Mülheim. Vor 75 Jahren wählten Mülheimerinnen und Mülheimer unter Aufsicht der britischen Militärregierung ein Stadtparlament – das erste nach Kriegsende.
13. Oktober 1946: An diesem Tag sind 90.810 Mülheimerinnen und Mülheimer dazu aufgerufen unter der Aufsicht der britischen Militärregierung ein Stadtparlament zu wählen. Gewählt wird nach dem britischen Mehrheitswahlrecht in Wahlkreisen. 78,7 Prozent und damit fast 29 Prozent mehr als bei der Kommunalwahl 2020 machen damals von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Die CDU wird zur stärksten Partei und stellt mit Wilhelm Diederichs den ersten gewählten Oberbürgermeister der Nachkriegszeit.
Die Kommunalwahl, die die britische Militärregierung im Mai 1946 angeordnet hat, ist Teil ihrer Demokratisierungskampagne, die die 1934 von den Nationalsozialisten abgeschaffte kommunale Selbstverwaltung wieder einführen will. In einem Aufruf der Militärregierung an die Bürger heißt es damals: „Werde wieder Herr im eigenen Haus. Schließe dich einer Partei an. Informiere dich politisch. Arbeite mit. Hilf mit. Es gibt nur diesen einen Weg zur Freiheit.”
Themen, die die Mülheimer 1946 bewegen: Hunger, kalter Winter, Trümmerbeseitigung
In der Lokalpresse werden die Themen angesprochen, die die Mülheimer 1946 bewegen: Hunger, Unterernährung, Schulspeisungen, die Integration von Flüchtlingen aus dem deutschen Osten, Not, Angst vor dem kalten Winter, Trümmerbeseitigung, Wiederaufbau von Wohnungen und Schulen, Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt, Diebstähle von Kleidung und Lebensmitteln, gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
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„Wir müssen verlangen, dass endlich mehr Bezugsmarken herausgegeben werden, denn Ware ist an verschiedenen Stellen noch gelagert“, unterstreicht die Vorsitzende der Mülheimer Awo und SPD-Ratskandidatin Anne Fries in einem Interview mit der Lokalpresse.
Kaufmann Diederichs und Kreishandwerksmeister Kölges sind Spitzenkandidaten
Plakate und Parteiversammlungen, aber auch parteipolitisch gefärbte Presseberichte sind im Kommunalwahlkampf 1946 das Mittel der Wahl. 14 Tage vor der Wahl erhält die CDU Wahlkampfunterstützung durch ihren Zonen-Vorsitzenden und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer. Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister spricht im Tengelmann-Saal an der Wissollstraße.
Auf einem Flugblatt der CDU heißt es damals: „Auch du musst endlich Partei ergreifen. Sonst hast du das Recht verloren dich darüber zu beklagen, dass dies und jenes so ganz anders verläuft, als du es dir gewünscht und gehofft hast. Wenn du politisch in Untätigkeit verharrst, brauchst du dich nicht darüber zu wundern, dass das neue Deutschland einmal ganz anders aussieht, als du es dir vorgestellt hast.“
CDU gewinnt erste Kommunalwahl nach dem Krieg
Bei der Kommunalwahl am 13. Oktober 1946 geben rund 71.500 Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab. Wahlberechtigt ist man damals erst mit 21 Jahren.
Die Auszählung der Stimmen dauert bis in den frühen Morgen des 14. Oktober 1946 an. Danach steht fest: Die CDU erringt 39,1 Prozent der Stimmen, die SPD, 37,2 Prozent, die FDP 12,8 Prozent und die KPD 10,1 Prozent. 0,8 Prozent der Stimmen entfielen auf parteiunabhängige Bewerber.
26.629 Mülheimer hatten die CDU, 25.335 die SPD, 8717 die FDP und 6678 die KPD gewählt. Aufgrund des damaligen Mehrheitswahlrechts kann die CDU 22 Wahlkreismandate gewinnen, die SPD 14, die FDP zwei und die KPD nur eines.
Der Kaufmann und später Oberbürgermeister Wilhelm Diederichs und der Kreishandwerksmeister und spätere Bürgermeister Max Kölges sind die Spitzenkandidaten der CDU. Die SPD wird von dem NRZ-Redakteur Otto Striebeck und vom AOK-Leiter Heinrich Thöne angeführt. An der Spitze der FDP steht der Betriebswirt, spätere Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Wilhelm Dörnhaus.
Wieder gegründete Kommunistische Partei KPD war politische Größe in Mülheim
Auch die 1945 wieder gegründete Kommunistische Partei KPD ist im industriell geprägten Mülheim mit seinen Stahlwerken und Zechen eine politische Größe. Für sie zieht vor 75 Jahren der Betriebswart Ernst Scheucken in den Stadtrat ein.
Da Mülheim im Herbst 1946 eine Trümmerstadt ist, können die Stadtverordneten nicht im Ratssaal tagen, sondern müssen mit ihrer konstituierenden Sitzung in die Aula des Staatlichen Gymnasiums an der Von Bock-Straße, das wir heute als Otto-Pankok-Schule kennen. Der Ratssaal ist erst 1956 wiederhergestellt.
Kommunale Doppelspitze aus Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor
Mit der ersten freien Kommunalwahl nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert die britische Militärregierung, deren Vertreter auch der konstituierenden Sitzung des Stadtrates am 4. November 1946 beiwohnt, eine kommunale Doppelspitze aus einem vom Rat gewählten ehrenamtlichen Oberbürgermeister und dem hauptamtlichen, ebenfalls vom Rat gewählten, Oberstadtdirektor als Chef der Stadtverwaltung. So wird Wilhelm Diederichs vom Rat der Stadt zum Oberbürgermeister und Josef Poell zum Oberstadtdirektor gewählt.
In seiner Antrittsrede sagte der christdemokratische Oberbürgermeister Wilhelm Diederichs (1896-1974) am 4. November 1946: „Wir stehen vor einem sehr schweren Winter mit weittragenden Folgen für unsere Stadt. Tausende Frauen, Kinder und Männer besitzen noch nicht einmal das Notdürftigste für ein menschenwürdiges Dasein. Wir könnten mutlos werden angesichts dieser Not und der Verantwortung, die auf uns lastet, wenn wir nicht aus innerster Verpflichtung heraus handeln würden.“
Und der spätere Oberbürgermeister Heinrich Thöne stellt als Fraktionschef der SPD fest: „Ernährung, Kleidung, Heizung, Wohnung und viele andere Probleme müssen angefasst werden. Seit 18 Monaten gilt der Krieg als beendet. Aber die Not wächst von Tag zu Tag. Es wird höchste Zeit, dass andere Formen der Wiederaufrichtung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes gefunden werden.“