Mülheim. Sie sind angetreten, um Rock'n'Roll ins Mülheimer Rathaus zu bringen: Sonja Stahl und Dominik Meßink sitzen für die Partei im Rat.

Sie wollten mit Kanus über die A40 schippern und den Rock'n'Roll ins Rathaus bringen. Mit der Idee, den Rumbach oberirdisch über die Leineweberstraße schlängeln zu lassen, wurde „Die Partei“ im Mülheimer Kommunalwahlkampf sogar zum Schreckgespenst für die sympathische Auto-Stadt am Fluss. „Für Mülheim reicht's“, antworteten sie rotzfrech doppeldeutig und holten damit 4,45 Prozent der Stimmen. Seitdem müssen Sonja Strahl und Dominik Meßink mit feinsinniger Provokation und platschnassem Quatsch jonglieren. Worauf sich der Rat der Stadt jetzt einstellen muss.

Bislang auf noch nicht viel: Strahl und Meßink gehören nicht zu den augenscheinlich buntesten Stecklingen in der Mülheimer Politiklandschaft. Doch sollte man Bücher vielleicht nicht nach dem Cover beurteilen: „Ich bin neugierig, aber muss mich auch noch orientieren, wie das hier abläuft“, lässt Strahl durchblicken, dass sich das Duo noch aufwärmt. Also kein Schluss mit lustig?

Aktenordnerweise Anträge, Selters zur Sitzung - warum tut sich eine Satire-Partei das an?

Anderseits: Vier dicke Aktenordner mit Anträgen und Unterlagen – das Ergebnis von gerade einmal zwei Monaten Ratsarbeit – laden nicht zum Sprinten ein. Hier ist wohl Marathon gefragt. Und Sonja Strahl hat sich die harten Mülheimer Themen vorgenommen: Mobilität, Umwelt, Soziales. Hier scheint sich die Stadt seit Jahren in einer Starre zu befinden. Dazu den Hauptausschuss und natürlich den Rat. Warum tut sich eine Satire-Partei das an?

Luft nach oben gibt’s auf jeden Fall beim Catering – eine Flasche Selters pro Stadtverordneten für die Sitzung?, wundert sich Strahl kopfschüttelnd. Da müssen manche Politiker in der Vergangenheit mit diversen Getränkeaufgeboten ungewollt offenbar völlig falsche Erwartungen geweckt haben.

"Wir sind nicht nur satirisch - die ernsten Inhalte überwiegen sogar"

Erst seit zwei Jahren ist die 44-jährige Freiberuflerin in der „Partei – ich war schon vorher Sympathisantin, aber als ich 2018 Martin Sonneborn im Stauffenberg-Kostüm zur Lesung von Björn Höcke auf der Frankfurter Buchmesse gesehen habe, bin ich direkt Mitglied geworden.“ Doch reicht schrille Kostümierung um Rechtspopulisten und rechtsextreme Politik zu entwaffnen? „Wir sind nicht nur satirisch“, erwidert Strahl, die Partei bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen Kabarett und ernsten Inhalten. „Die ernsten Inhalte überwiegen bei uns sogar.“

Das mag überraschen. Doch Autofreie Innenstadt, Belebung der Leineweber Straße, ein neues Szene-Viertel „The Village“ am Rathausmarkt, zählt Strahl auf, sogar hinter dem „Weltraumflughafen“ soll eine ernstzunehmende Idee stecken – „es geht dabei um die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt. Wir sind nicht für ,Knüller' und Spaß angetreten. Wir packen die Dinge eben nur anders an, es sind aber keine Quatschthemen.“

Nominierung von Andy Brings als OB war nicht unumstritten

Erst im August 2019 – ein knappes Jahr vor der Kommunalwahl tauchte die Partei in Mülheim auf: „Uns gab es schon vorher“, versichert Strahl, aber nicht besonders aktiv. Das änderte sich vor gut einem Jahr. Eine bunte Mischung formierte sich im Makroscope: Künstler, Ex-Linke, Mitglieder aus Initiativen. Und es ging nicht ohne Querelen ab.

Die Nominierung von Andy Brings als OB-Kandidaten in der Öffentlichkeit noch vor einer Bestätigung durch die Parteibasis weckte im April bei manchem Unmut, ein Teil der Gruppe bestimme im Alleingang die Parteirichtung. „Das Vorgehen ist aber normal bei vielen Parteien und wir haben es im Vorstand besprochen“, sagt Strahl. Nicht jeder aber hatte sich in der bunten Truppe aufgehoben gefühlt. Rainer Nelbach, Co-Sprecher der Mülheimer Initiative Tramvia, verließ die Partei.

Frischer Wind und flache Hierarchien

Kulturschaffende, Umweltaktivisten, von der Politik enttäuschte Sozialdemokraten und Linke, Bürgerliche – sie müssen Strahl und Dominik Meßink aber auch künftig im Parlament vertreten. Geht das gut? „Die Parteibasis ist für die Satire zuständig, die Ratsgruppe für die ernsthafte Arbeit“, hofft der Politlaie auf den frischen Wind des Neuen und eine flache Hierarchie. „Wir haben keine Leute, die seit 20 Jahren Politik machen, dafür aber eine interne Plattform und Arbeitsgruppen, die an den Ausschüssen orientiert sind.“ Als sachkundige Bürger sind etwa Andy Brings im Kulturausschuss und Künstler Alfa Preker-Frank in der Bezirksvertretung.

Wie aber will die Partei dann die oft zähe Parlamentspolitik verbessern? Rüstzeug dafür bringt die studierte Kunsthistorikerin (Ruhr-Uni-Bochum) mit. Angst vor komplexen Themen hat Strahl nicht. „Das Thema ,Live-Übertragung' der Sitzungen finde ich zum Beispiel gut, weil das den Zugang der Bürger zur Politik verbessern kann. Die Debatte darum gibt es schon seit langem. Ich finde, man muss es den Leuten endlich einfacher machen“, glaubt Strahl, vor allem, wenn man auf die schlechte Wahlbeteiligung schaue.

Und Barrierefreiheit ist noch auf anderer Ebene für die freiberufliche Texterin wichtig, die sich auf „leichte Sprache“ spezialisiert hat, also einfache Wörter und Sätze, die von Menschen etwa mit geistiger Behinderung verstanden werden können. Sie könnte wohl auch dem Verständnis mancher politischer und Verwaltungsanträgen gut tun.