Mülheim. Bundesjustiz- und Familienministerin Christine Lambrecht machte sich am Donnerstag in Mülheim ein Bild, wie vor Ort für Demokratie gekämpft wird.
Wer gleichzeitig zwei Bundesministerien führt, kann leicht einmal den Überblick verlieren. Umso besser für Christine Lambrecht, dass es Termine gibt, bei denen die Grenzen zwischen ihren beiden Ressorts fließend sind. So wie am Donnerstag, als die SPD-Politikerin in Mülheim der Partnerschaft für Demokratie einen Besuch abstattete.
Geladen war die 56-Jährige als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sie seit dem Rücktritt von Franziska Giffey ebenfalls ist. Zunächst sprach Lambrecht aber in ihrer eigentlichen Funktion als Bundesjustizministerin. „Ich bin in großer Sorge um unsere Demokratie“, sagte die Politikerin. Den Angriffen von rechts müsse der Rechtsstaat Grenzen aufzeigen.
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Lambrecht lobte in diesem Zusammenhang das im April in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. Künftig müssen Provider bei Gesetzesverstößen im Internet die IP-Adressen melden. „Man sagt oft, es seien nur Worte aber im Fall von Walter Lübcke haben wir gesehen, wie schnell aus solchen Worten Taten werden“, sagte Lambrecht.
Umso wichtiger sei es, „Menschen stark zu machen, damit sie bei solchen Parolen nicht zurückschrecken“, so die Bundesministerin. Dass es das von ihr angestrebte Demokratiefördergesetz nicht einmal auf die Tagesordnung des Kabinetts geschafft habe, bedauert sie.
Mülheim ist seit 2017 bei „Demokratie leben!“ dabei
Umso wichtiger sind die demokratiestärkenden Initiativen vor Ort. Seit 2017 hat sich das Programm „Demokratie leben!“ zum mit Abstand finanzstärksten Förderprogramm auf Bundesebene entwickelt. Bis 2024 werden mehr als 600 Millionen Euro an Fördermittel zur Verfügung gestellt. Allein 150 Millionen Euro entfallen auf das aktuelle Jahr.
Auch Mülheim ist in Zusammenarbeit mit dem Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) seit 2017 dabei. „Mülheim ist eine Stadt, in der bürgerschaftliches Engagement schon immer eine Rolle gespielt hat“, sagt CBE-Geschäftsführer Michael Schüring. Seit dem Start des Förderprogramms fanden bereits vier Demokratiekonferenzen statt, aber auch Abendveranstaltungen wie Vorträge oder Diskussionen. In diesem Jahr startet die Partnerschaft für Demokratie erstmals eine Kampagne unter dem Stichwort Respekt. „Dieser demokratische Grundwert soll sichtbar gemacht werden“, erläutert Jonas Greschner, der das Projekt beim CBE betreut.
Einzelne Projekte werden der Ministerin vorgestellt
600 Millionen Euro bis 2024
Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ hat sich seit 2017 zu dem mit Abstand finanzstärksten und weitreichendsten Förderprogramm auf Bundesebene entwickelt. In dem Programm werden unter anderem 326 lokale Partnerschaften für Demokratie, 16 Landes-Demokratiezentren, 40 zivilgesellschaftliche Organisationen sowie 150 Modellprojekte gefördert, die sich für unsere Demokratie und gegen jede Form von Extremismus einsetzen. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind dabei die Hauptzielgruppe.
Ein Anfang des Monats veröffentlichter Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Programme insgesamt als wirksam erwiesen haben und wichtige Beiträge zur Förderung demokratischen Handelns sowie zur gesellschaftlichen Prävention gegen Extremismus leisten.
Gefördert wurden aber noch eine ganze Reihe weiterer Projekte. Etwa die 2011 existierende Zeitzeugenbörse, die sich neben der Nazi-Zeit auch mit der Ära der DDR beschäftigt. Oder eine Interviewreihe des Zentrums für Integration und interkulturelle Kommunikation, die mehrere Mülheimerinnen und Mülheimern unter anderem mit der Frage konfrontierte, was es für sie bedeutet, Deutsch zu sein.
Währenddessen hat der Verein Makroskope eine Zeitung zum 100. Jahrestag des Ruhraufstandes herausgebracht. Sie ersetzt eine gleichnamige Veranstaltungsreihe, die im vergangenen Jahr stattfinden sollte. Vier Autorinnen und Autoren schreiben darin über die Ereignisse im März 1920, als zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiten im Ruhrgebiet einen – für Deutschland beispiellosen – Aufstand entfesselten. Die Texte sind teils aus historischer, teils aus künstlerischer Perspektive verfasst.
CBE-Chef: „Öfter die eigene Blase durchbrechen“
Die gänzlich verschiedenen Projekte zeigen CBE-Chef Schüring, wie wichtig es ist, über den berühmten eigenen Tellerrand hinauszuschauen. „Die Blasenstruktur der Gesellschaft ist ein Teil des Problems. Die eigene ,Bubble’ sollte öfter einmal durchbrochen werden“, findet Schüring. Der scheidende SPD-Abgeordnete Arno Klare fordert in diesem Zusammenhang eine Rückkehr zur Diskursivität: „Viele Leute argumentieren ja gar nicht mehr. Niemand sollte seine Meinung als die einzig richtige darstellen.“