Mülheim. Leerstände, Einbrüche, Drogentreff: Der Mülheimer Reiner Ortmann sieht Unterdümpten auf dem absteigenden Ast. Er appelliert an Stadt und Polizei.
Reiner Ortmann tritt aus seinem Vorgarten am Knüfen und spaziert links die Straße hinunter, bis zur nächsten Ecke. Dort erblickt er das erste Ärgernis – in seinen Augen ist es das größte. Rot-grau, sperrig und verlassen steht das Haus an der Mellinghofer Straße 282. Seit über einem Jahr wohnt hier niemand mehr. Ortmann und einige Nachbarn finden, der Leerstand strahlt ungut in die Umgebung aus. „Ein Dominoeffekt.“
Leerstehendes Gebäude in Mülheim-Dümpten: „Treffpunkt der Drogenszene“
Das zwei- bis dreistöckige Gebäude gehört der Wohnungsgesellschaft SWB. Zuletzt, bis Frühjahr 2020, waren hier geflüchtete Familien untergebracht. Danach wollte SWB das Gebäude in Ordnung bringen und entscheiden, wie es künftig genutzt wird. Seitdem ist nichts Sichtbares passiert.
Ortmann weist auf eine schäbige Stelle an der Einmündung Knüfen: „Hier trifft sich nachmittags die Kiffer- und Drogenszene.“ Beliefert würden die Leute von einem jungen Mann, den wir wenig später lässig auf einem E-Scooter durch das Viertel rollen sehen. Ortmann hat keinerlei Zweifel: „Das ist der Ober-Dealer.“
Der 67-Jährige führt zu Fuß durch seine Nachbarschaft in Unterdümpten. Er hat nie woanders gelebt und sieht den Stadtteil seit Jahren auf dem absteigenden Ast, nennt ihn ein „Problemviertel“. Das Gezerre um den Verkauf des ehemaligen Bürgermeisteramtes ist für ihn nur ein Ärgernis von vielen. „Die Mellinghofer war früher eine blühende Straße, mit Einzelhandel.“ Kaum etwas sei davon geblieben.
Eine Reihe von Leerständen, eingestreut in hübsch hergerichtete Häuschen, präsentiert er auch am Denkhauser Weg. Ein Mehrfamilienhaus, graue Fassade, heruntergelassene Rollos, penibel gestutzter Vorgarten, komplett unbewohnt. Seit Jahren, sagt Ortmann.
Verlassenes Haus fasziniert „Lost Places“-Fans
Ein dunkles, geducktes Backsteinhaus, ebenfalls seit einer gefühlten Ewigkeit leer. Vor der Haustür wurde ein Audi-Kombi irgendwann abgestellt und seinem Schicksal überlassen. Die Reifen sind platt. Der ehemals weiße Lack hat sich in eine grünlich-graue Reibfläche verwandelt, überzogen von Moos. Anhänger von „Lost Places“, gruselig-geheimnisvollen Orten, hätten sich in diesem Haus bereits umgesehen, berichtet der Dümptener.
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Wenig weiter hat die Hauptschule Hexbachtal eine Zweigstelle. Gegenüber dem Schulhof, am Sanders Hof, liegt ein weiteres verwaistes Haus. In den aufgerissenen Fenstern wehen Gardinenfetzen, im Zugang durch den urwaldähnlichen Garten liegt ein rostiges Fahrrad quer. Zwei Mal sei hier bereits Feuer ausgebrochen, oder gelegt worden, berichtet Ortmann. Er besitzt selber ein Zweifamilienhaus am Knüfen und macht kein Hehl daraus, dass er den Wert seiner Immobilie sinken sieht, durch die ausgestorbenen, teils verlotterten Gebäude ringsherum.
Wegziehen will der 67-Jährige nicht: „Wir sind hier verankert“
Wegzug in einen anderen Stadtteil kommt für den 67-Jährigen nicht in Frage. „Meine Familie wohnt hier seit ewigen Zeiten. Wir sind hier so verankert. . .“ Von anderen habe er aber durchaus vernommen, dass es ihnen allmählich reicht.
Nicht so Melanie Bonewitz, Wirtin der Gaststätte „Im Knüfen“, die direkt neben dem leerstehenden SWB-Gebäude liegt. Sie wohnt selber im Viertel und hat vor einem Jahr die Kneipe übernommen, in der sie vorher als Kellnerin jobbte. Es ist ein hartes Pflaster, das ist ihr klar. Schon bei der früheren Inhaberin sei zwei Mal eingebrochen worden, weitere Versuche gab es im Lockdown und als das Lokal wieder geöffnet war. „Die Einbrecher sind nicht reingekommen, aber die Alarmanlage hat ausgelöst“, berichtet die Wirtin.
Polizei: Kein Einbruchschwerpunkt
Der Polizei ist, entgegen den Schilderungen der Nachbarn, keine Drogenszene in dem leerstehenden SWB-Gebäude bekannt.
Auch seien der Knüfen und die umliegenden Straßen kein Einbruchschwerpunkt, heißt es dort.
Möglicherweise hätten Anwohner „optische Alarme“ an der Gaststätte „Im Knüfen“ gesehen. In zwei gemeldeten Fällen, am 2. April und 24. Juli 2021, habe es sich um Fehlalarme gehandelt.
Die Polizei bittet Anwohner aber ausdrücklich, verdächtige Beobachtungen zu melden, auch gegenüber den Bezirksbeamten im Stadtteil.
Und dann gibt es noch diesen älteren Mann, der den Biergarten gerne als Toilette missbraucht. „Er ist hier immer unterwegs, immer betrunken oder unter Drogen, hat auch schon versucht, hier Drogen zu verkaufen.“ Um Leute wie ihn von ihrem Außengrundstück fernzuhalten, hat Melanie Bonewitz einen stabilen Zaun errichtet. Nicht schön, aber wirksam. Denn während es „hier früher fast an jeder Ecke eine Gaststätte gab“, ist ihre Kneipe jetzt eine der letzten im Umkreis. „Ein Treffpunkt, auch an den Wochenenden. Wir sind wie eine kleine Familie.“ So sieht die Wirtin ihr Viertel. Das möchte sie bewahren.
Wer könnte den Unterdümptenern ihre Sorgen nehmen? Reiner Ortmann sagt, und will damit auch für seine Nachbarn sprechen: „Uns Bürgern geht es vorrangig darum, dass Stadt und Polizei hier etwas für unsere Sicherheit tun.“ Er sieht aber auch SWB am Zuge, hofft, dass sich im verlassenen Gebäude mit seiner negativen Aura endlich etwas tut. „Das wäre eine Perspektive für die Anwohner.“
SWB kündigt an: Kein Abriss, Haus wird hergerichtet und verkauft
Besserung scheint tatsächlich in Sicht. SWB-Sprecherin Christina Heine teilt auf Anfrage mit, das Haus werde „in Kürze“ baulich hergerichtet und verkauft. Ein Abriss sei nicht geplant. „Es bleibt ein Wohnhaus und wird in einen Zustand versetzt, dass man es sofort vermieten kann.“
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Wann genau die Sanierung beginnt, lässt SWB offen. Der Kaufvertrag sei noch nicht unterschrieben, die Verhandlungen hätten sich leider länger hingezogen als erwartet. „Wir haben aber viel Augenmaß walten lassen bei der Auswahl des Käufers“, versichert Heine. Die Unterdümptener werden SWB beim Wort nehmen.