Mülheim. Selbsttests fordern Überwindung ab. Deshalb lässt Thyssenkrupp in Mülheim die Mitarbeiter darin schulen. Wird das in Betrieben bald zur Pflicht?

Es hat etwas von Pantomimenspiel vorm Spiegel: Auf der einen Seite der Plexiglasscheibe lässt ein Mann langsam das Wattestäbchen in der Nase kreisen, dann tunkt er den Tupfer in ein Röhrchen mit Flüssigkeit. Auf der anderen tut es ein Mitarbeiter von Thyssenkrupp ihm gleich. Etwa 130 „Thyssenkruppianer“ vom Lenkungswerk in Saarn machen am Montagmorgen einen Selbsttest unter fachkundiger Anleitung. Die Vorbereitung für die kommenden Wochen.

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Thyssenkrupp will 275.000 Antigentests zur Verfügung stellen

Fachmann Dennis Seif zeigt einem Mitarbeiter von Thyssenkrupp, wie das Wattestäbchen beim Corona-Selbsttest eingeführt wird.
Fachmann Dennis Seif zeigt einem Mitarbeiter von Thyssenkrupp, wie das Wattestäbchen beim Corona-Selbsttest eingeführt wird. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Denn am 6. April will das Unternehmen allen 55.000 Mitarbeitern in Deutschland die Antigen-Testung ermöglichen. Jeder erhält dann auf Bestellung fünf solcher Sets zur eigenen Verantwortung, also rund 275.000 Testsets. Das klingt nach einer großen Menge.

Wie lange diese jedoch reichen werden, hänge dabei von dem Einsatzort und der Einschätzung des jeweiligen Mitarbeiters ab, erläutert der Geschäftsführer des Lenkungswerks, Ralf Ebber. Wer zum Beispiel viel im Homeoffice arbeite, brauche seltener einen Test als jemand in der Produktion.

Das allerdings sind am Standort in Saarn die überwiegenden. Umso zentraler für die Aktion am Montagmorgen ist deshalb der richtige Umgang mit den Sets, damit sie auch die 99-prozentige Genauigkeit liefern, die Peter Felten vom Kölner Institut für Prävention und Nachsorge (IPN) ihnen zuspricht. „Sie sind eben nicht vergleichbar mit denen aus den Discountern“, meint der Fachmann. Zwischen fünf und acht Euro koste das Set. Privat komme man an diese gar nicht ran.

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15 Minuten später ist man schlauer - oder sogar erleichtert

Das IPN ist mit der Schulung beauftragt. An den zwei Mobilen gab es schon am Morgen reges Interesse. Alchemistisches Hexenwerk ist der Vorgang zwar nicht, aber es gelte, Feinheiten zu beachten, schildert Felten. Der durch den vorderen Nasenraum gewälzte Wattetupfer müsse im Röhrchen etwas „gequetscht“, die Trägerflüssigkeit korrekt eingefüllt werden. Anschließend müssen vier Tropfen auf die Testkassette gegeben werden.

15 Minuten später ist man schlauer – oder sogar erleichtert. Nur acht positive Fälle habe es seit März 2020 im Lenkungswerk gegeben, berichtet Geschäftsführer Ebber. Das liege auch am umgesetzten Hygiene-Konzept von den Aha-Regeln bis zu Plexiglas-Scheiben und Online-Meetings. Die nun von Thyssenkrupp breit angelegte Testinitiative diene aber neben der Sicherheit im Umgang vor allem der Akzeptanz der Testungen.

„Die Resonanz auf unser freiwilliges Angebot war sehr groß“, meldet jedenfalls Thomas Lau, Technischer Geschäftsführer des Lenkungswerks. Fast alle Termine seien im Vorfeld ausgebucht gewesen.

Reicht die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen aus?

Unternehmerverband lehnt Testverpflichtung ab

Lieferanten berichten von einem wahren Run auf die Tests, Chargen von vielen tausend Tests sind innerhalb weniger Stunden ausverkauft – das muss Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes, inzwischen feststellen.

Denn, so Schmitz: „Nach dem Testappell der Dachverbände vor wenigen Tagen haben die privaten Unternehmen ihre Testanstrengungen noch einmal stark ausgeweitet. Und das, obwohl sich nicht wenige Unternehmen gerade wegen Corona in wirtschaftlich sehr schwierigem Fahrwasser befinden.“

Klar spricht sich der Unternehmerverband gegen eine gesetzliche Verpflichtung aus: „Ein Testgesetz würde nicht mehr Schutz, sondern mehr Bürokratie, mehr Kosten, weniger Eigeninitiative und einen Haufen ungeklärter rechtlicher und organisatorischer Fragen schaffen.“

Die Politik lenke mit der Androhung gesetzlicher Verpflichtungen von den politischen Versäumnissen ab. Es sei an der Zeit, so Schmitz, „dass wir wieder zu einem gemeinsamen Miteinander zurückkehren. In dieser schwierigen Situation können Politik und Wirtschaft nur gemeinsam viel erreichen.“

Doch aktuell sind solche Testungen in den Betrieben nur freiwillig und wohl gerade für mittelständische Betriebe ein Beschaffungs- und Kostenproblem. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) NRW kommt in einer Umfrage unter 2000 Unternehmen zu dem Ergebnis, dass nur die Hälfte der Betriebe Corona-Tests für die Mitarbeiter anbietet oder diese in Kürze plant. Bei den Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigen seien es hingegen 75 Prozent der Firmen.

Ein Fünftel gab allerdings an, die Kosten dafür nicht tragen zu können, in der Gastronomie sind es sogar fast die Hälfte. Auch die Beschaffung bereitet einigen Probleme. „Thyssenkrupp ist hier sehr frühzeitig aktiv geworden und konnte eine ausreichende Menge an Selbsttests am Markt einkaufen. Für den Start der Testphase sind wir damit gut aufgestellt“, erklärt Pressesprecher Konrad Böcker von Thyssenkrupp Automotive: „Die maximale Sicherheit ist wichtig.“

Nachfrage der Unternehmen nach Schulung ist deutlich gewachsen

Die Freiwilligkeit könnte bald in eine Testpflicht umschlagen. Zumindest hat die Bundeskanzlerin in einer Talkshow am Sonntag angekündigt, diese notfalls verpflichtend anzuordnen, wenn die Betriebe ihr Personal nicht möglichst mehrfach in der Woche testen.

Fachmann Peter Felten sieht bereits eine wachsende Nachfrage nach Schulungen, wie sie das IPN seit etwa drei Wochen verstärkt durchführt. „Für die kommenden Wochen sind wir bereits mit rund 100 Terminen fast ausgebucht.“