Mülheim. Am Sonntag steigt das EM-Finale im Wembleystadion. Wie fiebern die Italiener und Engländer in Mülheim dem Spiel entgegen? Ein Stimmungsbild.
Mit einem echten Fußballklassiker geht am Sonntag die Europameisterschaft zu Ende. Im Londoner Wembleystadion stehen sich England und Italien im Endspiel gegenüber. Nach eineinhalb Jahren Corona-Bremse hat beide Länder nun wieder eine Euphorie erfasst. Das zeigt auch ein Stimmungsbild in Mülheim.
„Mein Neffe hat mir Bilder geschickt, das ist der absolute Wahnsinn. Selbst in sonst eher ruhigen Gegenden wurde bis morgens gefeiert“, berichtet Daniel Litchfield, langjähriger Fußballer bei Blau-Weiß Mintard. Seine Mutter ist Deutsche, der Rest der Familie stammt aus Leicester.
Daniel Litchfield: „In normalen Zeiten wäre ich jetzt rüber geflogen“
„In normalen Zeiten wäre ich auf jeden Fall jetzt rüber geflogen“, sagt Litchfield. Nun wird er das Finale von zu Hause aus verfolgen. Genau wie im Achtelfinale, als die „Three Lions“ das deutsche Team ausschalteten. Die Sympathien des 28-Jährigen waren da klar verteilt. „Ich bin immer der Engländer, ich mag den Fußball.“
Das Herz von Sean Francis war bei diesem direkten Vergleich gespalten. Doch sonst ist auch der 33-Jährige ein „Herzblut-Engländer“. Er und sein Zwillingsbruder Alexander sind zwar in Deutschland geboren, aber der Vater stammt aus Newcastle. Daher sind die Brüder, die beide in der zweiten Mannschaft von Rot-Weiß Mülheim kicken, auch Fans von Newcastle United, dem Tabellenzwölften der abgelaufenen Premier-League-Saison.
Nach dem Brexit: Endlich wieder gute Nachrichten aus England
„Als Jugendlicher habe ich sogar mal an einem Spaßtraining mit Alan Shearer teilgenommen“, erzählt Sean Francis. Der Stürmer ist mit 303 Spielen und 148 Toren eine Klub-Ikone in Newcastle. Vor dem Finale bleibt der Mülheimer zurückhaltend. „Wir haben nicht die überzeugendste EM gespielt aber im Finale kann alles passieren…“
Für die gebürtige Britin Susan Pilling-Wilke war der Finaleinzug „das Beste, was nach dem Brexit passieren konnte“. Auch sie hat eine großartige Stimmung auf der Insel ausgemacht. „Lange gab es nur negative Nachrichten, das ist jetzt endlich mal wieder etwas Positives“, sagt die Wahl-Mülheimerin, die einst aus Manchester nach Deutschland kam.
Mülheimer Eiscafé kreiert eigenen Tricolore-Becher
In Deutschland sei die Stimmung aber eine andere, findet zumindest Pilling-Wilke. „Ich habe eine feine Antenne für Stimmung, und ich habe irgendwie den Eindruck, dass viele Deutsche für Italien sind.“
Das kann den Anhängern der „Squadra Azzurra“ nur recht sein, schließlich muss ihre Mannschaft gegen ein mit fast nur Engländern gefülltes Wembleystadion anspielen. „Da braucht man schon einen guten Tag“, weiß Gino Cassaro, der vor Kurzem das Eiscafé Sorelli’s am Kohlenkamp eröffnet hat. Anlässlich des Finales wird er einen eigens kreierten Tricolore-Becher anbieten.
„Klein-Italien“ entstand in Düsseldorf-Gerresheim
Die Stimmung unter seinen Landsleuten beschreibt er als absolut euphorisch. „Einige Freunde waren in Düsseldorf-Gerresheim bei einem Public-Viewing, das war schon Klein-Italien“, sagt Cassaro.
Auch in Mülheim machten einige Italiener nach dem Halbfinalsieg über Spanien die Nacht zum Tage. „Wir waren auch bei einem Autokorso auf der Eppinghofer Straße dabei“, berichtet Giuseppe Maggiore, der vor einigen Jahren mit seinem Bruder sogar einen Fanclub von Rekordmeister Juventus Turin gründete. Dieser wanderte 2019 aber von Mülheim nach Oberhausen ab.
Große Italien-Fahne an der Oberhausener Straße
Auch auf der Oberhausener Straße war nach den italienischen Siegen abends immer etwas los. „Wir freuen uns natürlich unheimlich“, sagt auch Gino Arci, der am Sültenfuß die Pizzeria Calabria betreibt. Sein Haus schmückt eine große Italien-Fahne.
„Wir glauben an die Mannschaft, auch wenn uns die Verletzung von Spinazzola ganz schön zu schaffen gemacht hat“, sagt Giuseppe Maggiore. Man sei ohne Erwartungen in das Turnier reingegangen und ist nun der leichte Favorit. „Die Mannschaft spielt einen ganz anderen Stil als man es sonst von Italien kennt.“
Italienischer Aberglaube soll den EM-Titel nicht verhindern
Leichte Bedenken hat Ruhrbahn-Fahrer Daniele Autieri, der das Finale nicht mehr mit seinen Brüdern schauen kann, die bereits nach Italien gereist sind. „Wir sind abergläubisch und wollen eigentlich immer am selben Ort und mit denselben Leuten gucken“, schmunzelt er. Daran soll es am Ende aber nicht scheitern. „Ich denke wir haben bis jetzt guten Fußball gespielt. Wenn es klappt, hätte ich wenigstens einmal den WM-Titel 2006 und jetzt den EM-Gewinn miterlebt.“