhrstadt: Warum sich eine Verleihflotte fürs Stadtgewerbe lohnte.
In Mülheim testete die Pia das Lastenbike für das Forschungsprojekt „Ich entlaste Städte“
Nun gut: Offenbar lässt sich nicht alles jederzeit per Rad erledigen, doch zwei von drei Fahrten erfahrungsgemäß schon – zu diesem Ergebnis kommen die Teilnehmer des sogar europaweit größten Lastenbike-Projekts „Ich entlaste Städte“, das im Auftrag des Instituts für Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) umgesetzt wurde. In Mülheim testete die PIA Stiftung für integrierte Stadtentwicklung das Transport-Fahrrad als Müllfahrzeug.
Damit sammelte ein Mitarbeiter den Unrat an Mülheimer Fahrradwegen auf. In anderen Städten stellten etwa Kurierdienste, Streetfood-Anbieter, Pflegedienste und kleine Handwerksbetriebe – vom Tischler bis zur Radio-Manufaktur – die Möglichkeiten des Lastenfahrrads auf die Probe.
Gewerbe testete: Das Rad ist auf mittleren Strecken bis zu 20 Kilometern kaum langsamer als das Auto
Dabei kamen die Nutzer in 98 Prozent der Fälle zu dem Schluss, auch in Zukunft das Rad für solche Fahrten zu verwenden. 63 Prozent der Tester waren der Meinung, das Lastenrad sei gut für ihre Zwecke geeignet. Denn nicht selten zieht das Rad auf innerstädtischen Strecken am Auto vorbei und kann „mit Sack und Pack“ oft direkt an den Zielort fahren. Auf Strecken bis zu drei Kilometern waren Auto und Fahrrad nahezu gleich schnell, bei Strecken bis zu 20 Kilometern dauerten die Radfahrten zwei bis zehn Minuten länger.
Allerdings: Die nicht selten aufwendige Parkplatzsuche rechneten die Beobachter dabei nicht mit ein, auch nicht die Verstöße beim Parken wie das Parken in der zweiten Reihe. Und ebenso wenig die gesundheitlichen Vorteile oder eine Öko-Bilanz: Doch durchschnittlich 400 Kilogramm CO2 könnten Betriebe pro Jahr einsparen – wenn sie denn umstiegen. So rechnete das DLR. Kurzfristig seien wenigstens 20 Prozent der gewerblichen Fahrten ersetzbar.
Jeder dritte Teilnehmer kaufte sich nach der Testphase ein Lastenbike etwa für den eigenen Betrieb
Das überzeugte zumindest jeden dritten Teilnehmer des Projekts. Sie schafften sich das Leih-Lastenrad als dauerhaften Ersatz für die Fahrt mit dem Auto an. „Das ist erst einmal ein kleiner Baustein, der aber die Sichtbarkeit des Fahrrads herstellt“, hält Pia-Geschäftsführer Frank Schellberg für das Mülheimer Projekt fest. Jetzt aber komme es darauf an, diesen Prozess zu verstetigen.
Gewerbliche Lastenräder werden von Land und Bund gefördert
Rund 30.000 Lastenrad-Fahrten zeichnete das Forschungsprojekt von 2017 bis 2019 zwischen München und Kiel mit Hilfe von GPS-Trackern und Tacho auf. Ergebnisse auf Lastenradtest.de
Kritikpunkte gab es auch: Zum einen müssten die vorhandenen Modelle besser auf die Bedürfnisse von Betrieben angepasst werden. 62 Prozent wünschten sich eine bessere Transportbox.
70 Prozent gaben an, dass die Räder noch zu teuer seien. Doch seit der Versuchsphase haben Länder und auch der Bund neue Förderprogramme für gewerblich genutzte Lastenräder aufgelegt. Auskunft zu den Bedingungen findet man etwa beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle: bafa.de
Und damit beim Gewerbe in der Stadt die Hürden für einen Umstieg auf das Lastenbike zu bewältigen: Erstens, den Wechsel aufs Rad testen zu können, zweitens, die Infrastruktur für Lastenfahrräder anzubieten. „Eine stadteigene Verleihflotte wäre gut, um die Schwelle für Händler und Handwerker zu senken“, glaubt Schellberg, denn mit dem Zeigefinger erreiche man das Gewerbe eben nicht.
Was noch zu lösen ist: Die Infrastruktur fürs Lastenbike – Wege und Parkplätze
Der zweite Aspekt – die Infrastruktur – scheint dagegen aufwendiger zu werden. Denn es fehlen neben ausreichend breiten Radwegen auch jede Menge solcher Stellflächen für das Fahrrad und insbesondere für die üppigeren Lastenräder. Und es gilt nicht nur für Mülheim – eine unzureichende Radverkehrsinfrastruktur gaben viele Nutzer des bundesweiten Projekt als wichtigste Hürde an neben „hohe Kosten“ – und „schlechtes Wetter“.
Weniger automobiler Lieferverkehr in der Mülheimer Innenstadt? Auch dafür könnte Mülheim mehr tun, etwa Micro-Hubs, also viele kleine Standorte für Waren einrichten, die Lastenräder anschließend von dort verteilen. 2,5 mal 6 mal 4 Meter seien sie etwa in Dortmund groß – wie ein Container halt. Schellberg sieht derzeit eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung und beim Gewerbe dafür, Dinge auszuprobieren, eine „Pop-Up-Mentalität“, nennt es der Pia-Geschäftsführer. Gleich nach den vielen improvisierten Radwegen, die in der Corona-Pandemie spontan entstanden sind: „Manches lernt man eben nur aus der Praxis, vom Machen.“