Witten. Leichte Sprache ist ein Hilfsmittel, das Menschen mit geistiger Behinderung hilft – aber nicht nur. Wie übersetzt wird und welche Regeln gelten.
„Dieses Heft ist eine Übersetzung in Leichte Sprache“, liest Mathias vor – laut und sicher. Zwei Zeilen weiter gerät der 30-Jährige ins Stocken. Beim Wort „Inklusionsplan“ runzelt er die Stirn. Mathias schaut auf, sein Blick schweift in die Runde. „Habt ihr verstanden, dass das Heft so heißt? Inklusionsplan?“, fragt Tanja Rau. Kopfschütteln bei Mathias, Julia, Ludger und Daniel. Die vier haben aufgrund ihrer geistigen Behinderungen Lernschwierigkeiten und sind auf die sogenannte Leichte Sprache angewiesen. Bei der Lebenshilfe Witten arbeiten sie als Prüfer für Leichte Sprache.
„Dann fügen wir da noch einen Satz ein, der das erklärt“, schlägt Rau vor. Sie ist Gruppenbetreuerin bei der Lebenshilfe und arbeitet täglich mit Menschen zusammen, die eine geistige Behinderung haben. Rund zehn Menschen mit Lernschwierigkeiten arbeiten neben ihrer normalen Aufgabe in den Werkstätten auch als Prüfer für Leichte Sprache. Quasi als Lektoren für eine Sprachform, die viel mehr als nur schlichte Vereinfachung ist.
Über sechs Millionen Erwachsene in Deutschland sind auf Leichte Sprache angewiesen
„Wenn man etwas nicht versteht, dann nervt das“, erzählt Daniel. „Im Restaurant frage ich manchmal nach: Was ist das für ein Lebensmittel?“ Vermeintlich einfache Dinge wie ein Restaurantbesuch werden durch „normale“ Sprache – oder Schwere Sprache, wie es bei der Lebenshilfe heißt – zu einem Kraftakt. Von Behördengängen oder Briefen in Verwaltungsdeutsch ganz zu schweigen.
Laut der aktuellen LEO-Studie der Universität Hamburg gibt es in Deutschland rund 6,2 Millionen Erwachsene, die maximal einzelne Sätze lesen oder schreiben können. Zusammenhängende Sätze oder gar ganze Texte sind für sie schlichtweg eine Überforderung. Hier setzt die Leichte Sprache an. Dank festem Regelwerk (siehe Infokasten) werden selbst komplizierte Sachverhalte einfach erklärt. So profitieren neben geistig behinderten Menschen auch Migranten oder funktionale Analphabeten von der Leichten Sprache.
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Inklusionsplan: „Alle Menschen sollen teil-haben.“
Aus verschachtelten Sätzen und komplizierten Formulierungen werden kurze, verständliche Texte. So auch bei der Lebenshilfe Witten, wo das Team aus Übersetzern und Prüfern aktuell an der Übersetzung des Inklusionsplans der Stadt arbeitet. In der Übersetzung des Grußwortes heißt es etwa: „Aktions-Plan ist ein schweres Wort. Aktion bedeutet: Wir möchten etwas machen. Witten soll inklusiv werden. Alle sollen sich in Witten wohl fühlen. Alle Menschen sollen teil-haben.“
Regeln für Leichte Sprache
Um die Leichte Sprache verständlich zu machen, sind kurze Sätze wichtig. In jedem Satz sollte nur eine Aussage getroffen werden. Komplizierte Satzkonstrukte wie Passiv, Konjunktiv oder die Nutzung von Genitiv sollten vermieden werden. Gleiches gilt für Abkürzungen, die nicht erklärt werden, Redewendungen und bildliche Sprache. Lange Worte und Fremdworte werden oft mit Bindestrichen in Silben getrennt, um sie leichter lesbar zu machen.
Damit ein Text offiziell in Leichter Sprache geschrieben ist, muss er von zertifizierten Menschen übersetzt und im Anschluss geprüft werden. Die Prüfer sind meist Menschen mit geistiger Behinderung. Nur sie können die Verständlichkeit abschließend beurteilen.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, sind sich Julia und Ludger einig. „Leichte Sprache gibt es nicht oft“, erzählt der 64-jährige Ludger. „Beim Amt und in den Briefen schon gar nicht“, stimmt ihm Julia zu. Und das obwohl in Deutschland seit 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention gilt, die die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung fördern soll. Auch das wird in der Übersetzung des Inklusionsplans erklärt. „Aber“, lenkt Ludger ein, „es ist schon mehr als früher geworden.“
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