Mülheim. Wegen des Protests gegen Stahlnetze an der Aussichtsplattform Kahlenberg macht Mülheims Verwaltung einen Rückzieher. Die Debatte geht weiter.

Wird der Ausblick vom Kahlenberg auf die Ruhrauen künftig nur ,hinter Gittern’ möglich sein? Mülheims Verwaltung hat zwar beide Vorschläge für die Bezirksvertretung 1 am Montag so kurzfristig wie überraschend zurückgezogen. Der Grund? Offenbar haben die kürzlich bekannt gewordenen Pläne, die beliebte Aussichtsplattform am nahen Bismarckturm mit einem Stahlnetz zu umspannen, doch zu viel Widerstand in der Öffentlichkeit ausgelöst. Ob es dabei allerdings bleibt, ist damit nicht festgeschrieben.

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Ist die Debatte beendet, bevor sie beauftragt wurde?

Denn den starken Protesten der Bürgerschaft und von Teilen der Politik zum Trotz will zum einen die Verwaltung nun rechtlich prüfen, ob die „Verkehrssicherungspflicht“ mit der aktuellen Situation erfüllt wird. Zum anderen halten CDU und Grüne trotz der offenbar schon im Vorfeld gescheiterten Verwaltungsentwürfe und den deutlich kritischen Tönen aus dem öffentlichen Raum an ihrem Anliegen fest.

Dabei ist die Debatte bereits völlig verfahren, nicht zuletzt, weil die Vorschläge der Verwaltung schon im Umlauf waren, ohne dass es dafür offenbar den notwendigen Beschluss gab. Denn anders als in den Entwürfen der Verwaltung angegeben, ist diese in der Sitzung am 11. März noch gar nicht beauftragt worden, sondern vielmehr soll sie es erst am kommenden Montag, 31. Mai, werden. Nun also ist das Menü vom Tisch, bevor es bestellt wurde.

CDU und Grüne wollen an ihrem Antrag festhalten

Warum man im Rathaus derart vorauseilend handelte? Für den CDU-Fraktionschef der Bezirksvertretung 1, Hansgeorg Schiemer, ist das ein ungelöstes Rätsel: Offenbar habe die Verwaltung aus eigenem Antrieb gehandelt und dies auch nicht im Sinne der schwarz-grünen Koalition: Beide Entwürfe, so Schiemer, hätten mit einer Pergola plus Netz sowie mit einer Stahlrohrkonstruktion eine einseitige Lösung vorgegeben.

Aus Sicht der CDU-Fraktion sei es aber ebenso möglich, eine Konstruktion unterhalb der Aussichtsplattform bzw. an der ehemaligen Jugendherberge zu errichten. CDU und Grüne wollen deshalb ihren Prüfauftrag stellen: „Der Abwägungsprozess konnte noch nicht stattfinden.“

Wer ist der Urheber der Debatte um den Aussichtspunkt?

Undurchsichtig bleiben damit zwei Dinge: Zum einen, welche Gefahrenlage es dort überhaupt gibt und für wen? Zumindest ist der Verwaltung kein Vorfall bekannt, bei dem es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Unfall oder gar Absturz gekommen ist. Auch über die Häufigkeit von Steinen und Flaschen, die von der Plattform aus geworfen worden seien, führt die Stadt nicht Buch - weder vor noch nach der Privatisierung der Jugendherberge vor rund zehn Jahren.

Undurchsichtig ist zum anderen, wer der eigentliche „Urheber“ der Verwaltungsentwürfe ist – wenn nicht die Politik? Dabei haben auch CDU und Grüne erkennen lassen, dass sie angesprochen wurden und nicht aus sich heraus handelten. Steht hinter dem vordergründig öffentlichen (Sicherheits-) Interesse also ein in erster Linie privates Anliegen? Und in wessen Interesse handeln Politik und Verwaltung?

Mancher Beobachter hatte einen guten Draht zur Verwaltung unterstellt. Irritationen in der Öffentlichkeit löste dabei vor allem aus, wie und in welcher Geschwindigkeit die Entwürfe entstanden sind.

