Mülheim. Kaum steht der neue Nordausgang am Mülheimer Bahnhof, gibt’s Kritik an der Gestaltung. Wie Architekt Peter Schnatmann den „Unort“ retten würde.
Was sieht der Besucher der sympathischen Ruhrstadt, wenn er auf den neu gestalteten Platz am Nordausgang des Hauptbahnhofs tritt? Graue Säulen, dunkelgraues Pflaster, hellgraue Betonsitze – ansonsten: viel freie Fläche. Eine Chimäre aus „Fifty Shades of Grey“ und zeitgeistlicher Formel der „Chance auf Möglichkeiten“. „Es ist wenig einladend“, resümiert der Mülheimer Architekt Peter Schnatmann knapp. Dabei ließe sich die „Grauzone“ durchaus retten.
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Mit Farben, Musik und Licht gegen „Fifty Shades of Grey“ unter der Brücke
Mit Farben, Musik und Licht – das ist, kurz gesprochen, der Dreiklang, den Schnatmann vorschlägt, um aus dem „Unort und Angstraum einen Erlebnisraum“ zu gestalten. „Wir brauchen mehr Fantasie und Inszenierungen, um Menschen für Mülheim zu begeistern – warum hat die Stadt das noch nicht verstanden?“, fragt sich der Architekt, der nicht nur in der Stadt viele Orte von Gewerbe- bis Schulgebäude und Petrikirchenhaus gestaltet hat.
Die anbahnende Tristesse allerdings ließ sich durchaus den Bauplänen ablesen, die die Bezirksvertretung 1 und der Planungsausschuss 2016 widerspruchslos absegneten. Denn schon hier – im Integrierten Innenstadtkonzept – ist von viel Asphalt, reflektierenden Splitten, Betonfertigteilen die Rede. Aber auch von „flächiger Begrünung mit Rasen“, ein Hochbeet mit Säulenhainbuchen. Und der Lichtinstallation „Carpets“ von Künstler Christoph Hildebrand.
Hainbuchen sollen im Oktober gepflanzt werden – doch reicht das für eine Aufwertung?
Zu sehen ist von diesen bis auf einen Streifen Rasen derzeit nichts – die Hainbuchen zumindest sind für die Pflanzzeit, also im Oktober, angekündigt. Ob diese aber der aktuellen „Grauzone“ einen anderen Dreh geben können, ist für Schnatmann fraglich. „Man redet derzeit viel von Schwammstädten – hier aber hat man alles versiegelt – und musste deshalb den Platz abschüssig machen und Regenrinnen schaffen, um das Wasser wegzubekommen“, kritisiert der Architekt. „Warum hat man den Platz zumindest bis zur Brücke nicht offenporig gestaltet?“
Wie man’s macht, könnte Mülheim von Kopenhagen lernen – schon 2025 will der dänische Traum für Radler sogar CO2-neutral werden.
Der Vorplatz böte aus Sicht des Architekten viel Raum für Inszenierungen
Aus seiner Sicht wäre der Platz aber nicht verloren. Um der Tristesse entgegenzuwirken, könnte man mit einfachen Mitteln – mit Licht und Musik – arbeiten: Warum kein Vogelgezwitscher auf dem Platz und ein projizierter Himmel auf die Unterseite des Tourainer Rings? Warum kein Wellenrauschen und eine wasserblaue Projektion für die Stadt am Fluss?
Lichtkunst ist im Baubeschluss vorgesehen
Die Idee der Lichtkunst hatte auch der damals stellvertretende Leiter des Planungsamtes, Felix Blasch. 2015 warb Blasch für einen Gestaltungswettbewerb für den Ort in der BV 1.
Die Eisenbahnbrücken bildeten „keine schöne Eingangssituation für die Innenstadt“, so Blasch. Architekten und Künstler sollten sich Gedanken machen, wie aus den dunklen Löchern helle Durchgänge entstehen können. „Lichtkunst kann da eine Menge positive Effekte erzielen.“
Den Wettbewerb gewann 2016 die Lichtinstallation „Carpets“ – zu deutsch: Teppiche – des Essener Künstlers Christoph Hildebrand. Warmweiße LED-Streifen unterhalb der Brücke sollten einen solchen „Teppich“ für die Besucher ausrollen – „ähnlich eines Hotelvordaches“, heißt es im Baubeschluss von 2016.
Auch die Steinwand des Bahnhofs könnte gereinigt und mit Bodenstrahlern inszeniert werden. Lichtpunkte könnten das Pflaster aufhübschen. Und statt Rasen täte es eine Wildblumenwiese entlang der Parallelstraße umso besser. Für die Inszenierung der grauen Säulen wären die Mülheimer Künstler gefragt, die die Stadt als wichtige Ressource ja hat.
Idee: Theater zwischen den Säulen, Tanzveranstaltungen auf dem Vorplatz
Auch den gestalterischen Einbezug der verschiedenen Kulturen in Eppinghofen kann sich der Architekt vorstellen, eine temporäre Bühne fürs Theater zwischen den Säulen der Hochstraße, Tanzveranstaltungen auf dem Vorplatz und und und, sprudelt es aus Schnatmann. Mit seiner Kritik ist er nicht allein – immer wieder bemängeln Leser die offenbar allzu funktionale Gestaltung.
„Das alles hat wenig mit Finanzen zu tun, sondern mit Fantasie“, glaubt der Architekt ein grundsätzliches Problem der Stadtentwicklung zu erkennen – nicht nur hier: „Man baut immer sofort, statt erst darüber gemeinsam zu reden.“