Der Ausblick von der Aussichtsplattform am Kahlenberg: Unterhalb liegen die Terrassen der Mieter der ehemals städtischen Jugendherberge. Heute werden dort kostspielige Wohnungen in unverbaubarer Lage vermietet.
Der Ausblick von der Aussichtsplattform am Kahlenberg: Unterhalb liegen die Terrassen der Mieter der ehemals städtischen Jugendherberge. Heute werden dort kostspielige Wohnungen in unverbaubarer Lage vermietet. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Vorauseilendes Handeln der Verwaltung schafft Irritationen

Denn gerade einmal einen Monat – vom 25. März bis 27. April – hatte die Erarbeitung des Maßnahmenvorschlags gedauert, inklusive eines Architektenentwurfs, des Findens eines Spenders, der Prüfung durch die Bauaufsicht sowie der Zusage, dass eine Baugenehmigung und eine naturschutzrechtliche Befreiung erteilt würden. Für den zweiten Entwurf, den Dezernent Peter Vermeulen selbst in Auftrag gab, brauchte es nicht einmal eine Woche.

Dabei müssen die Pläne für den ersten Verwaltungsentwurf längst in der Schublade gelegen haben – aber wohl nicht in einer des Rathauses. Denn die dem Entwurf beiliegende Zeichnung des Architekten trägt das Datum 22.11.20, also gut vier Monate, bevor die Politik ihren Antrag überhaupt verfasst hatte.

„Es braucht nur einen Mülleimer“

Dass die Plattform seit der Pandemie ein häufiger besuchter Ort besonders für Jugendliche ist, wo diese sich ungestört aufhalten, Händchen halten und knutschen können, bestätigen Besucher und Anwohner im Umfeld der Plattform. „Ist doch klasse, dass die Jugend die Natur entdeckt – wo sollen sie auch hin?“, meint Bettina Westphal. Natürlich gelte es „Regularien des Outdoor-Benehmens zu beachten“.

Dass es aktuell mehr Müll am Aussichtspunkt gebe, sei aus Sicht vieler Besucher in solchen Zeiten verständlich. Das werde sich aber, im Zuge der Corona-Lockerungen ändern. Die Stadt habe an diesem Ort jahrzehntelang nichts getan, sagt Anwohnerin Antje Merlau. Das sei auch in Ordnung: „Dieser Ort mit seiner wunderschönen Aussicht wird seit fast 100 Jahren von vielen Menschen besucht und geliebt, so wie er ist. Er hat Charme und Charakter. Eine Aufwertung hat er nicht nötig. Nur einen Mülleimer.“

Anregung, Entwurf und Finanzierung kam aus privater Hand

Unterzeichnet ist diese, und auch die für den zweiten Entwurf, von der Mülheimer „Hütténes GmbH“. Beide Aufträge an die Architekten GmbH erteilte nicht die Verwaltung, sondern der jetzige Eigentümer der ehemaligen Jugendherberge, heißt es. Und auch für die von der Politik beauftragte „Spendensuche“ musste sich die Verwaltung nicht lange umschauen: Der Eigentümer soll die Finanzierung der umstrittenen Maßnahme in Aussicht gestellt haben - aus „offensichtlichem Leidensdruck“, heißt es aus dem Rathaus.

Längst aber ist der Vorstoß von Politik und Verwaltung zum Aufreger nicht nur im Viertel geworden. Anwohner und häufige Besucher der Plattform haben sich zusammengefunden, verfassten Beschwerden und halten die bisher vorgeschlagenen Maßnahmen für alles andere als angemessen.

Anwohner stellen „Privatinteressen“ in Frage

„Ich bin hier in der Nachbarschaft groß geworden. Klar wussten wir als kleine Jungs, dass man am Hang aufpassen muss. Aber keiner ist hier abgestürzt oder hat sich verletzt, weil die Plattform nicht ausreichend gesichert war. Ist das jetzt auf einmal anders, nur weil die Jugendherberge jetzt privat bewohnt wird?“, stellt Anwohner Hans von Sonntag ein ,öffentliches Interesse’ in Frage.

Dass der CDUler Hansgeorg Schiemer dagegen in der Zeitung von einer „Neiddebatte“ gegen die Anwohner der Jugendherberge gesprochen hatte, verärgert manchen der Plattform-Besucher: „Es ist doch egal, ob die Menschen dort Geld haben oder nicht – ein Netz oder Gitter ist einfach eine blöde Idee.“